Für die Otto Brenner Stiftung (OBS) haben Hektor Haarkötter und Filiz Kalmuk von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg das Arbeitsheft „Medienjournalismus in Deutschland – Seine Leistungen und blinden Flecken“ erstellt. Von Mai 2019 bis August 2019 untersuchten sie die Berichterstattung von sechs deutschen Tageszeitungen und haben dabei insgesamt 2.053 Artikel ausgewertet. Methodik und Ergebnisse stießen auf deutliche Kritik.
Medienseiten und Mediensendungen, so urteilte einmal Hans-Jürgen Jakobs, langjähriger Ressortchef Medien der „Süddeutschen Zeitung“, heute Herausgeber des Podcasts „Handelsblatt Morning Briefing”, gehörten zur guten Unternehmenskultur von Verlagen und Sendern. Medienjournalismus sei notwendig, weil er helfe, die Qualität der Medien zu sichern. Zudem sei er ein „wichtiger Teil der Selbstkontrolle der Branche“. Die vorliegende Studie betreibt schon im Titel Hochstapelei: Keineswegs wird hier „Medienjournalismus in Deutschland“ analysiert. Vielmehr handelt es sich um eine Untersuchung der Medienseiten von sechs deutschen Tageszeitungen: „Süddeutsche Zeitung“, „FAZ“, „tageszeitung“ (taz). „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, Berliner „Tagesspiegel“ und „Kölner Stadtanzeiger“. Medienmagazine im Rundfunk werden ebenso wenig einer Würdigung unterzogen wie die mittlerweile stattliche Zahl engagierter Medienblogs.
Dass eine analytische Selbstbeschränkung auf „Holzmedien“ im digitalen Zeitalter einigermaßen erklärungsbedürftig erscheint, kümmert die Autoren offenbar nicht. Schlimmer: In einem durchaus lesenswerten Kapitel zur Geschichte des Medienjournalismus widmet sich das Autorenduo in einer halben Spalte am Ende auch der „Medienkritik ganz eigener Art“, die sich „in der Onlinewelt etabliert“ habe. Erwähnt werden Bildblog und Übermedien, turi und „Das Altpapier“ auf MDR.de. Das Urteil: „Bei diesen Onlineangeboten, die manchmal auch als ‚Medienwatchblogs‘ bezeichnet werden, ist nicht immer ganz klar, ob wirklich alle journalistischen Qualitätskriterien eingehalten werden“. Belege für diese kühne Einschätzung bleiben die Autoren schuldig. Andere wichtige Orte der Medienkritik wie Meedia, dwdl oder kress werden ganz ignoriert. Wenn dann noch der „Blogosphäre“ insgesamt unter Einschluss dieser Medienblogs – ebenfalls ohne jede Begründung – attestiert wird, „dass sie nur mit Einschränkungen unter ‚Journalismus‘ firmieren können“, macht sich allmählich Verärgerung breit.
Umgekehrt erscheint der Einwand gerechtfertigt, dass diese Studie nur mit Einschränkungen als wissenschaftlich bezeichnet werden kann. Zwar wartet sie mit einer Fülle von Tabellen zur Zahl der Artikel, Darstellungsformen, Themenverteilung, Erwähnung politischer Parteien, etc. auf den Medienseiten der sechs untersuchten Blätter auf. Der Erkenntniswert solcher empirischer Fliegenbeinzählerei bleibt indes gering. Dagegen irritieren methodische Schwächen wie die von Stefan Niggemeier in „Übermedien“ zu Recht kritisierte „waghalsig konstruierte Unterscheidung zwischen Information und Unterhaltung“. Das Label „informationsorientiert“ bekommen demnach vor allem Texte mit medienpolitischen oder wirtschaftlichen Themen. Unter die Kategorie „unterhaltungsorientiert“ fallen dagegen zum Beispiel TV-Kritiken. Eine recht willkürliche Abgrenzung, die zu einigen Ungereimtheiten bei der Auswertung führt.
In ihrem allgemeinen Teil resümiert die Studie in weiten Teilen Bekanntes. Echtes Neuland hätten die Autoren betreten können, wenn sie ihrer eigenen Empfehlung gefolgt wären. „Lohnenswert“ fänden sie „Analysen der kritischen Medienbeobachtung im Internet sowie der noch verbliebenen Medienberichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und hier vor allem in den Radioangeboten“. Unbedingt!
Hektor Haarkötter/Filiz Kalmuk: Medienjournalismus in Deutschland. Seine Leistungen und blinden Flecken. Frankfurt/M. 2021, 80 Seiten. OBS-Arbeitsheft 105