Ketchup- und Säure-Attacken auf das Wohnhaus des Fachjournalisten David Janzen, 2019 Sprecher des Bündnis gegen Rechts Braunschweig, bleiben ohne ernsthafte Konsequenzen. Weitere Ermittlungsverfahren wegen rechter Morddrohungen waren bereits zuvor eingestellt worden. Dabei stand der Engagierte monatelang im Fokus von Neonazis und hatte die Einschüchterungsversuche öffentlich gemacht.
Am 17. Oktober 2019 war es, dass der Eingang des Mehrfamilienhauses, in dem der damalige Sprecher des Braunschweiger Bündnis gegen Rechts und seine Familie wohnen, mit Ketchup beschmiert wurde. Janzen, der als freier Journalist seit Jahren zur rechten Szene recherchiert und publiziert, erlitt beim Öffnen seines Briefkastens Atemwegsreizungen, da eine ätzende Essenz hineingeschüttet worden war. Schon in den Tagen zuvor klebten mehrfach extrem rechte Aufkleber, unter anderem der Neonazi-Gruppe „Kampf- und Sportgemeinschaft Adrenalin Braunschweig“ an Tür, Haus und in der Umgebung. Und einen Tag nach der Flüssigkeitsattacke wurden Haustür und Klingelschilder erneut mit Ketchup bespritzt.
Reichlich zwei Monate später wurde Anklage erhoben: Laut der Staatsanwaltschaft Braunschweig soll der Neonazi und Kampfsportler Pierre B. von einer kurz zuvor installierten Überwachungskamera der Polizei am 18. Oktober 2019 dabei gefilmt worden sein, wie er Ketchup an Janzens Haustür schüttete. Die Staatsanwaltschaft warf ihm schließlich Sachbeschädigung in fünf Fällen, in drei Fällen versuchte Sachbeschädigung sowie Körperverletzung vor und ging von einem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung aus (Akt. 702 Js 56175/19).
Doch nun, fast zwei Jahre danach, hat das Amtsgericht Braunschweig das Verfahren gegen Pierre B. nach §153 StPO – wegen Geringfügigkeit und fehlendem öffentlichen Interesse – gegen eine Geldauflage von 240 Euro eingestellt. Die Anregung des Anwaltes von David Janzen, Rasmus Kahlen aus Göttingen, ihm zumindest aufzuerlegen, die Geldstrafe an den Geschädigten zu zahlen, wurde vom Gericht nicht aufgegriffen. „Das ist alles sehr unbefriedigend“, erklärt Kahlen, „zumal es sich bei Herrn B. um einen vielfach vorbestraften Gewalttäter handelt, der Herrn Janzen über längere Zeit regelrecht verfolgt hat. Die Anklage erfasste ohnehin nur eine Spitze des Eisbergs.“
Und die Dinge wurden durchaus öffentlich: Schon im Juni 2019, kurz nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, hatte ein Neonazi von „Adrenalin Braunschweig“ in einem Video gedroht: „Gestern Walter, heute Janzen“. Wenig später stand „Wir töten dich! Janzen“ an dessen Haustür geschrieben, Aufkleber von „Adrenalin Braunschweig“, die einen stilisierten Schlagring zeigten, waren darunter geklebt. In beiden Fällen wurden die Ermittlungsverfahren wenig später eingestellt. Beleidigungen Janzens und tätliche Angriffe gegen ihn passierten auch in aller Öffentlichkeit, etwa bei Demos. Schmähplakate waren im Stadtbild aufgetaucht. Medien berichteten. Die Leser der „Braunschweiger Zeitung“ dagegen würdigten David Janzens Haltung und Engagement. Sie kürten ihn 2019 zum „Braunschweiger des Jahres“.
Die Anerkennung verhinderte nicht, dass der Antifaschist Ziel rechter Bedrohungen blieb: Immer wieder gab es Aufkleber am Haus, im März 2020 wurden Kreuze und Grabkerzen mit Janzens Porträtfoto vor die Tür gestellt. Drei Monate später erhielt er einen vergammelten Schweinekopf zugeschickt. Im Oktober 2020 wurde ihm ein Zettel mit einem Galgenstrick in den Briefkasten geworfen.
„Ich hatte das Gefühl, dass erst der öffentliche Druck dazu geführt hat, dass die Polizei die Bedrohungen der Neonazis gegen mich ernstgenommen hat“, sagt Janzen, der im November 2020 als Sprecher des Bündnis gegen Rechts zurückgetreten ist. „Immer wieder wurde mir gegenüber geäußert, Aufkleber an unsere Haustür kleben sei ja keine Straftat. Selbst bei dem Schweinekopf musste ich mit einem Beamten am Telefon darüber streiten, was das denn für eine Straftat sei. Nach den Ketchup-Attacken äußerte ein Polizeisprecher in der Lokalpresse, dass gar keine Sachbeschädigung vorläge, da die Tür ja von den Resten gereinigt werden konnte.“
Es sei erst etwas ruhiger geworden, so der Journalist, nachdem er ein gerichtliches Annäherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz gegen Pierre B. erwirkte, der sich ihm und dem Haus für sechs Monate nicht mehr nähern durfte. Auch habe er das Gefühl, dass die Polizei Braunschweig doch etwas wachsamer und sensibler im Umgang mit Betroffenen rechter Bedrohungen geworden sei, sagt Janzen. „Allerdings haben die Neonazis ja nicht aufgehört mit ihren Einschüchterungsversuchen, sondern ihren Fokus weg von mir auf andere Engagierte gerichtet. Braunschweig hat weiter ein Problem mit den aggressiven und provokanten Auftritten dieser kleinen Gruppe von Neonazis. Da ist nicht nur die Stadtgesellschaft gefragt, sondern auch konsequentes Handeln der Behörden und der Justiz.“ Dass das Amtsgericht das Verfahren gegen den Ketchup-Täter eingestellt hat, ist für ihn ein „Versagen der Justiz und ein fatales Signal an die Neonazi-Szene“.