Ungarns Opposition auf YouTube heißt Partizán

In dieser "Spartacus"-Debatte ging es um Klima- und Energiepolitik. Screenshot: YouTube

In Orbáns Ungarn kämpfen unabhängige Medien mit erheblichen Repressionen. Dem YouTube-Kanal Partizán aber gelang es während der Pandemiezeit, zur wirkmächtigen Stimme der linken Opposition zu werden. Die Plattform des Theatermachers Márton Gulyás erreicht Hunderttausende und beschäftigt inzwischen über 40 Mitarbeiter. Partizán bricht mit der politischen Konformität – und fordert die Regierungspartei Fidesz heraus.

„Wir werden die größte Online-Wahlshow veranstalten!“, verkündet Gulyás selbstbewusst mit Blick auf die ungarischen Parlamentswahlen am 3. April 2022. Nach den Erfolgen, die der YouTube-Kanal seit der Coronakrise feiern konnte, dürfte es dem umtriebigen Theatermacher und Politaktivisten aus Budapest tatsächlich nicht schwer fallen, dieses Versprechen zu halten. Schon jetzt sendet Partizán mit dem PEP-Format „Péntek Esti Partizán“ (Freitagnacht Partizán) die meistgeschaute Late-Night-Show des Landes, die von bis zu einer Million Zuschauern verfolgt wird.

Über 260.000 Abonnenten zählt der unkonventionelle Kanal inzwischen auf YouTube, fast 15.000 kamen allein im letzten Monat hinzu. Für Ungarn mit rund zehn Millionen Einwohnern ist das eine beeindruckende Größe für den 2018 gegründeten Kanal, der erst 2020 begann, täglich Content zu veröffentlichen. Während Viktor Orbán die Fernseh- und Rundfunksender des Landes zu Propagandaorganen der Regierung umfunktioniert hat und auch die wichtigen Zeitungen Ungarns regierungsnahen Unternehmen gehören und streng kontrolliert werden, kann der autoritäre Regierungschef dem spendenfinanzierten YouTube-Projekt nicht so schnell den Riegel vorschieben.

Partizán fordert die machthabende politische Rechte nicht nur durch kritische Berichterstattung heraus, etwa in investigativen Formaten, mit denen es mehrmals gelang, Korruptionsskandale aufzudecken. Márton Gulyás fordert sie auch im direkten Zwiegespräch heraus, im Live-Interviewformat „Partizán Politika“ manchmal sogar über die Dauer von sechs Stunden oder länger. „Die erfolgreichsten Videos waren diejenigen, in denen ich Personen der Rechten, oder sogar der extremen Rechten, interviewt habe“, erläutert Gulyás. „Das Konzept hinter diesem Format ist simpel: Lasst uns das Verständnis dessen, was Politik ist, erweitern und mit Politik komplexer umgehen als die Mainstream-Medien in Ungarn“. 

Während des laufenden Wahlkampfs sind keine Interviews mit Überlänge möglich, jedoch kommen wöchentlich Top-Politiker ins Studio des linken YouTube-Kanals und stehen im Livestream Rede und Antwort. Mit seiner direkten konfrontativen Art macht sich der Moderator dabei nicht immer Freunde. Als er im vergangenen Jahr einen sozialistischen Politiker mit mutmaßlicher Mafiavergangenheit unverblümt ausfragte, ob er an einem Mord beteiligt gewesen sei, ging es diesem zu weit und er drohte öffentlichkeitswirkam mit einer Verleumdungsklage.

In Vorbereitung der Parlamentswahlen ist hier Katalin Juhászné Lévai, Parlamentsabgeordnete der Ungarischen Sozialistischen Partei, die Gesprächspartnerin von Márton Gulyás. Screenshot: YouTube

Aber nicht nur der Stil des Moderators Gulyás ist Partizáns Alleinstellungsmerkmal. Mit geringem Budget schafft es das Team – zu welchem mittlerweile ein weiterer Moderator und eine Moderatorin gehören – wechselnde Formate mit offensichtlich hohem Informations- und Unterhaltungswert zu produzieren. Ihnen gelingt der Spagat zwischen thematischen Nischen und Showbusiness. Nachdem in der Freitagnacht-Sendung bekannte Youtuber und Größen aus dem TV-Geschäft vor vollen Publikumsrängen und Studioband Witze machen, wird der aufmerksamkeitsökonomische Gewinn umverteilt auf investigative Recherchen, historische Reportagen und Talk-Formate wie „Spartacus“ mit einer Studio-Kulisse aus Dutzenden alten Fernsehgeräten: „Wir laden hier unterrepräsentierte Arbeiter, Experten oder Forscher ein. Die entscheidende Frage ist: Haben sie authentische, gereifte Erfahrungen oder Wissen zum Thema, über das wir berichten?“, so Gulyás.

Hohe Aufrufzahlen und Ausschüttungen von YouTube reichen aber nicht, um das Überleben des Kanals finanziell zu sichern. Den Großteil der Einnahmen erhält Partizán über die Plattform Patreon, auf der rund 5.500 „Patrons“ monatlich ingesamt 35.000 Euro spenden. Laut Gulyás gibt es aber auch eine Reihe privater Spender aus Ungarn, die nur unter Wahrung der Anonymität spenden, da sie ansonsten ökonomische Folgen fürchten. Zuletzt konnte Partizán aber auch von Unterstützung aus dem Ausland profitieren: Bei einer Ausschreibung der schwedischen Foundation for Democracy and Pluralism gewannen sie 200.000 Euro für Technik und Studio und der US-amerikanischen Think Tank NED (National Endowment for Democracy) unterstützt die Verwirklichung einer Wahl-Roadshow mit rund 90.000 Euro. Bei der Finanzierung zeigt sich das Team also kreativ – neben dem Mix aus YouTube-Einnahmen, Spenden und Ausschreibungen experimentieren sie auch mit dem Verkauf von Merchandise wie Tassen, Taschen und T-Shirts.

Partizán macht vor, wie sich innerhalb einer korrupten und großteils gleichgeschalteten Medienlandschaft politische Debatte und Meinungspluralismus wiederbeleben lassen. Während die Parteiunabhängigkeit oberstes Gebot bleibt, sucht Partizán laut Gulyás Nähe zur ungarischen Gewerkschaftsbewegung und räumt Fragen der Emanzipation ethnischer aber auch sexueller Minderheiten einen großen Platz ein – denn der Kanal sehe sich journalistischen Prinzipien verpflichtet, beziehe aber gleichzeitig Position als politischer Akteur, „bis Google irgendwann linken Content satt hat und sanktioniert“. Erstmal stehen jedoch Wahlen an und die ungeschönte Berichterstattung von Partizán darf zu den Faktoren gezählt werden, die die Wiederwahl von Orbán infragestellen.

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