Filmemacher finden Alternativen bei Produktion und Verwertung
Die Filmindustrie ändert sich rasant: Filmemacher produzieren direkt fürs Internet, Filmfirmen lassen die Postproduktion länderübergreifend erstellen. Sehgewohnheiten ändern sich ebenfalls, der Trend: alle Programme, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Das Internet als Zweitscreen ist nicht mehr wegzudenken, junge wie gestandene Filmemacher müssen sich Alternativen zum herkömmlichen, klassisch geförderten Film ausdenken und ihn dann ebenso alternativ auswerten.
Tobias Lindner hatte eine Vision: Eine Freundin erzählte ihm 2008 die merkwürdige Geschichte eines südafrikanischen Dorfes namens Orania, dessen 800 Einwohner allesamt weiß und afrikaans seien. Menschen anderer Kulturen oder Ethnien dürften dort nicht leben oder arbeiten, die Oranier wollten nicht Teil der südafrikanischen „Rainbow Nation“ sein. Auch für viele Südafrikaner ist Orania ein Skandal, zumal es erst 1991 gegründet wurde. Lindner war damals Kamerastudent und beschloss, gegen alle Widerstände in Südafrika über „Orania“ seinen Abschlussfilm zu machen. Mit 20 Minuten Rohmaterial des Filmes reiste er 2009 zu einem afrikanisch-deutschen Koproduktionstreffen nach Kamerun, um weitere Produktionsgelder und Koproduktionspartner zu akquirieren. Die dann noch fehlenden Mittel wollten sich er und sein junger Produzent Sascha Supastrapong mit seiner Firma Dreamtrader anschließend bei deutschen TV-Sendern holen. Immerhin stand die Fußball-WM in Südafrika bevor, da sollte TV-Förderung kein Problem sein. Lindner und Supastrapong beendeten die Produktion an „Orania“ schließlich ohne einen weiteren Cent Förderung. Viele Redakteure, denen das Projekt angeboten wurde, fanden es zu schwierig, oder überflüssig, da gerade viele Filme über Südafrika entstanden waren. Doch ohne Fernsehbeteiligung bei der Produktion ist es in Deutschland nahezu unmöglich, den fertigen Film an einen Sender zu verkaufen. „Bei der Anzahl der verfügbaren Sendeplätze, speziell für Filme in Langform, also über 76 Minuten, ist es schwierig etwas unterzubringen. Besonders, wenn es sich um Filme von noch unbekannten Autoren handelt“, sagte Supastrapong. Es dauerte ein weiteres Jahr und teils unbezahlte Arbeitsstunden am Schnittplatz, bis die Macher von „Orania“ den Film fertig stellen konnten. Trotz der erschwerten Arbeitsbedingungen kann Supastrapong dieser Art der Arbeit sogar noch etwas Positives abgewinnen: „Projektfinanzierung aus eigener Kraft bedeutet letztlich auch, dass wir im Vorfeld keine Rechte am Werk durch Presales (Vertriebsverhandlungen – Red.) abgeben mussten. Diese Rechte werden im Nachgang am Markt angeboten. Die Erlöse dienen dem Recoupment (quasi der Refinanzierung – Red.). Anders als bei „normal“ finanzierten Filmen, wo es gesetzlich geregelte Handlungsumlagen und Producers Fees (Producer Gebühren – Red.) gibt, lebe ich allerdings mit dem hohen Risiko, dass zukünftige Auswertungserlöse ausbleiben.“
Eigener Internet-Marktplatz
Auch Cay Wesnigk, selbst Autor, Regisseur und Mitbegründer der Onlinefilm AG, einer Internet-Filmplattform, machte aus seiner Not eine Tugend. Für unabhängige Filmemacher gab es zur Jahrtausendwende keinen Markt, bei dem interessierte Zuschauer Filme direkt von den Machern erwerben, und diese durch den Direktverkauf ihrer Filme sogar etwas verdienen konnten. Es ist ja nichts Ungewöhnliches für einen Unternehmer, Produkte herzustellen, die ihre Kosten einspielen und Gewinn erwirtschaften. Für viele Filmemacher hingegen ist das immer noch ein Traum. Wesnigk und seine Mitstreiter hatten erkannt, dass sie nur mit einem eigenen Internet-Marktplatz von ihren Werken profitieren können. Bei jedem anderen Geschäftsmodell macht der DVD-Verleiher oder der Video-on-Demand-Seller den größten Profit, der Filmer den kleinsten, wenn überhaupt noch etwas für ihn übrig bleibt.
Über die Gründung der Onlinefilm AG sagt Wesnigk: „Damals, um 2000 herum, war die Zeit des Internet-Hypes angebrochen, und viele waren angetreten, um aus Ideen, die sich aus der neuen Technologie ergaben, erst kleine Firmen und später teilweise Weltfirmen zu machen. Warum nicht auch wir Dokumentaristen?“, dachte er sich und begann mit einem Kreis von engagierten Dokfilmern an der Idee der OnlineFilm AG zu stricken. 144 Filmer und Nicht-Filmer wurden zu Aktionären, indem sie sich mit einer Einlage von jeweils 1.000 Euro beteiligten. Damit konnten sie ihre eigene Plattform starten. Da das Ganze anfangs nur nebenher laufen konnte, und die Dinge erst einmal gründlich ausdiskutiert und überlegt werden mussten, ging einige Zeit ins Land. Inzwischen platzte die Internet-Blase. Der Hype war erst einmal wieder vorbei.
Im Besitz Mehrerer
Heute, 12 Jahre später existiert auf onlinefilm.org tatsächlich das damals erträumte Netzwerk, auf der Filmemacher ihre Filme selbst weltweit vermarkten können. Jeder Filmer kann den Preis für sein Werk selbst festlegen. Mithilfe von onlinefilm.org können sich die Filmer auch bei Festivals oder bei neuen Auftraggebern bewerben – ohne eine DVD zu verschicken. Sie stellen dem Interessenten lediglich den Zugangscode zur Verfügung. Auf dieser Plattform gibt es keine Werbung, die den Käufer ablenkt und den Streaming- oder Kaufgenuss schmälert. Der Videoplayer der Seite hat nichts mit youtube zu tun und ist genau wie die Seite selbst multilingual, somit leicht verständlich für alle Interessenten. Zudem befindet sich onlinefilm.org im Besitz Mehrerer, was Ihnen ein dauerhaftes Mitspracherecht an der Gestaltung der Plattform sichert. Damit bleibt der Seite das gleiche Schicksal erspart wie das von IMDB, der internationalen Movie Database, oder auch das von youtube. Beide Firmen wurden nach ihrem weltweiten Erfolg an einen der Big Player verkauft – an Amazon bzw. Google.
Supastrapong und Lindner brannten unzählige DVDs, mit denen sie Festivals auf der ganzen Welt beschickten. Der Aufwand scheint sich gelohnt zu haben. Nachdem „Orania“ bereits als einziger deutscher Langfilmbeitrag beim Raindance Film Festival nominiert war, erhielt er eine Auszeichnung als bester Dokumentarfilm beim Dreamland International Film Festival in New Haven, CT (USA). Im Dezember lief der Film im Wettbewerb des Human-rights-Festivals in Wien. Gemeinsam mit ihrem Verleih, den die Beiden schließlich fanden, streben sie im Frühjahr einen Kinostart an. Für zukünftige Projekte wollen sie allerdings bei der Finanzierung den „klassischen Weg über die Sender und Förderungen“ gehen. Das sei „für unsere aktuellen Projekte angemessener, einfach auch um unseren Ansprüchen an Cast, Crew und Motive zu genügen und das bestmögliche Ergebnis gewährleisten zu könn
International Guide Film-Video-Festivals
Als verlässliche Orientierungshilfe über die weltweit stattfindenden Festivals hat sich der nunmehr in der 20. Ausgabe im Verlag Vistas erscheinende „International Guide Film • Video • Festivals“ etabliert.
In einzigartiger Komplexität werden die Details zu ca. 500 Festivals veröffentlicht, chronologisch nach Monaten unterteilt und alphabetisch nach ihrem Veranstaltungsort ausgelistet.
Wolfgang Samlowski (Hrsg.),
Vistas Verlag, Berlin, 2013,
ISBN 978-3-89158-578-8,
256 Seiten, 20 Euro.