Aktuelle Ansage von „Free European Media“

Journalist*innen des unabhängigen ukrainischen "Espreso TV" berichten seit dem russischen Überfall in ihren Sendungen regelmäßig über die Situation im Krieg. Screenshot: www.arte.tv

Wie steht es um die Pressefreiheit in Polen? Was wird der European Media Freedom Act (EMFA) bringen, mit dem die EU-Kommission Pluralismus und Unabhängigkeit der Medien unterstützen will? Das waren Schwerpunkte in Vorbereitung des „Free European Media 2022“-Kongresses in Gdansk am 17./18. März. Nach dem Angriff der russischen Armee auf die Ukraine wurde das Programm umgestellt. In einer Resolution verurteilten die rund 150 Teilnehmenden den Krieg und forderten wirksame Maßnahmen für den Schutz der Pressefreiheit und der Journalist*innen.

Auf einem Podium trafen sich am ersten Tag Journalist*innen aus der Ukraine, aber auch aus Russland, Belarus und Moldau und debattierten die aktuelle Situation. Dabei wurde klar: Journalist*innen befinden sich in extremer Gefahr. Schon nach der Annektion der Krim seien Medienleute verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Auch jetzt müsse man davon ausgehen, dass Berichterstatter*innen besonders im Visier von Militärs und Geheimdiensten seien. Bedroht seien nicht nur die ukrainischen Kolleg*innen, sondern auch die aus Belarus geflüchteten. Russische Kolleg*innen, die von der vom Kreml verlangten offizielle Darstellung abweichen, müssen mit langen Haftstrafen rechnen.

Medienarbeit und Krieg

Aus Sorge um die Sicherheit der Teilnehmer*innen war man übereingekommen, die Live-Übertragung der Konferenz im Netz an diesem Abend zu stoppen und die Namen der Podiumsredner*innen nicht zu nennen. „Die Intensität der Propaganda ist unglaublich hoch. Das könnt ihr euch nicht vorstellen“, sagte ein Vertreter aus Russland. 87 Prozent der russischen Bevölkerung nutzten als einzige Informationsquelle das Fernsehen. Viele Medienleute würden sich andere Jobs suchen oder das Land verlassen. „Es gibt keinen freien Journalismus mehr in Russland“, bestätigte eine Kollegin. Wie eine Teilnehmerin aus der Republik Moldau berichtete, bekämen die russischen Medien in ihrem Land starke finanzielle Unterstützung aus Moskau. Auch hier laufe die Propaganda auf vollen Touren.

Adrien Collin von der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF) bestätigte anderntags, seine Organisation gehe davon aus, dass mindestens tausend Kolleg*innen aus der Ukraine fliehen werden. Sechs Organisationen, darunter die EJF, haben sich 2020 in der Media Freedom Rapid Response zusammengeschlossen. Sie stimmen sich ab und sind bestrebt, effektive Hilfe zu leisten. Beim abendlichen Podium im European Solidarity Center waren sich die Teilnehmer*innen einig, dass man Kontakt halten und ein Netzwerk knüpfen wolle. „Wir müssen tragfähige Strukturen schaffen“, betonte eine Teilnehmerin aus Belarus. Sie geht davon aus, dass man einen großen Durchhaltewillen braucht: „Das ist nicht bald zu Ende.“

In der von der Konferenz verabschiedeten Resolution wird insbesondere darauf hingewiesen, dass ukrainische Journalist*innen geschützt werden müssen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können. Die bedrohten Kolleg*innen aus Belarus seien dringend auf weitere Unterstützung angewiesen. Unabhängige Journalist*innen in Russland bräuchten Stipendien und Berufsausbildung an europäischen Bildungseinrichtungen. Erneuert wurde der Appell der EJF an europäische Regierungen, Visa für bedrohte russische und belarussische Kolleg*innen und ihre Angehörigen bereitzustellen. Nötig sei darüber hinaus, dass ukrainische Banken die Konten aller belarussischen Journalist*innen freigeben, die sonst keinen Zugriff mehr auf ihre Einkünfte und Ersparnisse haben. Angesichts der dramatischen Verhältnisse müsse die berufliche Zusammenarbeit zwischen Medienleuten in der gesamten Region gefördert werden, die auch Länder wie Georgien und die baltischen Staaten umfasst.

Polen weiter im Blickpunkt

Auch wenn die aktuelle Situation rund um den Krieg in der Ukraine und um Sicherheitsfragen großen Raum einnahmen: Die ursprünglichen Themen wurden deswegen nicht vergessen. Polen bleibt weiter im Blickpunkt. Die dazu erwartete kontroverse Debatte kam zwar nicht zustande, weil die Befürworter des Regierungs-Kurses wegen eines Bahnstreiks festsaßen und nicht nach Gdansk gelangten. Die Kritiker jedoch formulierten ihren Standpunkt unmissverständlich: Freie und unabhängige Berichterstattung ist eine Grundlage der Demokratie. Wer sie antastet, verstößt gegen die Prinzipien der EU. Dass die Lex TVN gescheitert ist, mit der regierungskritische Berichterstattung unterbunden werden sollte, wurde mit Genugtuung aufgenommen. Dem Sender hatte ein Entzug der Sendelizenz gedroht, doch das war abgewendet worden.

Chris Bobinski von der Society of Journalists empfiehlt der EU, die regionalen und lokalen Medien mit Programmen zu unterstützen. Vaclav Stetka von der Loughborough University kommt in einer Studie zum selben Schluss. Was den Druck der EU auf die polnische Regierung angeht, waren die Teilnehmer des Podiums unterschiedlicher Ansicht. Moderator Grzegorz Nawrocki glaubt, dass sich die Regierungspartei nicht groß um Kritik aus Brüssel schert. Joanna Szymanska von der Organisation Article 19 ist ähnlicher Auffassung. Die polnische Regierung sei Meisterin in der Kunst des Ignorierens. Auch den geplanten Media Freedom Act werde sie vermutlich nicht umsetzen. Chris Bobinski hingegen ist dankbar für jede Intervention: „Das ist wie mit einem Steinchen im Schuh. Es ist klein und lästig, aber bei jedem Schritt wird man unangenehm daran erinnert.“ Und anders als das Steinchen werde man die EU nicht so einfach los. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es aussehen würde ohne diesen Druck.“

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova war den Teilnehmer*innen von „Free European Media“ zugeschaltet. Screenshot: https://europeanjournalists.org

Der European Media Freedom Act war der eigentliche Anlass für die Teilnahmezusage der Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourova gewesen und ist von hoher Bedeutung für die Medienlandschaft. Es geht um Transparenz durch Offenlegung der Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse, Förderung des Pluralismus, aber auch die Frage „Selbstregulierung (Presserat!) oder staatliche Eingriffe“? Bis 19. März konnten sich Bürger an einer Online-Umfrage beteiligen. Ziemlich bald will die EU-Kommissarin ihren Entwurf vorlegen, der schon im Sommer verabschiedet werden könnte. Teilnehmer*innen eines Panels gaben sich offen. Die bisherigen Empfehlungen würden in manchen Ländern kaum beachtet. Eine Richtlinie könne sich durchaus positiv auswirken. Jourova äußerte sich ausführlich zum Krieg in der Ukraine. „Putin nutzt Lügen als Waffe. Journalist*innen riskieren ihr Leben. Doch immer noch gibt es tapfere Stimmen.“ EJF-Präsident Mogens Blicher Bjerregard pflichtete bei, erinnerte aber auch die Konsequenzen für die Medienleute: „15 Jahre Haft, wenn man die Wahrheit sagt.“

Die Konferenz wurde von Free Europan Media und der Europäischen Journalistenföderation (EJF) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission (EK), dem Europarat (CoE), dem Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF), dem Nordischen Ministerrat (NMR), dem Nordischen Journalistenzentrum (NJC), der Woiwodschaft Pomorskie, dem Europäischen Solidaritätszentrum (ESC) und der Stadt Gdansk organisiert. Über 150 Journalisten, Vertreter von Journalisten-Organisationen und Presseräten sowie Akademiker, Politiker und Aktivisten der Zivilgesellschaft waren zur zweiten Auflage der Konferenz über freie europäische Medien an die polnische Ostseeküste gereist und trafen im Solidarność-Zentrum in Danzig zusammen.

Autor Joachim Kreibich gehört dem Bundesvorstand dju in ver.di an und ist Mitglied des Vorstands der European Federation of Journalists (EJF).

 

 

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