Die Berliner Polizei ist wegen des Umgangs mit Journalist*innen auf einer propalästinensischen Demonstration am vergangenen Wochenende in der Kritik. In einer Pressemitteilung teilt die Behörde mit, der Versammlungsleiter habe „von seinem ihm obliegenden Recht aus dem Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin Gebrauch“ gemacht und zwei Pressevertreter von der Versammlung ausgeschlossen. Aber war das auch rechtens?
Meinung
Im Nachhinein rechtfertigt die Berliner Polizei ihr Vorgehen. Nach § 7 Abs. 4 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG Berlin) dürfe die Versammlungsleitung Personen, die die Ordnung der Versammlung erheblich stören, ausschließen. Da handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver. Der Verweis auf die Gesetzeslage soll das inakzeptable Vorgehen der Behörde rechtfertigen. Bei genauer Betrachtung konnte der Versammlungsleiter so gar nicht vorgehen.
Das Ausschlussrecht der Leitung ist ein Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Versammlung. Es bezieht sich aber nur auf die Versammlung selbst. Das zeigt sich unter anderem daran, dass nur Teilnehmende die Anweisungen der Versammlungsleitung zu befolgen haben (§ 7 Abs. 3 VersFG Berlin). Es wäre kaum nachvollziehbar, dass die Leitung gegenüber Anwesenden keine Anweisungen erteilen darf, aber zum – weitaus schwerwiegenderen – Mittel des Ausschlusses greifen dürfte. Der Ausschluss aus einer Versammlung setzt daher voraus, dass die betreffende Person als Teilnehmer*in zu qualifizieren ist.
Trifft dies auf Journalist*innen zu? Dies regelt das Gesetz nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber aus folgender Überlegung: Die Anwesenheit von Journalist*innen bei einer Versammlung ist nicht darauf gerichtet, mit anderen gemeinschaftlich an der öffentlichen Meinungsbildung teilhaben zu wollen (siehe § 2 Abs. 1 VersFG Berlin). Auch ein Blick auf § 21 Abs. 2 VersFG Berlin hilft weiter. Die Vorschrift beschäftigt sich mit der Anwesenheit der Presse bei Versammlungen in geschlossenen Räumen. Die Leitung einer öffentlichen Versammlung in geschlossenen Räumen darf hiernach die Anwesenheit von Vertretenden der Medien nicht unterbinden. Daraus ergibt sich, dass Journalist*innen jedenfalls bei solchen Versammlungen nicht als Teilnehmende anzusehen sind. In Bezug auf Versammlungen, die unter freiem Himmel stattfinden, kann nichts anderes gelten. Indem sie dokumentieren, beobachten oder interviewen, sind Journalist*innen Anwesende und nicht Teilnehmende.
Die Rechtsauffassung der Berliner Polizei ist aber auch aus einem zweiten Grund zweifelhaft. Denn die Versammlungsleitung darf einen Ausschluss nur gegenüber Personen aussprechen, die „die Ordnung der Versammlung erheblich stören“. Das Filmen und Fotografieren durch Journalist*innen müsste also als „erhebliche Störung“ in diesem Sinne anzusehen sein.
Auch wenn das Ausschlussrecht das Selbstbestimmungsrecht der Versammlung betrifft – grenzenlos ist es nicht. Die Entscheidung der Versammlungsleitung muss immer auch das entgegenstehende Interesse an der Anwesenheit berücksichtigen. Die Pressefreiheit strahlt an dieser Stelle auf die Entscheidung der Versammlungsleitung aus. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist relevant, dass Journalist*innen eine gesetzlich zulässige und nach Art. 5 des Grundgesetzes geschützte Tätigkeit wahrnehmen. Durch ihre Tätigkeit stören Journalist*innen nicht. Erst die Handgreiflichkeiten der Teilnehmenden sind es, die einen ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung beeinträchtigen können. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob der Ausschluss nicht vorrangig gegenüber den Personen hätte ausgesprochen werden müssen, die aggressiv versuchten, die Berichterstattung zu unterbinden.
Es mag sein, dass die Polizei die Rechtslage nicht sofort einschätzen konnte. Der Vorgang zeigt aber, dass es nach wie vor an einer ausreichenden Sensibilität für den Umgang mit Journalist*innen fehlt. Von einer Behörde ist zu erwarten, dass sie sich für die Pressefreiheit einsetzt. Mahnende Worte gegenüber der Versammlungsleitung, die Berichterstattung zu gewährleisten oder sich zu mäßigen, sind auf den im Internet kursierenden Videos nicht zu sehen. Es ist kleinmütig, die Verantwortung im Nachhinein auf das Gesetz zu schieben, statt sich kritisch mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen.