Der kurze und pointierte Blick in die Zeitung

Illustration: dieKleinert/Daniel Matzenbacher

Newsletter boomen – ihr Potenzial scheint unbegrenzt

Eines ist mal klar: Der Kanzler mag sie nicht, die kleine, kompakte, pointierte Form der großen Zeitung, den Newsletter. Wenn digital, liest er die richtige Zeitung, sprich das ePaper. Wieviel Zeit dafür bleibt neben den Kanzlermappen des Bundespresseamtes und bei allen Terminen, verriet er beim Kongress des Verbandes der Lokalzeitungen Anfang Juni nicht.

Dabei sind Newsletter gefühlt immer und überall präsent und nicht mehr wegzudenken aus dem alltäglichen medialen Angebot. Sie sind direkter in der Ansprache und Tonalität und viel persönlicher, verschaffen einen Überblick, verweisen und verlinken und sind oftmals meinungsstärker als vieles in der Zeitung. Mittlerweile kommen sie zu unterschiedlichen Tageszeiten, in verschiedenen Erscheinungsrhythmen und zu ganz unterschiedlichen Themen kostenlos oder bezahlt ins heimische Postfach. Obwohl die E-Mail, ihr Versandmedium, zwischenzeitlich schon mal abgeschrieben war. Mit dem einfachen Massenbrief ist bislang noch kein Newsletter an der IT gescheitert. Mittlerweile bieten alle Zeitungen mindestens einen Newsletter, heißt es beim Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Zahlungsaufforderungen erwartet man bei Newslettern weniger, gehe es doch vorrangig darum, tragfähige Paid-Content-Modelle für die Digitalzeitungen zu entwickeln und sich hier nicht eigene Konkurrenz zu schaffen. Auf die vorhandenen Paid-Angebote solle der Newsletter dann aufmerksam machen, sagt der Leiter Digitales beim Verband. Auch könnte der Newsletter wichtig sein, um Rituale zu entwickeln und Paid-Content-Angebote zu pushen.

Gerade bietet der Mediendienst turi einen Überblick zur Historie und Vielfalt der Newsletter. Denn im Mai vor 15 Jahren schickte Peter Turi „eine Sammlung kommentierter Links per Mail an einige Dutzend Medienmacher*innen“. Für viele Newsletter-Macher*-innen wird das wenig später (25. Juni 2007) erscheinende, schnelle, einfache und persönliche „Playbook“ des damaligen Chefreporters Mike Allen von „Politico“ in Washington zum Vorbild. turi2 stellte die Anfänge zusammen: Als erste überregionale Zeitung startete Springers „Welt“ Ende August 2009 mit der „Welt Lage“, verlangte dafür dann einen monatlichen Obolus, machte aber zum Jahresende wieder dicht. Auf den E-Mail-Wahlkampf von Barack Obama 2008 als Anregung beruft sich Gabor Steingart, der im April 2011 für das „Handelsblatt“ sein Morning Briefing startete, das nach dessen Abgang Hans-Jürgen Jakobs übernahm. Im Juni 2013 legte „Bild“ den Morgen-Newsletter „heute wichtig“ auf, im März 2015 startete „SZ Espresso“, im Juni 2015 die „FAZ“ mit „Hauptwache“, im Februar 2016 „Der Spiegel“ mit „Die Lage“, im September 2017 Ulf Porschardt für die Welt den Mittags-Newsletter „5 nach 12“.

Doch auch regional machen Newsletter Furore. Ein Beispiel ist der mittlerweile preisgekrönte Morgen-Newsletter „Checkpoint“ vom Berliner „Tagesspiegel“, den Chefredakteur Lorenz Maroldt seit 24. November 2014 schreibt, mittlerweile in einem Team von drei bis vier Kolleg*innen, wie er bei turi2 erzählt. Was sich oftmals locker und leicht liest, sei hart erarbeitet.

Instrument für Digitalabos

Die Liste der „Tagesspiegel“-Newsletter ist mittlerweile ziemlich umfangreich: neben dem täglich um 6 Uhr abrufbaren „Checkpoint“ mit 133.000 Leser*innen kommen „Tagesspiegel Leute“ jede Woche aus den Bezirken, die tägliche „Tagesspiegel Morgenlage & Abendlage“, der „Tagesspiegel Washington Weekly“, der „Tagesspiegel Ehrensache“ oder der monatliche „Queerspiegel“.

Bei der „Sächsischen Zeitung“ in Dresden gibt es derzeit 13 redaktionelle Newsletter. Und die leben von den Gesichtern der Journalist*innen vor Ort, gibt Marc Hippler, Heard of Digital im letzten BDZV-Jahresbericht zu Protokoll. „Und deshalb sind Newsletter für uns ein gutes Instrument, die Haltbarkeit von Digitalabos zu erhöhen.“ Sie spielen „im Konzert aus einem attraktiven Portal, Social Media, Push-Mitteilungen und Aggregatoren eine besonders wichtige Rolle, um neue Abonnent*innen zu gewinnen und bestehende zu halten.“

Bei der „Sächsischen Zeitung“ habe man gute Erfahrungen mit lokalen Newslettern in den Abendstunden nach 18 Uhr gemacht. Eine höhere Öffnungsrate könnte „an weniger Konkurrenz im Postfach liegen, an der ausgeruhten Feierabendstimmung und am Wunsch, am Ende des Tages noch einmal alles Wichtige auf einem Blick zu haben.“ Hippler vergleicht das ein bisschen mit dem Erfolg der „Tagesschau“. Und er erklärt weiter, dass Kontext und Bündelung eine wichtige Rolle spielten. „Durch die Software Piano spielen wir Newsletter-Werbung in passenden Artikeln aus. Wer einen Artikel über Dynamo Dresden liest, interessiert sich womöglich für unseren Schwarz-Gelb-Newsletter. Umgekehrt experimentieren wir mit Popup-Newslettern zu bestimmten Themen. Zum ersten Mal haben wir das vor einem Jahr mit dem Corona-Virus-Newsletter gemacht – und wussten damals nicht, dass er länger als ein Jahr leben würde.“ Dieser Erfolg lasse sich auf andere Themen übertragen. Dadurch ließen sich spitzere Zielgruppen erreichen und zugleich auch die Lebensdauer der Inhalte verlängern.

Newsletter auch bei Lokalzeitungen

Für ihn seien die dunklen Augenringe von Lorenz Maroldt immer das „mahnende Beispiel“ gewesen, sagt Joachim Braun, Chefredakteur der „Ostfriesen-Zeitung“ (OZ). Er startete „Moin Ostfriesland“ im März 2020. Der Newsletter erscheint von montags bis freitags pünktlich um 6.26 Uhr. Heute schreibt er ihn zu 80 Prozent selbst und, um trotz aller Leidenschaft die Maroldtschen Augenringe zu verhindern, abends zwischen 21 und 23 Uhr. Auch aus seiner Sicht muss eine Tageszeitung heute solche Beiboote haben. Mit dem Start wollte er zum einen Leser*innen noch stärker zu Fans der Zeitung machen, zum anderen neue Leute erreichen. Letzteres erweise sich allerdings als schwierig.

Newsletter leben von der persönlichen Ansprache, sagt Braun. Hier kommentiere er viel stärker als in der Zeitung insgesamt. Deswegen spiele es eine Rolle, wer schreibe. Was die Themen anbelangt, ist er überzeugt: „Am Newsletter erkennt man, ob die Zeitung interessant ist oder nicht.“ Die Qualität der Beiträge in der Zeitung bestimme durch die Verlinkung auch die Qualität des Newsletters. Zugleich würden Redakteur*innen innerhalb des Newsletters zu Marken aufgebaut. Braun ist davon überzeugt, dass die Zeitung perspektivisch stärker personalisiert werde. Dafür machte er sich schon auf früheren Chefredakteursposten stark. Als vor einem Jahr die OZ-Website neu gestaltet wurde, sei eine Rubrik eingeführt worden, wo Nutzer*-innen direkt nach den Redakteur*innen suchen können. Mittlerweile hat die OZ auch lokale Newsletter für Leer, Emden und Aurich, die je einmal in der Woche erscheinen. Auch einen Sport-Newsletter können Interessierte abrufen. Derzeit werde über Newsletter zu Themen wie Familie oder Garten nachgedacht.

Wie Maroldt oder Hippler sieht auch Braun keine Gefahr, dass Newsletter die Zeitung kannibalisieren könnten. Stattdessen mache man viele auf die Zeitung und bestimmte Beiträge aufmerksam. Zumal innerhalb des Newsletters auch zu kostenpflichtigen Artikeln verlinkt werde. Wobei Braun einräumt, dass lediglich etwa drei Prozent das anklickten. Er habe rund 3.200 Stammleser, das seien „sehr stark Nachrichteninteressierte“. Und er ist sicher, dass das externe Verlinken zum „Spiegel“ oder der „New York Times“ in seinen Newsletter den Leser*innen den „Eindruck von großer weiter Welt“ vermittelt.

Andersherum schreiben Journalist*innen nicht nur Newsletter, sondern sind auch Nutznießer der zusammenfassenden Form, die oftmals Hinweise, Orientierung und Recherchetipps offenbaren. Direkt für Medienjournalist*innen bietet sich eine Vielzahl solch komprimierter Mails an, neben turi2 die vom NDR-Medienmagazin Zapp, von Meedia, DWDL, kress oder Horizont. Und gegen die Augenringe der Redakteur*-innen könnte zumindest die automatisierte Ausspielung der Beiträge helfen, wie das die „Badische Zeitung“ bei ihrem Abend-Newsletter „BZ am Abend“ umsetzt. Eine Stunde vor Versand selektiert ein Algorithmus anhand aktueller Traffic-Daten von Piano die populärsten Stücke der vergangenen 24 Stunden. Viele Artikel können postzahlgenau zugeordnet werden.

Im Übrigen erreicht Gabor Steingart mit seinem Medienmarke „The Pioneer“ am Morgen eine halbe Million Leser*innen. Im turi2-Interview gibt er sich überzeugt, mit seinen Newslettern, Podcasts und Videos „mittelfristig das Potenzial oberhalb von ‚Handelsblatt‘, ‚FAZ‘ und ‚SZ‘“ erreichen zu können. Zeitungen nennt er „die Höhlenmalerei des Mediengeschäfts.“ Weit weniger provokativ formuliert Hippler: „Ich glaube, die Liebe zu Newslettern blüht gerade erst so richtig auf.

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