Sieg gegen Springer um Nachvergütung

Bild: 123rf

Die Axel Springer Mediahouse ist nicht befugt, ältere Texte freier Autor*innen ohne Genehmigung und Honorarzahlung im Online-Archiv „Rewind“ (mit allen Ausgaben des „Musikexpress“) zu vermarkten. Das war der Tenor eines Urteils, das der Journalist und Buchautor Rainer Jogschies vor zwei Jahren vor dem Landgericht Hamburg erstritt. Der Konzern wollte das nicht akzeptieren und ging in Berufung. Und „verlor“ abermals: Das Hamburgische Oberlandesgericht wollte die Widerklage abweisen – doch die Springer-Anwälte zogen vor der Verkündung Ende August selber zurück. Somit gilt nun das Urteil aus erster Instanz.

Angestrengt hatte Jogschies die Klage bereits vor mehr als vier Jahren. Er war damals zufällig darauf gestoßen, dass in „Rewind“, einem digitalen bezahlpflichtigen Archiv, diverse Texte erschienen, die er in den 1970er und 1980er Jahren für das Musikmagazin Musikexpress“ verfasst hatte. Diese Zeitschrift steht nach mehrfachem, unbelegten Besitzerwechseln inzwischen unter Kontrolle von Axel Springer Mediahouse. Eine Vergütung der digitalen Nutzung seiner Magazinbeiträge lehnte Springer kategorisch ab. Diese Art der Nutzung, so der Verlag, sei „in der modernen Vertriebsrealität der Verlage üblicherweise mit dem Ersthonorar abgegolten“.

Damit mochte sich Jogschies indes nicht abfinden. Mit Unterstützung von ver.di reichte er Klage ein, und zwar sowohl auf Unterlassung der inkriminierten Praxis als auch auf angemessenen Schadensersatz. Und hatte Erfolg. „Die Beklagte hat widerrechtlich das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung des Klägers i.S.d. § 19a UrhG verletzt“, lautet einer der Kernsätze des Urteils. (https://mmm.verdi.de/recht/teilsieg-im-streit-um-textvermarktung-67899)

Der Gang durch die Instanzen erforderte bei Jogschies einen langen Atem und starke Nerven. Da es sich um einen Grundsatzstreit mit potentiell gravierenden finanziellen Folgen für den Verlag handelte, mobilisierte Springer eine ganze Armada von Anwälten der Kanzlei Raue, um ihn einzuschüchtern und zu entmutigen.

Im Grunde verhielt sich der Konzern ganz im Stil eines SLAPP-Verfahrens, wenngleich mit umgekehrter Rollenverteilung.  Typischerweise geht es bei SLAPP ja nicht darum, ob eine Klage realistische Erfolgsaussichten hat, sondern darum, den Beklagten durch die zu befürchtenden Prozesskosten und den hohen Aufwand eines Gerichtsverfahrens dazu zu bringen, „freiwillig“ seine Tätigkeit einzustellen. Eine SLAPP kann auch dazu führen, dass andere davon abgehalten werden, sich an der Debatte zu beteiligen.

Auch Jogschies sah sich im Prozessverlauf einigen Schikanen und Zumutungen ausgesetzt. So machte das Landgericht ihm zur Auflage, für die Ladung von Zeugen (ehemalige publizistische Mitstreiter bei „Sounds“ und „Musikexpress“) in Vorkasse zu gehen – mit einem Betrag von 4.600 Euro.  Ersatzweise stellte man ihm anheim, die vom Gericht ausgewählten Zeugen um eine schriftliche „Verzichtserklärung“ für Reisekosten und Verdienstausfall zu bitten. Manch einer wäre bei dieser für einen freien Autoren bedrohlichen Perspektive eingenickt und hätte zurückgezogen. Doch Jogschies‘ Beharrlichkeit zahlt sich nun aus.

„Die Beklagte“, der Beschluss des OLG Hamburg, „wird des Rechtsmittels der Berufung für verlustig erklärt“ und habe „die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen“. Denn Springer zog kurz darauf die Berufung zurück. Jetzt geht der Kasus zurück ans Landgericht. Das muss nun letztinstanzlich über die Höhe des Schadensersatzes entscheiden, die Jogschies zusteht.

Wie hoch die wohl ausfallen wird? Eine spannende Frage. Gestützt auf die von dju in verd.di  und DJV entwickelten „Vertragsbedingungen und Honorare für die Nutzung freier journalistischer Beiträge“ hatte Jogschies‘ Anwältin (Silke Kirberg) im Laufe des Verfahrens einen Anspruch in Höhe von knapp 6.600 Euro zuzüglich Zinsen errechnet. Was von der zur „Welt“-Gruppe gehörenden Axel Springer Mediahouse zunächst als „fernab von der Realität“ abgewiesen wurde.

Immerhin: Im Laufe der Güteverhandlungen hatte Springer seine ursprüngliche Null-Offerte auf bis zu 5.000 Euro gesteigert – als „Vergleich“ gegen eine Schweigepflicht.

Vor dem langen Weg durch die Instanzen hatte Rainer Jogschies andere von solchem Honorarklau betroffene Kolleg*innen aufgefordert, sich der Klage solidarisch anzuschließen. Niemand traute sich, wohl wegen ungewisser Erfolgsaussichten eines solchen Duells David gegen Goliath. Angesichts des juristischen Siegs hofft er, dass auch andere nun ihre Rechte einklagen. „Mein Beispiel“, so Jogschies, „zeigt, dass es sich lohnt, Verlagen wie Springer nicht einfach Kohle zu schenken“.

 

 

 

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