Mitarbeiterin klagte auf Teilnahme am Abfindungsprogramm
Müssen Mitarbeiter*innen in Elternzeit die Chance zur Teilnahme bekommen und dafür ggf. vom Arbeitgeber aktiv informiert werden, wenn dies ihre einzige Möglichkeit ist, von seinem Abfindungsprogramm mit Meldefrist zu erfahren, mit dem er sozialverträglich Personal abbauen und betriebsbedingte Kündigungen vermeiden will? Über diese Frage hatte das Arbeitsgericht in Hamburg am 22. November zu entscheiden. Geklagt hat eine Mitarbeiterin der RTL-Tochter AdAlliance GmbH, die seit der Übernahme zahlreicher Mitarbeiter*innen von Gruner + Jahr im Frühjahr 2021 auch das Anzeigengeschäft von „Stern“, „Gala“, „Brigitte“ & Co betreut.
Die Klägerin sieht sich aus Gründen, die auf ihrer Mutterschaft beruhen, vom neuen Arbeitgeber diskriminiert. RTL Deutschland habe ihr mit Hinweis auf die abgelaufene Meldefrist die Teilnahme am Abfindungsprogramm verwehrt, erklärt sie. Das sei nicht rechtens. Viele Kolleg*innen aus ihrer Abteilung mit vergleichbarem Status und Aufgabengebiet hätten daran teilgenommen. Ablehnungen von Seiten des Arbeitgebers hatte es nach ihrem Wissen nicht gegeben.
Die junge Frau befand sich in Elternzeit und hatte aus technischen Gründen keinen Zugang zum Intranet von RTL. So hatte sie keine Chance, während der Antragsfrist vom Programm zu erfahren. Nicht zuletzt zur Vermeidung solcher Diskriminierungen hätte es bei Gruner + Jahr, wo die Klägerin vor der Übernahme durch RTL angestellt war, eine Betriebsvereinbarung gegeben, nach der Mitarbeiter*innen in Elternzeit im Fall von grundlegenden Veränderungen der Abteilungsstruktur informiert und individuell zu entsprechenden Veranstaltungen eingeladen werden mussten.
Auch aus Sicht des Anwalts der Klägerin, Nils Bremann, verstößt RTL klar gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und stellt seine Mandantin ohne Angabe stichhaltiger Gründe schlechter als ihre vergleichbaren Kolleg*innen: „Wäre meine Mandantin nicht in Elternzeit gewesen oder hätte sie Zugang ins Intranet gehabt, hätte sie frei nach ihren Wünschen entscheiden können, ob sie sich beruflich neu orientieren und das Unternehmen verlassen möchte. Und sie wäre dann selbstverständlich wie ihre Kolleg*innen abgefunden worden.“ Die Betriebsvereinbarung sähe nämlich vor, dass die Teilnahme am Abfindungsprogramm nur aus sachlichen Gründen verwehrt werden konnte. Dazu zählen eine Expertise, die nicht in einer angemessenen Frist ersetzt werden könne, oder eine Überlastung des Teams, die nur mit unangemessen hohem Aufwand aufzufangen wäre. All dies und ähnliche Gründe träfen auf seine Mandantin nicht zu, betont Bremann.
Der Anwalt von RTL vermittelte in der Verhandlung den Eindruck, als wäre die sachbezogene Begründung zweitrangig für die Entscheidung, die Klägerin nicht ins Abfindungsprogramm aufzunehmen. Die Arbeitgeberin wolle das Arbeitsverhältnis fortsetzen und brauche dies nicht zu begründen. Seine Argumentation in Kürze: Mit dem Konzernbetriebsrat wäre vereinbart worden, dass Mitarbeiter*innen nicht individuell auf das Abfindungsprogramm angesprochen werden sollen – eine Passage, die wohl auf Wunsch des Betriebsrats aufgenommen worden war, der verhindern wollte, dass durch die direkte Ansprache Druck auf einzelne Kolleg*innen ausgeübt werden könnte. Außerdem bestünde laut der maßgeblichen Betriebsvereinbarung kein individueller Anspruch auf Teilnahme am Abfindungsprogramm. Es wäre ausdrücklich festgeschrieben worden, dass das Letztentscheidungsrecht beim Arbeitgeber läge. Das sei Teil seiner unternehmerischen Freiheit.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Während der Verhandlung deutete die Vorsitzende Richterin jedoch bereits an, dass sie eher der Argumentation des Arbeitgebers folgt und keinen individuellen Anspruch der Klägerin sieht. Ohne die ausführliche Begründung bleibt abzuwarten, ob das Gericht unter anderem den Umstand genügend gewürdigt hat, dass die Klägerin anders als ihre Kolleg*innen keine Möglichkeit hatte, während der Antragsfrist vom Abfindungsprogramm zu erfahren. In dieser Kürze scheint der Richterspruch zumindest fragwürdig, stellt er doch die unternehmerische Freiheit über das Diskriminierungsverbot und konterkariert letzteres damit. Das Hamburger Arbeitsgericht widerspräche damit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.04.2016 (AZ: 1 AZR 435/14), das auch bei Konflikten zwischen Betriebsvereinbarungen und Gleichbehandlungsgrundsatz letzterem den Vorrang gibt. Auch Betriebsparteien unterliegen demnach dem (betriebsverfassungsrechtlichen) Gleichbehandlungsgrundsatz. „Eine Missachtung dieses Grundsatzes kann dazu führen, dass die benachteiligte Gruppe die ihnen vorenthaltenen Leistungen dennoch beanspruchen können.“ Bremann wartet nun auf die genaue Begründung des Hamburger Arbeitsgerichts und will ggf. Berufung einlegen.