Marcela Turati gehört zu den bekanntesten Journalistinnen Mexikos. Derzeit ist die investigative Berichterstatterin zu Besuch in Deutschland, um die „Theodor Heuss Medaille“ entgegenzunehmen, aber auch um über die Situation in Mexiko zu informieren. Mit mindestens 11 ermordeten sowie 28 verschwundenen Reporter*innen ist Mexiko das gefährlichste Land der Welt für Journalist*innen außerhalb von Kriegszonen, so Reporter ohne Grenzen (RSF). Daran ist die Regierung nicht unschuldig, so Turati.
Internationale Preise sind für Marcela Turati viel mehr als nur Anerkennung für ihre Arbeit. Sie machen sichtbar, womit sich die 48-jährige investigative Journalistin und ihr Recherche-Kollektiv aus Mexiko Stadt beschäftigt: das „gewaltsame Verschwindenlassen“ von Menschen in Mexiko mit all seinen Facetten. „Wir dokumentieren, beleuchten Hintergründe und Interessen, machen sichtbar, dass mehr als 115.000 Menschen seit 2006 gewaltsam verschwanden“, so Turati. Damals erklärte Präsident Felipe Calderón den Drogen-Kartellen den Krieg und Turati wurde als Reporterin bei der Tageszeitung „La Reforma“ mit den ersten Fällen des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ konfrontiert.
Das hat Turati geprägt, sie und ihr Netzwerk von Kolleg*innen immer wieder in Regionen geführt, wo sie alles andere als sicher sind. „Bekannt zu sein, schützt aber nicht vor Gewalt“, meint Turati und führt das Beispiel ihres Kollegen Javier Valdez an. „Javier war prominent, kaum ein Pressekongress fand ohne ihn statt, etliche Medienpreise hat er erhalten und trotzdem wurde er am helllichten Tag in Culiacán 2017 nieder geschossen“. Culiacán heißt die Hauptstadt des Bundesstaates Sinaloa, nach dem das Sinaloa-Kartell von Joaquín „El Chapo“ Guzmann benannt ist. Laut der Staatsanwaltschaft war es für den Mord an dem unbequemen Journalisten, der das Wochenmagazin „Riodoce“ gegründet und dort en detail über Korruption und organisierte Kriminalität berichtete, verantwortlich. Dieser Mord an einem Berichterstatter gehört zu den wenigen, die in Mexiko aufgeklärt und mit einem Urteil geahndet wurden.
Kein Schutz durch den Staat
Straflosigkeit ist eines der gravierenden Probleme mit denen Mexikos Medienschaffende konfrontiert sind. Ein weiteres ist die permanente Unsicherheit und der schlecht funktionierende staatliche Schutzmechanismus. Rubén Espinosa, Fotograf aus Veracruz, floh 2015 in Mexikos Hauptstadt und wurde dort ermordet – obwohl er um Schutz gebeten hatte. Zwei Beispiele, die Marcela Turati zweifeln lassen, welche Vorkehrungen für persönliche Sicherheit sorgen. Für sie ist es ohnehin obligatorisch Mobiltelefone bei wichtigen Treffen mit Kolleg*innen, Forensiker*innen und anderen Spezialist*innen in den Kühlschrank oder der Mikrowelle zu deponieren. „Das Abhören ist in Mexiko ein Problem auf lokaler, regionaler, aber auch auf bundesstaatlicher Ebene“, klagt Turati. Sie wurde 2015 mit der Spionage-Software Pegasus ausgekundschaftet, die laut dem israelischen Hersteller nur an Regierungen verkauft wird. Doch in Mexiko kursieren etliche vergleichbare Programme, die auch von der Armee genutzt werden.
Medienschaffende beschimpft und beleidigt
Viele investigativ recherchierende Kolleg*innen arbeiten mit oder im Umfeld von „Quinto Elemento Lab“, einer Rechercheplattform, die Turati vor einigen Jahren mitgegründet hat und bei der sie derzeit als Projektkoordinatorin arbeitet. Finanziert wird das Lab aus dem Ausland von der Ford-Stiftung, der Open Society Foundation und anderen Stiftungen, wodurch es Recherchestipendien anbieten kann. Die sind generell gefragt in Mexiko. Nur wenn es um Korruption in Regierungskreisen oder beim Militär geht, ist die Resonanz bei Journalist*innen, sich um ein Stipendium zu bewerben, verhalten, berichtet Turati. Das hat Gründe und Präsident Andrés Manuel López Oprador ist einer davon. Wiederholt ist er in seinen morgendlichen Presserunden, „mañaneras“, verbal auf Medienschaffende losgegangen, die unbequeme Fragen stellten. Der Lüge hat er zahlreiche Berichterstatter*innen bezichtigt, einige persönlich beleidigt und versucht, sie vor laufenden Kameras lächerlich zu machen. Das zieht meist eine Welle von Beschimpfungen in den sozialen Netzen, oft auch Drohungen, nach sich, so Turati, die zweimal diese Erfahrung machen musste. Schlimmer erging es ihrer Kollegin Reyna Haidee Ramírez: „Sie ist letztes Jahr ins Ausland, nach Barcelona geflohen. Diese Angriffe führen dazu, dass genau überlegt wird zu was frau recherchiert“, sagt Turati und rollt missbilligend mit den Augen.
Kein Respekt für die Pressefreiheit
Für diese Schere im Kopf macht sie die amtierende Regierung und einen Präsidenten verantwortlich, der die Wahrheit gepachtet zu haben scheine und für „sich in Anspruch nimmt dem Volk zu erklären, wer gut und wer schlecht“ sei. Respekt für die Pressefreiheit und die Arbeit der Redakteur*innen sehe anders aus, ärgert sich Turati. Sie hatte 2018 nach der Wahl von Andrés Manuel López Obrador einen Schub für die Menschenrechte und die Pressefreiheit erhofft. Fünf Jahre später befindet sich Mexiko jedoch im Ranking von Reporter ohne Grenzen auf Rang 128 von insgesamt 180 Ländern – Tendenz sinkend. Etwa 150 Journalist*innen wurden seit 2000 ermordet, darunter mindestens 11 im letzten Jahr, so RSF. Andere Medienorganisationen wie Artículo 19 kommen laut Turati auf 16 ermordete Berichterstatter*innen – damit ist Mexiko das gefährlichste Land der Welt für Reporter*innen außerhalb von Kriegsgebieten. Dafür sei die amtierende Regierung mitverantwortlich, so Turati. Darauf will sie auch in ihrer Rede am 13. Mai in Stuttgart aufmerksam machen, wenn ihr die „Theodor Heuss Medaille“ verliehen wird.