Standards für Qualität notwendig

Der Hörfunkrat Deutschlandradio am 1. Juni 2023 Foto: Wilfried Urbe

Nachgefragt in der Sitzung des Hörfunkrates von Deutschlandradio

Bei der öffnetlichen Juni-Sitzung des Deutschlandradio-Hörfunkrates in Köln war die Runde diesmal fast vollzählig. Ob es mit der Auswertung des Evangelischen Pressedienstes zu tun hatte, die vor kurzem belegte, dass im Jahr 2022 die Anwesenheitsquote der Mitglieder bei den Sitzungen des Aufsichtsgremiums und seiner Ausschüsse 2022 bei nur 63 Prozent gelegen hatte, sei dahingestellt.

Im Kammermusiksaal des Funkhauses ging es jedenfalls um wichtige Themen für die künftige Arbeit des Gremiums. Und das Wichtigste war wohl der Tagesordnungspunkt zum „Leitfaden für den Hörfunkrat und seine Ausschüsse zur Erfüllung der erweiterten Aufsichts- und Kontrollpflichten gemäß dem dritten Medienstaatsvertrag“. Er sieht mehr Einfluss und Verantwortung für die ehrenamtlichen Gremien vor.

Im Leitfaden für die Arbeit des Hörfunkrates, der bereits in vorangegangenen Sitzungen intensiv diskutiert worden ist, ist formuliert wie der Hörfunkrat den neuen Ansprüchen gerecht werden kann. Ein Diskussionspunkt: Wie können Parameter für Qualitätsstandards überhaupt aussehen? „Die Qualität des Programms zu bewerten, ist ein ganz schwieriges Thema“, sagte der Erste stellvertretende Vorsitzende Michael Deutscher, der darauf hinwies, dass die „Quote“ in diesem Zusammenhang kein Maßstab sein dürfe und es als kritisch einschätzte, dass das ZDF mit seinem neuen „Qualitätskompass“ diesen Weg gehe. Deutscher, der als Vertreter des Landesverbandes der Freien Berufe Mecklenburg-Vorpommern im Hörfunkrat sitzt, erwähnte auch das wissenschaftliche Gutachten, das die ARD beauftragt hatte, um gemeinsame Parameter für sämtliche Anstalten des Verbundes festzulegen. Nicht nachzuvollziehen war für Deutscher, dass die Konferenz der ARD-Gremienvorsitzenden dann die Untersuchung als „zu verkopft“ verworfen habe: „Der Weg hin zu allgemein angewandten Kriterien ist jedenfalls noch weit.“

Der Hörfunkratsvorsitzende Frank Schildt, Vertreter des Landes Bremen, betonte ergänzend, wie wichtig externe Fachberatung für die Mitglieder sei. Ratsmitglied und Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, fügte hinzu, dass solch ein fachliches Know-how unabdingbar sei, um beispielsweise die wirtschaftliche Entwicklung von Deutschlandradio zu verstehen.

Die Vertreterin des Landes Niedersachen Amei Wiegel hielt fest, dass den Gremienmitgliedern künftig mehr Zeit abverlangt werde, damit sie die neuen Aufgaben auch erfüllen können. Mit Fokus auf die anstehenden Fortbildungsmaßnahmen fragte die ehemalige Vorsitzende des Hörfunkrats und Vizepräsidentin des deutschen Bundestags Yvonne Magwas nach: „Wer macht die Fortbildungen? Welche Aufgaben hat der Hörfunkrat? Welche der Verwaltungsrat?“ Deutschlandfunk-Intendant Stefan Raue versicherte dazu, das Thema der weiteren Qualifizierung „sehr ernst“ zu nehmen: „Wir haben gute Erfahrungen mit der ARD/ZDF Medienakademie gemacht.“

Gremiumsmitglied Thomas Kralinski, seines Zeichens Staatsekretär und vom Land Brandenburg ins Gremium entsandt, schlug schließlich vor, im Leitfaden den Bedarf an externer sowie interner Unterstützung bei der Weiterbildung ausdrücklich festzulegen. Der einstimmig beschlossene Leitfaden soll ab dem 1. Juli wirksam sein. Schildt sieht darin den „Startpunkt eines Veränderungsprozesses“. Spätestens nach 18 Monaten wolle man die Umsetzung der in dem Papier genannten Themen evaluieren.

Wie wichtig der Zuwachs an Fachwissen sein dürfte, um überhaupt Einordnungen und Entscheidungen treffen zu können, machte der Vortrag von Rainer Kampmann deutlich: Der Verwaltungs- und Betriebsdirektor des Deutschlandradios gab die Anzahl der Planstellen der Rundfunkanstalt mit über 700 an, die Zahl der tatsächlich besetzten Stellen aber mit rund 630. Auf Nachfrage zu dieser Differenz antwortete der Direktor: „Für uns hat der Stellenplan eine nachgeordnete Bedeutung. Wie viele Planstellen wir besetzen können, orientiert sich am Budget.“ Kampmann informierte auch über aktuelle Entwicklungen im Personalmanagement, zum Beispiel über die Einführung eines neuen Tarifvertrages, der mehr Flexibilität bei der Arbeit im Homeoffice ermöglichen soll.

Ebenso nahmen Teilnehmer*innen mit einem gewissen Unverständnis die Information des Intendanten auf, dass bei der KEF kürzlich eine Erhöhung des Budgets mit Blick auf die jährliche Steigerungsrate von 2,45 Prozent angemeldet wurde, also deutlich unter der aktuellen Inflationsrate. Der Deutschlandradio-Chef erklärte das mit dem Umstand, dass die Berechnungen für diese Anmeldung in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurden, sich aber auf den Zeitraum der Jahre 2025 bis 2028 beziehen.

Zu Beginn der Sitzung hatte Raue die Herausforderungen für Deutschlandradio erläutert: „Wir haben das Gegenteil eines medienpolitischen Stillstands.“ Besonders die Flexibilisierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags mit mehr Publikumskontakt sei ein wichtiges Umsetzungsziel. „Wir möchten, dass sie Menschen aus Ihrer Umgebung einladen, in die Funkhäuser zu kommen“, wünschte er sich an das Gremium gerichtet. „Wir hatten jetzt schon drei Termine, den letzten in Berlin. Herr Deutscher war mit Vertretern der Handwerkskammer in unserem Funkhaus.“ Dort hatte man festgestellt, dass man mit ähnlichen Themen beschäftigt sei, „der rapide sich ändernden Arbeitswelt und der Schwierigkeit, junge Menschen zu erreichen – das war ein spannender Termin.“ Der Intendant erwähnte auch Erfolge, etwa das zehnjährige Bestehen des Wochenrückblicks „Nachrichten leicht“: „In Deutschland gibt es zehn Millionen Menschen, die auf leichte Sprache angewiesen sind. Als wir damals damit anfingen, war das umstritten.“ Jetzt sei das Format anerkannt und etabliert.

Eine Diskussion entzündete sich ganz zum Schluss in der Sitzung, als Kralinski kritisierte, dass es beim nächsten Treff des Hörfunkrats in Leipzig Anfang September trotz seiner Anregung keinen Programmpunkt darüber gebe, wie Ostdeutschland im Deutschlandradio widergespiegelt werde. Die Antwort, es sei in den nächsten drei Monaten keine Zeit mehr dazu, solch einen Schwerpunkt vorzubereiten, wollte er nicht gelten lassen: „Das hören wir immer!“

Das Gremium, das sich selbst als unabhängige Kontrollinstanz „aus der Mitte der Gesellschaft“ beschreibt, war sich übrigens darüber einig, dass Mitarbeitende direkt aus dem Rundfunk auch künftig keinen Platz im Rat haben sollen. Was „aus der Mitte der Gesellschaft“ bedeuten soll, wurde allerdings offengelassen. Die meisten der 42 Mitglieder sind Akademiker, viele hauptberuflich in Politik, Behörden oder Verbänden tätig.

 

 

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