Drastische Sparmaßnahmen bei ProSiebenSat.1: Vor dem Hintergrund von Werbeflaute und verschärfter Konkurrenz durch Netflix und andere Streamingdienste kündigt die Sendergruppe die Streichung von mehr als 400 Vollzeitstellen an. Noch ist unklar, welche Unternehmensbereiche im Einzelnen betroffen sind. Der Programmschwerpunkt soll künftig auf Entertainment-Angeboten und der Streaming-Plattform Joyn liegen.
Die Stimmung der Belegschaft in Unterföhring sei „sehr schlecht“, wie aus gewerkschaftlichen Kreisen verlautet. Kein Wunder angesichts der Realeinkommensverluste, die die Beschäftigten seit Jahren erfahren. Nach drei tariflichen Nullrunden hintereinander gab es in diesem Jahr zum 1. Juli erstmals wieder eine Tariferhöhung. Allerdings lediglich um magere fünf Prozent – bei einer nach wie vor hohen Inflation kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Laut Unternehmensmitteilung soll der Stellenabbau durch ein am 25. Juli gestartetes Freiwilligen-Programm sozialverträglich erfolgen, „um betriebsbedingte Kündigungen weitestgehend zu vermeiden“. Das Interesse an diesem Programm sei „riesig“, heißt es im Umfeld des Betriebsrats – wohl auch, weil die Aussichten auf eine spürbare Verbesserung der Arbeitskonditionen einstweilen gering sind.
Voraussichtlich jeder zehnte der fast 4000 im Konzern noch vorhandenen Arbeitsplätze wird damit im Laufe der nächsten Zeit abgebaut. Bereits für 2023 rechnet die P7S1-Gruppe mit Spareffekten in Höhe eines „niedrigen zweistelligen Millionen-Euro-Betrags“. Diese „Neuaufstellung insbesondere im Entertainment-Segment“ erfolge im Rahmen der „Wachstumsstrategie des Konzerns“, lässt das Unternehmen verlautbaren. Es gehe um „eine effizientere Struktur, eine wettbewerbsfähige Kostenbasis sowie klar auf die digitale Transformation ausgerichtete Prozesse“.
Interne Service-Level reduzieren
Ein beträchtlicher Teil der Einsparungen dürfte erzielt werden, indem man „interne Service-Levels reduziert“, so ein Betriebsrat. Etwa durch bessere Auslastung der Studios durch schlankere Produktionszeiten. Oder, indem GEMA-Meldungen künftig nicht mehr händisch, sondern durch KI-Einsatz erfolgen. Aus der Perspektive von Controllern sei da sicher vieles vorstellbar.
„Wir haben einen klaren Plan mit Fokus auf unser Entertainment-Angebot und vor allem auf Joyn“, so der erst seit November 2022 amtierende Vorstandschef Bert Habets. Man wolle „als Konzern die Nummer Eins im deutschen Entertainmentmarkt werden“. Die Grundlagen dafür hatte ProSiebenSat.1 mit seinem Amtsantritt gelegt, als man mit der Übernahme der Anteile des US-Konzerns Discovery zum alleinigen Besitzer der Streaming-Plattform Joyn avancierte. Joyn ist vorwiegend werbefinanziert und verfügt über etwa vier Millionen Nutzer*innen.
Gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als ProSiebenSat.1-Boss hatte Habets mit einem Kooperationsangebot an die öffentlich-rechtliche Konkurrenz überrascht. Auf einem Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) im März ventilierte er die Idee einer branchenverbindenden, sendersystemübergreifenden Streaming-Plattform „Made in Germany“. Als Nukleus eines solchen Projekts und „Aggregator-Plattform“ begreift er Joyn.
Angebote auch an Öffentlich-Rechtliche
Er lud „alle social-media-Kreativen, Industriepartner Produzenten, aber auch andere Sender und Publisher“ zum Mitmachen ein. So könnten auch die Mediatheken von ARD und ZDF bei Joyn verfügbar sein. Das Publikum, so Habets, sei nicht an getrennten Plattformen öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter interessiert. ARD-Vorsitzender Kai Gniffke reagierte zunächst zurückhaltend auf diese Umgarnungsversuche. Beim Joyn-Ableger in Österreich existiert dagegen bereits eine entsprechende Kooperation zwischen ProSiebenSat.1 und dem öffentlich-rechtlichen ORF.
Einstweilen stehen die Zeichen bei ProSiebenSat.1 eher auf Schrumpfen denn auf Expansion. Die geplanten Stellenstreichungen wirken sich unmittelbar auf das Programm der Free-TV-Sender aus. Als erstes trifft es das ProSieben-Star-Magazin „red“. Dessen wöchentliche Ausstrahlung wird zum Jahresende eingestellt – offenbar, weil es nur im Verbund mit dem Model-Casting „Germany’s Next Topmodel“ zufriedenstellende Quoten erzielte. Auch einzelne Bereiche des dauerkriselnden Konzern-Sorgenkinds Sat.1 müssen Federn lassen: Die Redaktion des zuletzt nur noch unregelmäßig ausgestrahlten Investigativ-Magazins „akte“ wird geschrumpft, künftig sollen Spezialausgaben an die Stelle der einst wöchentlichen Ausstrahlung treten.
Neue zentrale Nachrichtenredaktion
Umso überraschender erscheint die gleichzeitige Ankündigung einer neu geschaffenen 60köpfigen zentralen Nachrichtenredaktion namens „Newstime“, die für alle zur Gruppe gehörenden Sender die Berichterstattung über das Weltgeschehen übernehmen soll. Das eigens dafür errichtete moderne Studio in München ist bereits fertig. Mit dem schon vor Jahren beschlossenen ambitionierten Projekt wollte P7S1 seinen Beitrag zur „Informationsoffensive“ der Privatsender leisten.
Das Bestreben, mit teilweise von der ARD abgeworbenen Köpfen die Info-Schiene aufzuwerten, zeigte indes eher durchwachsene Ergebnisse. Das aufwändig beworbene Infotainment-Format „Zervakis & Opdenhövel. Live“ floppte ebenso wie eine Reihe von „Sat.1 Spezials“. Einmal mehr erweist sich, dass in Krisenzeiten das Publikum mehr der Informationskompetenz von ARD und ZDF vertrauen.
Vor dem Hintergrund des „extrem herausfordernden wirtschaftlichen Umfeld“ (Habets) orientiert sich die Geschäftsleitung darum neuerdings offenbar wieder knallhart am shareholder value. Damit passe „Newstime“ kaum noch zur aktuellen Neuaufstellung der Gruppe und ihren kurzfristigen Rendite-Erwartungen, fürchten Mitarbeiter*innen. Mit Nachrichten und Informationen sind für die Privaten in der Regel kaum wirtschaftlich positive Ergebnisse zu erzielen.
Brandbrief an den Zukunftsrat
Insofern erscheint die künftige Fokussierung auf Entertainment-Angebote nur konsequent. Dazu passt das Schreiben, das der Beirat der ProSiebenSat.1 Media AG (Vorsitzender: der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, CSU!) soeben an den von der Rundfunkkommission der Länder berufenen „Zukunftsrat“ adressiert hat.
In dem Brandbrief mit dem Titel „Weckruf für eine Ausbalancierung des dualen Systems“ heißt es, der Zukunftsrat solle bei seinen Überlegungen das gesamte duale System im Blick behalten, nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen. Diese setzten die Privatsender mit einem „Überangebot an Unterhaltungsprogrammen“, dem Zahlen von „Mondpreisen“ für Sportrechte und „umfassenden Aktivitäten“ im Internet einem unlauteren Wettbewerb aus. Es brauche daher eine „neue Balance zwischen den öffentlich-rechtlichen Anstalten und den privaten Medienhäusern“.