Wenn Journalist*innen die Menschen in einer sich wandelnden Welt voller Krisen erreichen wollen, müssen sie ihre Berichterstattung ändern: nicht nur Probleme thematisieren, sondern auch nach Lösungen fragen – bei der Recherche und genauso in Gesprächen mit Politiker*innen. Das gehöre zur Kritikfunktion der Medien, sei konstruktiv und zukunftsfähig. So der Tenor auf dem b° future festival für Journalismus und kritischen Dialog in Bonn, dessen Kernstück am Samstag ein Publikumstag in der City war. Einige Schlaglichter.
„Der Journalismus muss raus aus der Bubble – und ran an die Menschen, für die er gedacht ist.“
Davon überzeugt sind die Initiatorin des Festivals, Ellen Heinrichs vom gemeinnützigen Bonn Institute und re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl, der dem Orgateam zur Seite stand. Unterstützt wurde das Event von der Rheinische Post Mediengruppe, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Landesregierung NRW.
Nachdem mehr als 500 Medienschaffende an der Fachkonferenz am Freitag teilnahmen, gab es am Samstag an neun Orten in der Bonner Innenstadt 77 kostenlose Veranstaltungen mit Schwerpunkt Klimawandel für alle Interessierten – Podcast-Produktionen, Workshops, Lesungen, Diskussionsrunden, Blicke hinter die Kulissen der Medienwelt und eine Jobbörse in der Uni.
Mit Klimaparametern gegen Ahnungslosigkeit
Am Beispiel der Ahrtal-Flut diskutierte eine Expert*innenrunde darüber, wie Medien informieren können, ohne Ängste zu schüren oder den Klimanotstand herunterzuspielen. Digitalisierungs-Expertin Vera Schneevoigt, die Interviews mit den Betroffenen geführt hatte, kritisierte fehlende Informationen und unkoordinierten Katastrophenschutz. So seien sechs Menschen im Ahrtal ertrunken, weil sie nach einem Aufruf der Feuerwehr in die Tiefgarage gingen, um ihre Autos zu retten. Die Digitalisierungs-Expertin forderte, zur Warnung der Menschen Sirenen wieder aufzubauen, denn nicht alle hätten Cell Broadcast.
ZDF-Wetter-Moderator Özden Terli sprach von einer “Diskrepanz“ zwischen Meteorologen, die „das Wetter voraussagen“ und Journalist*innen, die Wetterereignisse im Nachhinein betrachten. „Es ist mein Job, die Menschen zu warnen, so Terli. Bei den Überschwemmungen in Griechenland habe es in zwei Tagen 1000 Liter Wasser pro Quadratmeter geregnet – so viel wie innerhalb eines Jahres in einer Stadt im deutschen Voralpenland. Die Politik komme nicht vorwärts mit dem Klimaschutz, einige Zeitungen hätten „gezielt versucht, das Gebäudeenergiegesetz zu torpedieren“, kritisierte er. Journalist*innen müssten klarer darstellen, dass „wir auf dem Weg sind, unsere Lebensgrundlage zu zerstören“.
„Klimaangst ist nicht pathologisch, sondern berechtigt“, man könne ihr nicht individuell, sondern nur gemeinsam begegnen, so Sabine Maur von der Psychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz. „Wir haben ein Kommunikationsproblem“, sagte sie und plädierte für eine Übersetzung meteorologischer Daten, denn bei 1,5 Grad mehr denken viele, es werde nur ein „bisschen wärmer“. Moderatorin Clara Pfeffer von RTL meinte, genauso wie während der Corona-Pandemie „brauchen wir auch Klimaparamenter“– Zahlen, um die Bedeutung von Erderwärmung und CO 2-Emmission zu vermitteln und Ahnungslosigkeit sowie emotionale Barrieren zu überwinden.
Neue Ansätze im Journalismus, bessere Repräsentation der Bevölkerung
Wie Medien in Krisenzeiten konstruktive Diskussionen über eine gemeinsame Zukunftsgestaltung befördern können, war Thema eines prominent besetzten Panels aus Politik, Medien und Wissenschaft. Ellen Heinrichs plädierte für neue Ansätze in der Berichterstattung. Journalist*innen hätten „gelernt, zu vereinfachen und zuzuspitzen“, aber nicht auf „Lösungen zu schauen“ – und genau das wollten die Menschen, die zunehmend Nachrichten vermeiden. Nathanael Liminski, NRW-Minister für Medien, stimmte ihr zu. Wenn 25 Prozent der Bevölkerung meinen, „Medien und Staat stecken unter einer Decke“ hätten Journalist*innen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie müssten wegkommen von „only bad news are good news“ und die ganze Realität zeigen, auch „Dinge, die gelingen“.
WDR-Intendant Tom Buhrow verwies auf die Digitalisierung mit der extremen Potenzierung „von allem, was schnell Aufmerksamkeit erregt“, die kaum differenzierte Berichte zulasse. Ellen Heinrichs erklärte, statt „Triggeraspekte zu bedienen“, solle man journalistischen Erfolg neu messen – nicht nur die Reichweite, sondern auch Aufmerksamkeitsdauer und -intensität. Etwa 50 Prozent der Menschen hätten noch Vertrauen in die Medien, so Nayla Fawzi, Professorin für Kommunikationswissenschaft in Mainz. „Für ganz geschlossene Filterblasen und Echokammern“ gebe es keine empirischen Beweise, aber viele Menschen fühlten sich nicht repräsentiert. Insbesondere Lokalzeitungen könnten da als „Mediatoren vor Ort das Gemeinsame möglich machen“, so Liminski und Heinrichs konkretisierte, es bedürfe dafür einer größeren Perspektivenvielfalt in der Berichterstattung und mehr Diversität im Redaktionspersonal.
„Es gibt nichts Kritischeres als konstruktiven Journalismus“
Im Gespräch mit Bastian Schlange von CORRECTIV brach auch Medienforscherin Alexandra Borchardt eine Lanze für den konstruktiven Journalismus und erklärte, wie Klima-Infos besser kommuniziert werden können. Man solle auf Polarisierungen verzichten, „das Gemeinsame“ finden, keine Scheu vor Zahlen haben und über Lösungen berichten. Kompliziert sei es dabei, Greenwashing zu entlarven. So habe selbst das Bekleidungsunternehmen Selawa erst durch Vor-Ort-Recherche entdeckt, dass der von einer Fabrik angebotene Stoff nicht aus recyceltem Ocean-Plastic bestand, sondern aus geschredderten Plastikflaschen.
Das norwegische Fernsehen habe eine Klimastrategie entwickelt, die auf mehr interaktive Recherche mit den Rezipient*innen setzt und mehr Visualisierung von Daten, um zu erklären, wie der Klimawandel funktioniert. „Wir brauchen viel mehr niedrigschwellige Formate, spielerische Ansätze und Humor“ sagte Borchardt. Außerdem müsse man „lokal werden“ für einen guten Journalismus, der Menschen auch erreicht. Klimawandel sei ein belegter Fakt und solle deshalb auch – trotz aller Aktivismusvorwürfe – als Orientierungsnorm dienen, wenn über Fehlverhalten und Misstände aufgeklärt werde.
„Es gibt nichts Kritischeres als konstruktiven Journalismus“, betonte RTL-Journalist Gordian Fritz in einer Runde zur Nachrichtenmüdigkeit in Zeiten von Kriegen, Krisen, Katastrophen. Dabei reiche schon eine konstruktive Frage. So sei die Debatte über das „Heizungs-“ bzw. Gebäudeenergiegesetz zum Klimaschutz von „Schimpftiraden“ unterschiedlicher Politiker*innen geprägt gewesen ohne dass diese gefragt wurden: „Was ist denn Ihre Lösung?“ Wenn Journalist*innen „Wirklichkeit abbilden“ sollen, gebe es selbst im Krieg noch Konstruktives zu berichten. Als er zu Beginn des Ukrainekrieges in Odessa war, habe er am Bahnhof außer weinenden Menschen auch lachende Kinder gesehen, denen in einem Wartesaal ein Spielzimmer eingerichtet wurde. „Auch das ist Teil der Realität“, so Fritz.
Sich mit Themen zu befassen, Problemlösungen zu bewerten – das erfordere Zeit und neue Kompetenzen, so Ulla Fiebig, Direktorin beim SWR Rheinland-Pfalz, die nach Kritik an der Ahrflut-Berichterstattung einen Medienworkshop mit Menschen vor Ort initiierte. Als Signal an die Branche wolle der SWR ein Modul zu „Konstruktivem Journalismus“ in die Ausbildung einbauen.