Kinder wollen Dokumentarfilme

Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen. Foto: MFA+Filmdistribution

Auch junge Menschen interessieren sich für gesellschaftspolitische Themen. Dokumentarfilme für Kinder finden in der Regel fast nur bei den öffentlich-rechtlichen Sendern statt. Aber das Genre entwickelt sich weiter. Die Nische, in der sich solche Formate noch immer befinden, wird größer. Dazu tragen inzwischen auch Festivals bei, die Inhalte jenseits des Mainstreams vorstellen und die von der jungen Zielgruppe gerne angenommen werden, zuletzt auch bei doxs! in Duisburg. Das gesellschaftspolitische Interesse bei Kindern und Jugendlichen jedenfalls ist größer denn je.

In den letzten drei Jahren sind im Langfilmbereich interessante Projekte entstanden, ‚One in a million‘ etwa “, freut sich Gudrun Sommer. Als Leiterin des Festival Doxs Ruhr, das sich auf Kinder- und Jugendfilme konzentriert, hat sie einen umfassenden Überblick. Der dokumentarische Coming-of-Age-Film über Erfolg und Einsamkeit, Freundschaft erste Liebe und queeres Coming-out, den sie hervorhebt, hat Preise auf dem Filmfest München bzw. dem Kinderfilmfest und dem Internationalen Filmfestival für junge Filmfans „Lucas“ erhalten. Die Festivalleiterin sieht die Produktion als Beispiel dafür, dass der Kino- und Festivalbereich dem jüngeren und jüngsten Publikum verstärkt Angebote für das Doku-Genre macht: „Im Festivalbereich läuft es fantastisch und es gibt ein großes Interesse – von Kindern mit ihren Eltern, Schulklassen oder Kindergärten.“

Künstlerische Ästhetik im Vordergrund

Einen nahezu vollständig nicht-kommerziellen Ansatz verfolgt das Team von doxs! Mit seinem alljährlichen Festival möchte es eher künstlerisch orientierte Projekte fördern und vorstellen, die, so Festivalleiterin Tanja Tlatlik, eher zur Auseinandersetzung anregen und dem jungen Publikum die ästhetische Vielfalt des Mediums Film eröffnen. Sie hat festgestellt, „dass es unter jungen Menschen ein großes Interesse für gesellschaftspolitische Themen gibt.“ Das wird für sie auch in den diesjährigen Auszeichnungen deutlich: Die Jury aus Jugendlichen von doxs! vergab „Die Grosse Klappe“ an die Produktion “A History Of The World According To Getty Images“, weil hier ein „Geniestreich“ gegenüber der „kapitalistischen Geldgier“ gelungen sei.

Und der vom europäischen Verband für Kinder- und Jugendfilm (ECFA) ausgelobte Preis für den besten europäischen Kinderdokumentarfilm ging in diesem Jahr an „Actually Literally Arm in Arm“ von Natalie Fischer. Sie begleitete fünf Freundinnen in Berlin an der Schwelle zwischen Kind- und Erwachsensein.

Kino bleibt schwieriges Medium

Tipp:

Eine große Auswahl an Kinder-Dokumentationen finden sich in den Mediatheken der ÖRR, wo Videos, Filme und Streams kostenfrei online verfügbar sind.

Über die große Leinwand erreicht allerdings selten ein breites Publikum. „Wir finden Kino als Plattform absolut passend, nur sind wenige Verleiher und Kinobetreiber willens, sich auf das im Vergleich zum Blockbuster-Film wirtschaftlich risikoreichere Geschäft mit Dokus einzulassen,“ beschreibt etwa Sebastian Debertin, Leiter Internationale Programmakquisition beim öffentlich-rechtlichen Kanal für Kinder und Jugendliche KiKA, die Situation. „Das hat auch eine soziale Komponente, nicht alle Familien können sich Kinobesuche leisten.“

Die Filmtheater müssten aus finanziellen Gründen möglichst massenpopuläre Inhalte bringen. Dabei beteiligt sich der Erfurter KiKA selbst gerne an Kinoproduktionen. Im Oktober zum Beispiel ist „Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen“ angelaufen. Direkt zum Start gingen 116.000 Interessierte in den Film, der den Namensgeber der KiKA-Wissensendung „Checker Tobi“ Tobias Krell auf seinen Reisen ins Amazonasgebiet, in die Steppen der Mongolei sowie in die größte Höhle der Welt nach Vietnam begleitet. Bereits „Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten“ war mit über einer halben Million Besucher*innen ein großer Erfolg. „Das hätte aber sicher nicht so gut funktioniert, wenn das Format nicht schon über Jahre im Fernsehen so gut eingeführt worden wäre“, ist sich Debertin sicher.

Besonders stolz ist man beim KiKA auf die Nominierung für den International Emmy, der am 20. November in New York vergeben wurde. Die 25minütige Folge „Triff…Anne Frank“ war in der Kategorie für die besten TV-Produktionen außerhalb der USA vorgeschlagen. In der Sendung, die bereits den Kindermedienpreis „Goldener Spatz“ erhielt, erlebt die zeitreisende Reporterin Clarissa Corrêa da Silva, wie das jüdische Mädchen Anne Frank ihr weltberühmtes Tagebuch erhält. Reportagen aus Amsterdam, Interviews mit den beiden überlebenden besten Freundinnen und animierte Wissensclips ergänzen die Spielszenen.

Mehr als eine Nische

Den Begriff „Nische“ für das Doku-Segment im Kinderbereich möchte Debertin jedenfalls gerne etwas differenzierter fassen: „Bei uns ist das schon eine ganz schön große Nische, auch bei ARD und ZDF.“

Der Bedarf wächst auch wegen beunruhigender Themen wie zum Beispiel Krieg oder Klimawandel, die den Kindern so nahegekommen seien wie nie zuvor: „Sie wünschen sich Erklärungen – und Dokus erklären die Welt“, so der KiKA-Mann. Dass solche Inhalte fast ausschließlich bei den Öffentlich-Rechtlichen stattfinden, hat letztlich wirtschaftliche Hintergründe. Während ARD und ZDF gebührenfinanziert sind, müssen Privatsender wie Super RTL ihre Einkünfte selbst erwirtschaften. Und das tun sie unter anderem, indem sie ihre Formate und Programme über die eigenen Licensing- oder Merchandising-Abteilungen vermarkten, etwa mit Spielwaren zu den entsprechen Inhalten. Und das lässt sich mit Dokus nicht machen.

 

 

 

 

 

 

 

 

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