Die deutschen Zeitschriftenverleger sehen die freie Presse und die Demokratie durch die zunehmende Marktmacht der Tech-Giganten Google, TikTok & Co. tendenziell in Gefahr. Auf dem Kongress des Medienverbandes der freien Presse in Berlin appellierte MVFP-Vorstandsvorsitzender Philipp Welte an die Politik, Maßnahmen für den Erhalt einer vielfältigen und unabhängigen Verlags- und Medienlandschaft in Deutschland zu treffen.
„Im Zeitalter der Plattformökonomie ist die digitale Dimension unserer Märkte weitgehend in der Hand internationaler Technologiekonzerne, die unsere Wertschöpfung komplett den Gesetzen ihrer eigenen Monetarisierung unterwerfen“, sagte Welte zum Kongressauftakt vor rund 350 Teilnehmenden. Der Journalismus der Verlage brauche daher medien- und ordnungspolitische Rahmenbedingungen, um seinen verfassungsmäßigen Auftrag weiterhin erfüllen zu können.
Tags zuvor hatte die MVFP-Delegiertenversammlung ein Memorandum mit fünf Forderungen an die Politik auf Europa-, Bundes- und Landesebene verabschiedet. Im Einzelnen sind dies: Fairer Wettbewerb in den digitalen Märkten durch diskriminierungsfreien Zugang zum Lesermarkt und faire Finanzierungsmöglichkeiten; ein modernes Urheberrecht im Zeitalter künstlicher Intelligenz; ein Stopp von Überregulierung sowie die Einführung eines angemessenen Datenschutz für fairen Wettbewerb; die „effektive Begrenzung öffentlich-rechtlicher Gratis-Konkurrenz“ und einen Ausschluss „gebührenfinanzierter Konkurrenz-Presse“ durch „enge Grenzen für öffentlich-rechtliche Texte“; die diskriminierungsfreie Förderung periodischer Presse durch Senkung des Mehrwertsteuersatzes.
Pressefreiheit in Zeiten von KI
Von der Politik erwartet die Branche Unterstützung bei der Bewältigung einer Fülle von Aufgaben. Im anbrechenden KI-Zeitalter, so MVFP-Bundesgeschäftsführer Stephan Scherzer, habe sie die Aufgabe, die publizistische und ökonomische Pressefreiheit auf allen Verbreitungskanälen zu sichern – „für die gedruckte und die digitalen Presse, im Handel, im Abonnement und bei der Zustellung, im World Wide Web und auf digitalen Megaplattformen“.
Der Kongress stand unter dem Motto „75 Jahre Pressefreiheit“. In einem Impulsvortrag referierte Renate Köcher, Geschäftsführerin des Demoskopie-Instituts Allensbach, über die Rolle der Presseverlage als „Vertrauensanker in polarisierten Zeiten“. Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage empfinden 73 Prozent die deutsche Gesellschaft bei vielen Themen als gespalten. Zwei Drittel dieser Gruppe sehen in dieser Polarisierung eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie. Zu den vermeintlich spaltenden Themen zählen unter anderem Zuwanderung, Islam, AfD, Umgang mit Israel, Russland-Ukraine, Klimaschutz und Energiewende.
Soziale Medien können spalten
Tatsächlich, so Köcher, könne von einer echten Spaltung aber keine Rede sein. In vielen dieser gesellschaftlichen Streitpunkte gebe es in der Bevölkerung „breiteste Mehrheiten“. Die Polarisierung beziehe sich viel mehr auf den Ton, auf die „Art der Auseinandersetzung im öffentlichen Raum“. Ein Heilmittel dagegen sei guter Journalismus. Für 54 Prozent der Befragten wirkten Zeitschriften und Zeitungen der Spaltung entgegen. Dagegen würden diese von sozialen Medien eher verstärkt (89 Prozent). Hohe Negativwerte erzielen in diesem Zusammenhang auch Influencer und die Plattform X (86 Prozent) sowie Internetforen (82 Prozent).
Kritisch ging auch Udo Di Fabio, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, mit den Internet-Plattformen ins Gericht. Nach seiner Auffassung tragen sie mit ihren Algorithmen, die Bestimmtes priorisieren und Anderes hintan fallen lassen, dazu bei, „dass Echokammern, Räume entstehen, die sich nicht mehr auf andere beziehen, sondern die die kommunikative Welt Schritt für Schritt verfeindlichen“.
Qualitätsjournalismus als Heilmittel?
Die Tatsache, dass man Qualität „extra bewerben“ müsse, so Di Fabio, sei ein Zeichen dafür, dass das „Vertrauen offensichtlich bereits geschwunden“ sei. Der Journalismus sei eine der Säulen für das Funktionieren einer öffentlichen Meinung und schlechthin konstituierend für eine lebendige Demokratie. „Nur: Wenn die Gesellschaft für diesen Journalismus nicht bezahlt oder wenn eine Ordnungspolitik diesen Journalismus an den Rand reguliert, dann kann das nicht funktionieren.“
Aus anderen europäischen Ländern kenne man die Tendenzen, „über veränderte Besitzverhältnisse regierungsnahe Berichterstattung zu erzeugen oder in eine bestimmte Richtung zu lenken“. In einigen Autokratien würden Journalist*innen sogar zu Tode kommen. Di Fabio zeigte sich besorgt über die „Zunahme extremistischer Bedrohungslagen“ und die sich häufenden Fälle von physischen Übergriffen – auch auf Medienschaffende. Die Gesellschaft verliere auf alarmierende Weise ihre zivilisatorische Scheu vor der Gewaltanwendung. Diese Entwicklung „ein Stück weit in Richtung Weimarer Verhältnisse“ müsse verhindert werden – am besten durch eine starke und freie Presse.