Plattformen und Journalismus

Wer sind die Guten?" Über den Umgang mit "social media"-Plattformen diskutierten die Journalist*innen Florian Skrabal (Dossier), Nana Siebert (Der Standard) und Biftu Abduljelil (Die Chefredaktion) mit Moderatorin Marlis Prinzing (v.l.n.r.) Foto: Eva Stefan

Die Veränderung journalistischer Arbeit durch Online-Plattformen war ein wichtiges Thema auf der hybriden Jahrestagung des Netzwerks Medienethik, die Verantwortlichkeiten in der digitalisierten Massenkommunikation auslotete. Die Teilnehmenden aus Medienforschung und -praxis diskutierten über die Macht der Plattformen, ihre Folgen für Demokratie, „digitales Wohlbefinden“ der Menschen, journalistische Autonomie und skizzierten Lösungsstrategien. 

Den makroperspektivischen Rahmen steckten zwei Keynotesprecher ab. Einen Mangel an „politischer Debattenkultur“ im aktuellen „Influencer-Kapitalismus“ kritisierte Christian Fuchs, Professor für Mediensysteme in Paderborn. Zwischen den dominierenden kommerziellen Plattformen aus dem Silicon Valley und staatsdominanten Plattformen aus China bräuchten wir eine „Alternative zu den Kapitalgiganten“, so Fuchs, der 2021 Mitinitiator des Manifestes für ein öffentlich-rechtliches Internet war. Auch Luciano Floridi, Philosoph und Informationsethiker an der Universität Oxford, war überzeugt, „konzentrierte Märkte und politische Kontrolle sind nicht vereinbar mit Demokratie“. Deshalb müssten große Plattformen stärker reguliert werden, wobei die EU mit dem Digital Service Act eine Vorreiterrolle einnehme. Gleichzeitig gelte es, Alternativen zu entwickeln – wie es Mastodon für Twitter sei. 

Algorithmus, Zensur als Preis für Reichweite

 „Wer sind die Guten“, fragte die Kölner Medienforscherin Marlis Prinzing im Podiumsgespräch mit drei Journalist*innen, die recht unterschiedlich mit Plattformen umgehen. Biftu Abduljelil vom österreichischen Online-Magazin „Die Chefredaktion“ macht Journalismus für die Generation Z auf Instagram und TikTok: “Die Zukunft ist auf ‚social media‘, denn junge Leute lesen keine Printartikel mehr!“ Zum „slow journalism“ bekennt sich Florian Skrabal, Chefredakteur des gemeinnützigen Online- und Print-Magazins „Dossier“. Er recherchiert mit einem datenjournalistisch aufgestellten Team zu Schwerpunktthemen: „Jede Recherche führt zu ‚social media’ – wie jüngst bei „Porno“: Plattformen brechen in die Intimsphäre von Menschen ein und veröffentlichen Fotos, die nicht mehr entfernt werden können.“ 

Auch Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, sieht „social media“ inzwischen kritisch: „Für uns war es wichtig, User über Facebook auf unsere Website zu bringen, wir konnten unsere Reichweite um etwa 40 Prozent steigern, doch nun liegt der Traffic nur noch bei vier Prozent.“ Die Plattformen seien aggressiver geworden und die Änderung ihrer Algorithmen zwinge den „Standard“ immer wieder, zu reagieren und sich anzupassen. Deshalb versuche man nun, „social media“ nur noch zur Imagepflege zu nutzen und die jungen Menschen direkt auf die eigene Website zu leiten – indem der Generation Z ein „Mehrwert“ geliefert werde. Als Beispiel nannte Siebert den Podcast „Thema des Tages“, der aus der täglichen Informationsflut Relevantes auswählt. 

Die Anpassung an Algorithmen der Plattformen und ihre Veränderungen nimmt „Die Chefredaktion“ in Kauf – sogar, „wenn politische Inhalte, wie etwa China-kritische Beiträge über Uiguren auf TikTok gelöscht werden“, so Abduljelil: „Wir sagen unseren Usern dann, dass solche Themen nicht angezeigt werden. Wenn man Zensur transparent macht, reagieren Plattformen vielleicht.“ Siebert entgegnete, sich der Plattform-Zensur anzupassen, widerspreche ihrem journalistischem Selbstverständnis. 

Doch wie lassen sich Plattformen regulieren? Staatliche Verbote sahen alle drei kritisch. Medienkompetenz und eine aufgeklärte Gesellschaft hielten sie für wichtig. Eine öffentlich-rechtliche Alternative fand Biftu Abduljelil gut und verwies darauf, dass ihre Zielgruppe in Deutschland diese mit dem ARD/ZDF-Content-Angebot „funk“ habe, das zur Zeit auf YouTube, Instagram und anderen privaten Kanälen gezeigt wird. Auch Florian Skrabal fand die „Idee einer Infrastruktur, die allen gehört, genial“, problematisierte aber, wie eine öffentlich-rechtliche Plattform finanziert und wie sie angenommen werde. 

Mit Gebührengeldern Zielgruppe auf Instagram abgeholt 

Solange die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten noch keine eigene Plattform haben, versuchen sie, „die Digital Natives abzuholen, wo sie sind“, so die Tübinger Medienforscherinnen Tanja Thomas und Martina Thiele, die ihre Studie über die Debatte um das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl vorstellten. Sie entstand im Kontext des Tübinger Projektes „Doing Memory“, das die Aktualisierung von Vergangenheit „als Seismograph für die moralisch-ethische Verfasstheit einer Gesellschaft“ untersucht. 

Das „Leuchtturmprojekt“ von SWR und BR startete im Mai 2021 im Instagram-Kanal @ichbinsophiescholl. Nutzer*innen konnten die 21-jährige Widerstandskämpferin Sophie Scholl in dem interaktiven Format „hautnah, emotional und in nachempfundener Echtzeit“ während der letzten zehn Monate ihres Lebens begleiten. Ein Community-Team antwortete auf die Postings der durchschnittlich 800.000 Follower. 

Tanja Thomas und Martina Thiele untersuchten mittels einer kritischen Diskursanalyse 98 Beiträge über das Instagram-Projekt, die zwischen Mai 2021 bis Juli 2022 in 52 Print- und Online-Quellen erschienen. So wurde in der journalistischen Debatte gefragt, ob die Plattform geeignet sei, historisches Wissen zu vermitteln und unter anderem kritisiert, dass die „Shoa“ ausgeblendet sei.  Thiele erläuterte, aus Rezeptionsstudien gehe hervor, dass trotz der hohen Reichweite „inhaltlich erschreckend wenig hängengeblieben ist“.

Andererseits bezeichneten Medien-Kommentator*innen das Instagram-Projekt als „verblüffend aktuell“. Sie stellten während der aktuellen Pandemie viele Parallelisierungen fest etwa mit Anspielung auf Querdenkerin „Jana aus Kassel“, die ihren Widerstand gegen Corona-Maßnahmen mit dem Sophie Scholls gegen die Nazis verglich. Im ZDF-Magazin Royale zum „Problem mit der deutschen Erinnerungskultur“ resümierte Jan Böhmermann: „Der Instagram-Account von Sophie Scholl erzählt mehr über Deutschland 2022 als über Deutschland 1942.“  

Die Argumentation von SWR und BR, mit der Kooperation die Zielgruppe der Digital Natives „aus den Geschichtsbüchern ins Hier und Jetzt der Generation Insta“ zu holen, wird in den untersuchten Medienbeiträgen übernommen – ohne zu problematisieren, dass Instagram zum META-Konzern gehört, dessen Geschäftsmodell aus Datensammlung und personalisierter Werbung besteht und der nun von öffentlich-rechtlichen Gebührengeldern profitiert. Insgesamt habe die Mediendebatte über @ichbinsophiescholl damit aus einer „intensiven, doch recht einseitigen, größtenteils PR-dominierten Berichterstattung“ bestanden, resümierten Tanja Thomas und Martina Thiele. 

Unter medienethischen Aspekten problematisierten die Forscherinnen vor allem die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seine Aufgaben werden im neuen Medienstaatsvertrag, der im Juli dieses Jahres in Kraft treten soll, erweitert. Danach dürfen sie kommerzielle Plattformen nutzen, „soweit das zur Erreichung der Zielgruppen aus journalistisch-redaktionellen Gründen geboten ist“. Thiele und Thomas fragten in ihrem Ausblick, ob sich öffentlich-rechtliche Inhalte verbreiten ließen, ohne sich den Logiken der Plattformen zu unterwerfen und ob die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht in der Entwicklung eines eigenen Internets bestehe.   

Journalistisches Selbstverständnis und Plattformlogiken 

Die Einflüsse der plattformisierten, digitalen Massenkommunikation auf die Medienproduktion thematisierten Lars Rademacher und Vanessa Kokoschka von der Fachhochschule Darmstadt am Beispiel der journalistischen Nachrichtenselektion. Durch Digitalisierung und Anschlusskommunikation auf Plattformen habe sich Funktion und Selbstverständnis von Journalist*innen als Gatekeeper erweitert: Sie wählen nicht nur Themen anhand von Nachrichtenwerten und anderen Kriterien aus, sondern kuratieren und moderieren auch. Die Nachrichtenauswahl werde zum Prozess einer „Ko-Kreation“ mit dem Publikum, das in der plattformisierten Medienwelt als „sekundärer Gatekeeper“ fungiert – durch Klicks, Likes, Kommentare oder Following. 

Diese algorithmisch berechneten Metriken sind Ergebnis digitaler Interaktionen, die durch Empfehlungssysteme der Plattformen beeinflusst werden. Da die Programmierung der Algorithmen für die Redaktionen intransparent bleibt, entwickeln sie Strategien zum Umgang mit den Messverfahren, so die beiden Forscher*innen. Eine besteht darin, sich von rein gewinnorientierten wie Klicks abzuwenden und aussagekräftigere Messverfahren für Beitragsqualität wie die Verweildauer stärker zu berücksichtigen. Es gibt auch Redaktionen, die sich von den Plattform-Algorithmen unabhängig machen, indem sie eigene metrische Analysetools entwickeln, wie es etwa dem britischen Guardian mit Ophan gelungen ist. 

Wie brandaktuell das Thema dieser Medienethiktagung war, unterstreicht die UNESCO-Konferenz „Internet for Trust“ in Paris, wo zur Zeit Leitlinien zur Regulierung der digitalen Plattformen entwickelt werden, um „Information als öffentliches Gut“ zu schützen. 

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