„Wir haben keine Angst“

Maja Sever

Maja Sever. Foto: Patrik Macek

Maja Sever ist eines der bekanntesten Gesichter des kroatischen Journalismus. Seit 2019 steht sie an der Spitze der Union kroatischer Journalisten (SNH) und seit Juni 2022 ist sie Präsidentin der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF). Mit fast drei Jahrzehnten Erfahrung baute Sever ihre Karriere beim kroatischen Fernsehen auf. Sie ist vor allem für ihr bürgerschaftliches Engagement bekannt.

In den letzten Jahren erhielt Sever zahlreiche Auszeichnungen: „Journalistin des Jahres“ im Jahr 2018, „Pride of Croatia“ im Jahr 2019 für ihr humanitäres Engagement, „Courageous woman“ im Jahr 2021 für ihren Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter und zur sozialen Gerechtigkeit. Mit M sprach sie über europäischen Journalismus, Gewerkschaftsarbeit und die Gefahren des Berufes.

M | Nach der Europawahl sprechen wir wieder vermehrt über europäischen Journalismus. Gibt es den denn überhaupt?

Maja Sever | Die meisten unserer Kolleg*innen in ganz Europa haben ein gemeinsames Ziel: die Sicherung und Stärkung eines professionellen, unabhängigen Qualitätsjournalismus. Ob in Kroatien, in den Niederlanden oder in Deutschland – als professionelle Journalist*innen haben wir unsere Regeln und unseren Kodex, der überall und für alle gilt, auch außerhalb Europas. Was es aber gibt, das sind nationale Unterschiede hinsichtlich der Medienumgebung und des Schutzniveau für Journalist*innen. Unabhängige Journalisten in Serbien sind sehr viel mehr Druck und physischen Angriffen ausgesetzt als ihre Kolleg*innen in Schweden.

Wie kam es dazu, dass Sie sich so stark für die sozialen und beruflichen Rechte von Journalisten einsetzen?

Bis 2017 arbeitete ich als Redakteurin und Moderatorin der gesellschaftskritischen Fernsehshow „Hrvatska uživo“ (deutsch: Kroatien Live). Nach 14 Jahren guter Einschaltquoten wurde die Sendung von der Geschäftsführung plötzlich abgesetzt. Diese Entscheidung war ein Zensurversuch, gegen den meine Kolleg*innen und ich lautstark demonstriert haben – leider vergeblich. Das hat mich zu meinem ehrenamtlichen Engagement in der SNH und der EFJ motiviert.

Vor welchen geteilten Herausforderungen stehen europäische Journalist*innen?

Die EFJ hat sich in den letzten Jahren stark für eine bessere europäische Gesetzgebung eingesetzt. Inzwischen gibt es die Copyright Directive, den Digital Services Act, den Artificial Intelligence Act, die Anti-SLAPP Directive, den European Media Freedom Act und die Empfehlung zum Schutz der Sicherheit von Journalisten. Nun üben wir Druck auf die nationalen Behörden aus, damit die Gesetze in den Ländern auch umgesetzt werden. Dafür fehlt nach wie vor ein effektiver Mechanismus.

Sehr wichtig ist es für Partnerschaften und Netzwerke vor Ort. Wir kommen in Redaktionen und Büros, um mit den Menschen an konkreten Themen zu arbeiten. So etwa, wenn keine Gehälter bezahlt werden, wie das kürzlich beim nationalen Radio und Fernsehen in Bosnien-Herzegowina war. Wenige Tage nach unserem Besuch und unserem Brief an hochrangige Politiker konnte eine Einigung erzielt werden. Das Problem mit den Gehältern wurde vorübergehend gelöst, tiefgreifende Probleme bleiben aber bestehen.

Im Rahmen der Wahlen zum Europäischen Parlament (EP) hat die EFJ die Kampagne „Journalismus als öffentliches Gut“ gestartet. Was genau wollen Sie erreichen?

Von den zukünftigen Parlamentarier*innen fordern wir, dass sie sich weiterhin für den Schutz des Journalismus als zentralem Pfeiler der Demokratie stark machen. In unserem Manifest betonen wir daher die Notwendigkeit, unter anderem für unsere Sicherheit zu sorgen, für eine Regulierung von generativer Künstlicher Intelligenz, für gut geregelte Beziehungen zu den großen Technologieunternehmen, für eine faire Vergütung und die Wahrung von Autorenrechten. Unsere nationalen Mitgliedsorganisationen haben wir aufgefordert, Wahlempfehlungen für Kandidat*innen auszusprechen.

Die EJF vertritt über 320.000 Journalist*innen aus 73 Mitgliedsgewerkschaften und 45 Ländern. Große Unterschiede gibt es mitunter auch unter den Journalist*innen: zwischen Freiberuflern und Festangestellten etwa, zwischen den Geschlechtern oder zwischen disparaten Arbeitsbereichen von Kriegsberichterstattung bis Literaturkritik. Wie berücksichtigt die EFJ diese Unterschiede und Ungleichheiten?

Die Unterschiede sind zum Teil wirklich krass. In Bosnien-Herzegowina etwa arbeiten sogar die festangestellten Mitarbeiter*innen des nationalen Radio und Fernsehens ohne Sozial- und Krankenversicherung. Ein weiteres Beispiel: Vor zwei Jahren hat die Europäische Kommission eine Richtlinie für Freiberufler*innen veröffentlicht, die es ermöglichen soll, Tarifverträge auszuhandeln. Das ist ein klarer Fortschritt. Doch in Kroatien lässt sich die Richtlinie momentan nicht umsetzen, weil Freiberufler in der nationalen Gesetzgebung nicht anerkannt werden.

Trotz dieser zum Teil eklatanten Unterschiede können und sollten wir zusammenarbeiten. Die EFJ hat daher Expertengruppen geschaffen, zum Beispiel zu Arbeitsrechten oder Gender-Fragen. In diesen Gruppen engagieren sich Menschen aus ganz Europa, mit unterschiedlichen Ressourcen und Kapazitäten. Deren Wissen und Erfahrung brauchen wir – ob festangestellt oder frei ohne Absicherung, Theaterkritiker oder Kriegsreporter. Was eint uns eint ist die Erfahrung mit Drohungen, Angriffen und Hassrede. Leider verlassen viele Menschen den Journalismus, weil sie nicht wissen, wie sie mit all diesen Angriffen umgehen sollen. Die Förderung von Sicherheit ist daher eine der Prioritäten in unserer Arbeit.

Viele Journalist*innen verbinden mit ihrem Beruf individuelle Selbstverwirklichung und politische Einflussmöglichkeiten. Dafür sind Sie bereit, einen hohen Preis zu bezahlen – manchmal sogar bis zum Burnout. Ist die Förderung von psychischer Resilienz und Mental Health ebenfalls Thema bei der EFJ?

Auch verstärkt von der Covid-Pandemie wurde Mental Health für die EFJ zu einem immer wichtigeren Thema. So etwa die Herausforderung, beim mobilen Arbeiten oder im Home Office ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit zu finden. Zudem sind wir Mitglied in einem Projekt, das angegriffenen Journalist*innen Ressourcen für Rechtshilfe und Gesundheit bereitstellt. Aktuell arbeite ich in Kroatien sowie auf europäischer Ebene daran, zusammen mit den Medienhäusern einen Weg zu finden, ein System für psychologische Hilfe zu schaffen. Die Gewerkschaften und Verbände haben oft nicht die Mittel dafür, ohnehin liegt der Schutz der psychischen Gesundheit auch in der Verantwortung der Arbeitgeber.

Journalist*innen arbeiten häufig jedoch als Einzelkämpfer – nicht zuletzt wegen der starken Konkurrenz im Berufsfeld. Wie schwer ist es, Journalist*innen für die Gewerkschaftsarbeit zu begeistern?

Themen wie der Schutz vor Angriffen betreffen uns alle. Allein gegen all diesen Druck zu kämpfen ist unmöglich. Die Gewerkschaften müssen vermitteln, wie wichtig es ist, sich zusammenzuschließen. In einigen Ländern, darunter auch in Kroatien, müssen die Gewerkschaften modernisiert und in der Wahrnehmung der Menschen von den Lasten der Vergangenheit befreit werden, als sie noch mit dem staatlichen System verbunden waren. Für die EFJ und die SNH ist es daher wichtig, zu zeigen: Wir sind für die Menschen da, treten mit ihnen Kontakt und leisten tatkräftige Unterstützung. Dabei kann ich immer auch von eigenen Erfahrungen als Zielscheibe von Politikern berichten.

Jüngeren Generationen beginnen ihr Berufsleben mit einer anderen Mentalität und anderen Zielen als die Baby-Boomer, die sich aktuell noch in den meisten Machtpositionen befinden und als Gatekeeper fungieren. Macht das Alter einen Unterschied bei der gewerkschaftlichen Organisierung?

In vielen Bildungssystemen Europas wird Idee der Konkurrenz als zentraler Wert vermittelt. Solidarität hingegen bleibt häufig auf der Strecke. Wenn die jüngeren Generationen ins Berufsleben einsteigen, agieren sie häufig recht kompetitiv. In den Redaktion erhalten sie das niedrigste Gehalt und müssen häufig ohne Unterstützung von älteren Kolleg*innen zurechtkommen. Irgendwann werden sie merken, dass sie allein nicht gut kämpfen können. Wir sind dann da – nicht um die jungen Kolleg*innen zu bevormunden, sondern um ihnen zuzuhören und ihre Probleme besser zu verstehen.

Wir brauchen einander nicht nur, um unsere Mitgliederzahlen zu erhöhen. Sondern auch, weil wir Älteren von den Jüngeren lernen können, etwa beim Umgang mit neuen Technologien oder mit ihrem Blick auf unsere zum Teil wirklich altmodischen Medienhäuser. Daher müssen wir unsere Türen für die Ideen und Perspektiven die jungen Journalist*innen öffnen und sie als gleichberechtigt respektieren.

Von etablierten Journalist*innen wird beklagt, dass die Grenze zwischen unabhängigem Journalismus und politischem Aktivismus immer stärker zu verschwimmen droht. Teilen Sie diese Sorge?

Meine Arbeit begreife ich nicht als Job, sondern als Berufung, als Auftrag. Weil ich hoffe, damit einige Dinge zum Besseren zu verändern. Dem Agieren als Aktivistin stehen jedoch unsere professionellen Standards entgegen. Dazu gehören das Fact-Checking, eine möglichst objektive Berichterstattung und das Befolgen unserer Berufsethik[3], wie sie etwa in der Globalen Charta der Ethik für Journalisten der International Federation of Journalists (IFJ) festgelegt wurde. Als Journalist*innen sollten wir aber auch selbstkritischer sein. Wir müssen auch unseren Teil dazu beitragen, das Vertrauen in den professionellen Journalismus wiederherzustellen. Ein starker, unabhängiger Journalismus ist elementar für unsere Demokratie. Angesichts der Verschiebung des Kräfteverhältnisses im EP nach Rechtsaußen dürfte das in Zukunft aber leider noch schwieriger werden.

Schon im EP-Wahlkampf konnten wir beobachten, dass Journalist*innen nach wie vor ein beliebtes Ziel sind für Politiker, die systematisch versuchen, Misstrauen zu schaffen. Als EFJ sind wir deswegen sehr besorgt. Wir haben aber keine Angst, weil wir unsere Ziele klar benannt haben und dafür kämpfen werden. Dazu gehört auch, dass die guten Gesetze, die in der letzten Zeit verabschiedet wurden, auf nationaler Ebene auch wirklich umgesetzt werden. Und dass Journalismus als öffentliches Gut anerkannt wird.

 

 

 

 

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