Einfache Idee im komplexen Geflecht

Fachdebatte nach fünf Jahren Bürgerportal Programmbeschwerde.de

Es war zugleich eine Art Geburtstagsfeier: Die Landesmedienanstalt des Saarlandes, Initiator und Koordinator von Programmbeschwerde.de, lud zum 5. Jahrestag der inzwischen relaunchten Plattform zum „Dialog in Berlin“ ein. Unter dem Motto „Einspruch! – Beschwerdemanagement in den Medien“ waren Experten und Interessierte am 21. September 2009 in der hauptstädtischen Landesvertretung zum Fachdisput aufgerufen. Der Deutsche Presserat fungierte dabei als Mitveranstalter.


In seinem Eingangsvortrag brach Prof. Dr. Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts, eine Lanze für die Beschwerde als Beteiligung der Bürger am demokratischen Prozess. Die „gute und einfache Idee“ der saarländischen Landesmedienanstalt (LMS), den Zuschauerinnen und Zuschauern in der verworrenen privaten TV-Landschaft eine zentrale Einspruchs- und Beschwerdestelle per Internet zu eröffnen, sah er als Möglichkeit der Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger bei der Programmbeobachtung, als zusätzliche Chance, möglichen „Rechtsverstößen oder journalistischen Fehlleistungen“ der privaten Veranstalter nachzugehen sowie generell als Form der „Rückkopplung“ mit dem Publikum. Dörr betonte die Funktion auch des privaten Rundfunks für die demokratische Meinungsbildung. Private hätten – „nicht im gleichen Umfang“ wie die überwiegend gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen – aber sehr wohl eine kulturelle Funktion und eine „Wertevermittlungsaufgabe“ in der Gesellschaft. Für die Erfüllung dieses auch verfassungsrechtlich fundierten Auftrags besäßen die Zuschauer ein „gutes Gespür“. Das Beschwerdeportal ermögliche, die Einhaltung „offensiv einzufordern“.
Dr. Gerd Bauer, als Direktor LMS einer der geistigen Väter des Bürgerportals Programmbeschwerde, erinnerte an die Entstehungsgeschichte und betonte zugleich die Servicefunktion. Er informierte, dass nach Vorprüfung auf den sachlichen Gehalt „durchschnittlich 1.000 Beschwerden im Jahr“ an Sender und Gremien zur Bearbeitung weitergegeben würden. „Programmabhängig“ träfen mitunter „bis zu 300 Beschwerden am Tag“ ein. Die LMS fungiere dafür quasi als „Sortierstelle“, da viele Beschwerdeführer den exakten Adressaten ihres Anliegens nicht wüssten. Etwa zwei Drittel der eingehenden Beschwerden beträfen tatsächlich private Veranstalter, das verbleibende Drittel beziehe sich auf das öffentlich-rechtliche Programm und werde weitervermittelt.

System zu wenig transparent

Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Deutschen Presserates, berichtete von durchschnittlich 700 bis 800 Beschwerden pro Jahr. Allerdings sei die Zahl gestiegen, seit der Presserat ab Jahresbeginn 2009 auch für die redaktionellen Online-Auftritte der Verlage zuständig ist. So seien bis Anfang September schon etwa 850 Beschwerden eingegangen, die im Rahmen der Selbstkontrolle „am ethischen Normengeflecht“ des Pressekodex gemessen würden.
Dieter Czaja, Jugendschutzbeauftragter bei RTL Television und Vorstandsvorsitzender der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen E.V. (FSF) erläuterte, dass die Aufsicht im Fernsehen „viel detaillierter“ aufgesplittet sei als in der Presse. Neben der FSF, die sich „mit 60 bis 70 relevanten Themen im Jahr“ zu befassen habe, existierten eigene Gremien in jedem Sender, hinzu käme die Kommission für den Jugendmedienschutz und die Landesmedienanstalten überhaupt. Dadurch sei „das Aufsichtssystem für die Bürger nicht transparent“. Prof. Dörr knüpfte daran die grundsätzliche Frage, „wie die Aufsicht künftig gestaltet“ werden solle. Er sah die Entwicklung hin zu einer übergreifenden „Ländermedienanstalt“, mit der auch die Binnenkontrolle aufgewertet würde, räumte aber sofort strukturelle Schwierigkeiten ein. Czaja verlangte, sich der modernen technischen und Nutzungsentwicklung zu stellen, wobei im Zuge der Medienkonvergenz zunehmend alles „zusammenfließe“. Doch existiere bislang eine „Schieflage“ zwischen der ausschließlichen Selbstkontrolle in der Presse und der teilweisen Selbstkontrolle bei gleichzeitigem Wirken staatlicher Aufsichtsbehörden im Fernsehbereich. Die Zusammenarbeit von FSF und der im Onlinebereich agierenden FSM werde sich nach seiner Überzeugung weiter entwickeln, es sei sinnvoll, auch den Deutschen Presserat einzubeziehen. Ansätze dafür sah Lutz Tillmann bei „drittgenerierten Quellen“ wie über die Medien verbreiteten Inhalten aus Twitter, anderen Netzwerkplattformen oder blogs, die „in allen Medien und von allen Kontrollgremien einheitlich“ behandelt werden sollten.
In der anschließenden Publikumsdebatte fragte ARD-Generalsekretärin Dr. Verena Wiedemann unter anderem nach möglichen gesellschaftlichen Anreizen für mehr Qualität in den Medien. Prof. Dörr warnte vor zu hohen Erwartungen speziell an den privaten Rundfunk. Inhaltliche Anforderungen seien mit den entsprechenden Rundfunkurteilen in den 1980er Jahren auf ein „Mindestmaß“ heruntergefahren worden und juristisch nicht einklagbar. Dieter Czaja sah allenfalls eine Chance für wie immer gestaltete „ökonomische Anreize“ und auch für Lutz Tillmanns liefen solche Bemühungen bestenfalls auf das Wecken „steuerlicher Begehrlichkeiten“ hinaus. „Einfacher wird es nicht“, fasste Dr. Gerd Bauer die Debatte zum Programm-Beschwerdemanagement angesichts der Medienkonvergenz-Herausforderungen zusammen. Doch sei der „richtige Weg eingeschlagen“.

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