20 Jahre danach: Hauptstadtblüte und märkischer Sand

Attraktive Medienmetropole mit knallhartem Wettbewerb auf dem Zeitungsmarkt

Am 5. Februar 1990 hatte die Volkskammer mit ihrem historischen „Beschluss zur Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“ die gesetzliche Grundlage für eine freie Presse in der absterbenden DDR gelegt. Die Entlassung der alteingesessenen Printmedien in die Marktwirtschaft hatte drastische Folgen: „Mehr als die Hälfte aller früheren DDR-Zeitungen sind vom Markt verschwunden“ resümierte die Kohl-Regierung bereits in ihrem „Medienbericht 98“.


Dem galoppierenden Konzentrationsprozess fielen sowohl Nachwende-Neugründungen wie „die andere“ (Neues Forum) wie alteingesessene Zentralorgane von Parteien und Massenorganisationen zum Opfer (vgl. Artikel „Kurzer Frühling“ in M 8–9/09). Übrig blieben die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen, nun allerdings in Regie westdeutscher Großverlage. Besonders schillernd verlief das Schicksal des traditionsreichen Berliner Verlags. Dieses Filetstück der DDR-Printmedien hatte sich früh Gruner + Jahr gesichert, anfangs gemeinsam mit Robert Maxwell. 1991 wurde Gruner+Jahr alleiniger Eigentümer. Von den bunten Zeitschriftenlogos am Verlagstower unweit vom Berliner Alexanderplatz war bald keines mehr übrig. Ob Freie Welt, Für Dich, Horizont, F.F.dabei oder Wochenpost – sie alle wurden vom neuen Eigner in kürzester Zeit herunter gewirtschaftet oder verkauft. Auch im Tageszeitungsgeschäft agierte G+J glücklos. Der ehrgeizige Plan des früheren Herausgebers Erich Böhme, das Flaggschiff Berliner Zeitung zu einer Art Washington Post zu stylen, scheiterte. Spätestens mit der Medienkrise um die Jahrtausendwende, als die Internet-Blase platzte, verlor der Verlag die Lust am Berliner Markt. Ein zunächst geplanter Verkauf an den Holtzbrinck-Konzern zerschellte am Veto des Kartellamts. Nach einem zweijährigen Intermezzo unter der Kontrolle von Renditejäger und Sparkommissar David Montgomery landete der Berliner Verlag Ende 2008 zur Erleichterung vieler Mitarbeiter beim Kölner Verlag Neven DuMont Schauberg. Die letzten Nachrichten über geplante Ressortzusammenlegungen bei der Berliner Zeitung und der gleichfalls von den Kölnern gelenkten Frankfurter Rundschau lassen allerdings wenig Gutes für die künftige verlagsinterne publizistische Vielfalt ahnen.

Moderate Copypreise

Für die Medienkonsumenten hatte die neue Attraktivität der Medienmetropole Berlin überwiegend positive Effekte. In keiner anderen deutschen Stadt gibt es eine solche Fülle hochwertiger Zeitungstitel. Der Markteintritt von G+J sowie Holtzbrinck, der 1992 den Tagespiegel übernahm, knackte definitiv das Springer Fast-Monopol aus Vorwendezeiten. Stammten noch 1989 vier von fünf verkauften Berliner Tageszeitungen aus Springers Meinungsfabrik, so wetteifern nunmehr mit Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost und Tagesspiegel gleich drei regionale Qualitätsblätter um das Prädikat „Hauptstadtzeitung“. Auf der Strecke blieb dagegen früh das kleine liberale Volksblatt Berlin. Die einstigen Sprachrohre von SED und Freier Deutscher Jugend – Neues Deutschland und Junge Welt – kämpfen ums Überleben. Dagegen erfreut sich die linksalternative tageszeitung (taz) nach wie vor erstaunlich guter Gesundheit. Eine für die Leser angenehme Begleiterscheinung des bundesweit einzigartig harten Wettbewerbs sind extrem moderate Copypreise von unter einem Euro pro Zeitungsexemplar. Während bei der Auflagenentwicklung der Tagesspiegel im Vergleich am günstigsten abschneidet (s. Tabelle), hat die Berliner Zeitung offenbar den „Ost-West-Spagat“ am besten geschafft. Nach Angaben von Vize-Chefredakteurin Brigitte Fehrle verkauft das Blatt inzwischen 30 Prozent seiner Auflage in den ehemaligen Westbezirken der Hauptstadt. Die hohe Bevölkerungsfluktuation in der Hauptstadt beschleunigt die Lockerung alter Bindungen. Ein echtes Hauptstadtblatt mit überregionaler Strahlkraft ist dagegen nicht in Sicht, wird aber auch kaum vermisst.

Bei den drei früheren SED-Bezirkszeitungen Brandenburgs kamen nach der Wende wie andernorts auch potente Westverlage ans Ruder. Der Neue Tag in Frankfurt/Oder nahm pünktlich zum 17. März 1990, einen Tag vor den ersten (und letzten) freien Wahlen zur DDR-Volkskammer den Namen Märkische Oderzeitung an. Das Blatt deckt den Norden und Osten der Mark ab und wird heute jeweils zur Hälfte von den Verlagen der Südwest Presse und der Mediengruppe Süd (Stuttgart) unter dem Dach der Südwestdeutschen Medienholding kontrolliert. Die ehemalige Märkische Volksstimme erscheint heute unter dem Namen Märkische Allgemeine in Potsdam und bedient hauptsächlich Westbrandenburg. Hundertprozentiger Eigner ist der Verlag der FAZ. Die Lausitzer Rundschau in Cottbus ist eine hundertprozentige Tochter der Saarbrücker Zeitung, die sich wiederum im Eigentum der Holtzbrinck-Gruppe befindet. Der im Frühjahr 2004 gestartete Versuch, mit dem Billigblatt 20cent zu Dumpingbedingungen eine Art von gebührenpflichtigem Anzeigenblatt im Tabloidformat auf dem Markt zu etablieren, scheiterte. Im Gefolge der Medien- und Finanzkrise wurde 20cent ebenso wie der saarländische Ableger 20cent saar Ende Februar dieses Jahres eingestellt. Alle brandenburgischen Regionalblätter leiden angesichts der landfluchtbedingten Abwanderungen unter überdurchschnittlichen Auflageverlusten.
Nach dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin im Jahr 1999 verstärkte sich der Sog auf Medien und Lobbyorganisationen der Medienwirtschaft. Längst hat Springer die Zentralredaktionen von Welt und Bild an die Spree geholt. Beim Freitag versucht sich Spiegel-Erbe Jakob Augstein an der Entwicklung eines Wochenzeitungsmodells, das die Stärken von Online und Print vereint. 20 Nachrichtenagenturen aus aller Welt sind in Berlin vertreten. Ab Mai 2010 beginnt der Umzug von dpa aus Hamburg nach Berlin, mit dem Ziel, alle zentralen Agenturdienste an der Spree zu konzentrieren. Da in Berlin die (politische) Musik spielt, sind mittlerweile fast alle wichtigen Medienverbände hier gelandet: BDZV, VDZ, Zentralverband der Werbewirtschaft, Deutscher Presserat, nicht zu vergessen die Zentrale der Dienstleistungs- und Mediengewerkschaft ver.di.
Anders als bei den Printmedien verlief die Entwicklung im Rundfunk der Hauptstadtregion eher durchwachsen. Ende 2008 fiel bei der ProSiebenSat.1 Media AG die Entscheidung, den „Familiensender“ Sat.1 nach neun Jahren aus Berlin abzuziehen. Auf der Strecke blieben dabei 350 qualifizierte Arbeitsplätze. Trauriges Ergebnis einer renditeorientierten Geschäftspolitik der Finanzinvestoren Permira und KKR, die den negativen Ruf von Finanzinvestoren nachhaltig festigte. Mit dem Nachrichtenkanal N24 ist die größte Privat-TV-Gruppe in der Hauptstadt aber weiterhin vertreten. Trotz des Weggangs von Sat.1 gilt der Großraum Berlin-Brandenburg als zukunftsträchtiger Standort einer kreativen TV-Produktion. Mit einem Jahresumsatz von rund 320 Millionen Euro ist in Potsdam die UFA-Gruppe, das größte Produktionshaus Europas, zu Hause. Insgesamt 2.000 Film- und Fernsehunternehmen listet der Branchenführer für die Region auf, darunter so bedeutende Firmen wie MME, teamWorx, Studio Hamburg, Ziegler Film und Producers at Work. Berlin Adlershof und Studio Babelsberg bieten gute Produktionsbedingungen für die Film- und TV-Produktion.

Fusion zu einer Rundfunkanstalt

Während die private AV-Branche früh die Chancen des Großraums Berlin-Brandenburg erkannte, wurschtelte der öffentlich-rechtliche Rundfunk zunächst separat in beiden Bundesländern herum. Profilierungsgehabe und Verhandlungsungeschick der Beteiligten führten dazu, dass sich Pläne für eine ökonomisch sinnvolle Drei-Länder-Anstalt aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern früh zerschlugen. Stattdessen ging 1992 mit dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) eine „schlanke“ Anstalt für 2,5 Millionen Einwohner auf Sendung, sinnigerweise unter der Intendanz des „West-Imports“ Hans-Jürgen Rosenbauer. In den Folgejahren lieferte sich der Newcomer mit dem alteingesessenen Sender Freies Berlin ein Nahduell um Fragen wie Wirtschaftlichkeit, Qualität und Innovationskraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ein Zustand medienpolitischer Kleinstaaterei, der erst 2003 endete, als ORB und SFB nach langjährigen Querelen zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) fusionierten. Und damit immerhin mehr Mut zur Veränderung bewiesen als die Politiker beider Bundesländer. Erstmals in der Geschichte der ARD rückte zudem mit Dagmar Reim eine Frau an die Spitze einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Dass aus der Ehe von zwei Armen kein Reicher entstehen kann, war von Anfang an klar. Einen Sender „mit Strahlkraft in der ARD“ hatte sich die Intendantin als Ziel gesetzt. Träume, die an der rauen Wirklichkeit zerbrachen. Als sich Mitte letzten Jahres ein Etatloch von 54 Millionen Euro für die Gebührenperiode 2009–2012 auftat, reagierte die Senderleitung mit harten Schnitten. Mit der Einstellung von Radiomultikulti und dem TV-Zeitgeistmagazin „Polylux“ Ende 2008 traf es ausgerechnet zwei der wenigen Formate, die dem RBB in der Vergangenheit ARD-weit Respekt verschafft hatten. Das RBB-Fernsehen kommt auch nach der Vereinigung von „märkischem Landfunk“ und „Hauptstadt-TV“ nur selten über provinzielles Niveau hinaus.
Dieses Schicksal teilen auch die kläglichen Restbestände des Metropolen-Fernsehens das in den 90er Jahren in der Hoffnung auf eine rasante Expansion des Wirtschaftstandorts gestartet war. Seit dem 1. April 1991 hatte FAB – „Fernsehen aus Berlin“, ein joint venture diverser Klein(st)produzenten versucht, die Berliner mit einem wirren Mix aus Astro-Show, Gastro-Kritik und Lokalsport in den Bann zu ziehen. Im Frühjahr 2009 ging FAB – „Fernsehen aus Berlin“ in die Insolvenz. 1993 schickte sich der Ex-Filmemacher Ulrich Schamoni an, mit dem Sender „IA Brandenburg“, später „Puls-TV“, das Hauptstadtpublikum zu erobern. Einige Konkurse und Besitzerwechsel später läuft der Sender heute unter dem Namen TV.Berlin in Regie der „Germany 1 Media AG“. Ein gutes Viertel der Anteile hält Springer. Wer’s nicht kennt, hat wenig verpasst. Eine gewisse „Vielfaltreserve“ bieten die diversen kleinen brandenburgischen Lokal-TV-Sender, die nach der Wende aus dem märkischen Boden schossen. Viele von ihnen kämpfen aber mit Finanzierungsproblemen und leiden unter lokalpolitischem Filz.
Ende 1991 war mit dem Sendeschluss beim Deutschen Fernsehfunk in Berlin-Adlershof und dem Aus für „Radio Aktuell“ ein gut vierzigjähriges Kapitel (ost)deutscher Rundfunkgeschichte zu Ende gegangen. Die Abwicklung der im deutsch-deutschen Einigungsvertrag als „Einrichtung“ bezeichneten Reste des ehemaligen Rundfunks der DDR besorgte Rudolf Mühlfenzl, der frühere Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. Nach seinen Schätzungen sollte etwa ein Drittel der mehr als 14.000 Mitarbeiter des zerschlagenen Staatsfunks in einer der neu gegründeten öffentlich-rechtlichen Anstalten wieder Arbeit finden. Besonders pikant war die von den Ländern beschlossene Kooperation beim 1994 neu geschaffenen Deutschlandradio. Fusioniert wurden dabei drei höchst unterschiedlich strukturierte Rundfunkunternehmen. Während der Kölner Deutschlandfunk seine Rolle als politisches Informationsprogramm weiter spielen konnte, sorgte das Zusammengehen des RIAS mit DS Kultur (entstanden 1990 aus der Fusion von Deutschlandsender und Radio DDR II) anfangs für nicht geringe personelle Verwerfungen. Kein Wunder, waren doch die Mitarbeiter des RIAS – „eine freie Stimme der freien Welt“ – und die ehemaligen DDR-Rundfunkmitarbeiter einander feindlich gesonnenen ideologischen Systemen verpflichtet gewesen. 15 Jahre danach ist von der einstigen Konfrontation „kalter Krieger“ kontra „rote Socken“ kaum noch etwas zu spüren. Neben dem Kölner Deutschlandfunk zählt das Berliner Deutschlandradio Kultur zu den verlässlichen Stützen des öffentlich-rechtlichen Qualitätshörfunks in der Republik. Dazu tragen in Berlin-Brandenburg auch die sechs RBB-Programme bei. Vor allem die eher jugendlichen Formate Radio Eins und „Fritz“ genießen bundesweit Anerkennung. Im privaten Hörfunk erwies sich die mutige Lizenzierungspolitik des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) als wahrer Segen. Anders als in vielen Flächenstaaten der Republik kamen auch ungewöhnliche Musikformate wie Jam, Jazzradio oder Motor FM zum Zuge. Auch große Minderheiten wie die türkische und russische Community verfügen mit Radio Metropol und Radio Russkij in der Hauptstadt über eigene Wellen. Dass die heutigen Musikdampfer r.s.2 und Berliner Rundfunk auf Privatisierungen des einstigen öffentlich-rechtlichen Musikkanals RIAS 2 und eines DDR-Senders gleichen Namens zurückgehen, ist den meisten Radiohörern wohl längst nicht mehr bewusst.

Abonnementszeitungen in Berlin-Brandenburg 1989–2009

Verkaufte Auflage in Tsd. Exemplaren Mo–So Differenz
Quartal/Jahr III/1989 II/1998 II/2009 1989–2009
Berliner Zeitung 439,1 217,2 163,8 – 62,7 %
Berliner Morgenpost 176,2 179,2 142,7 – 19,0 %
Der Tagesspiegel 127.4 132,4 138,8 + 8,9 %
Tageszeitung (taz) 58,8 61,6 58,8 0,0 %
Neues Deutschland * 128,3 65,4 40,7 – 68,3 %

Märkische Allgemeine 350,8 213,0 147,8 – 57,9 %
Märkische Oderzeitung 212,0 138,1 89,9 – 57,6 %
Lausitzer Rundschau 293,0 172,7 99,3 – 66,1 %

*1. IVW-Meldung für ND I/1991
Quellen: IVW, BDZV

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