Viele Ostdeutsche beklagen, dass Filme und Serien nicht immer die tatsächliche Lebenswirklichkeit der Menschen im Osten wiedergeben. Denn ihre Geschichten werden oft von Leuten erzählt werden, die im Westen sozialisiert wurden. Dabei kommt es jedoch weniger darauf an, wer die Geschichten schreibt. Der Tonfall ist ausschlaggebend.
Ist es unangemessen, wenn ein westdeutscher Autor Drehbücher über Ereignisse in der DDR schreibt? Viele Ostdeutsche haben das Gefühl, Filme und Serien über ihre Heimat spiegelten oftmals nicht die tatsächliche Lebenswirklichkeit wider. Womöglich, weil die Geschichten von Menschen erzählt würden, die im Westen sozialisiert worden sind. Prompt steht der Vorwurf im Raum, die jeweiligen Autor*innen hätten ihre Bücher nicht aus einer Region heraus entwickelt, sondern sich ein Thema „ergoogelt“ und einer Gegend übergestülpt, ohne jemals dort gewesen zu sein. Charaktere und Schauplätze wären dann durch Klischees und Vorurteile geprägt.
„Der Blick auf ostdeutsche Geschichten ist möglicherweise tatsächlich vorurteilsbehaftet“, entgegnet ein westdeutscher Autor, aber das gelte für den ostdeutschen Blick nicht minder. „Ein ostdeutscher Autor hat doch ebenfalls Klischees seines Landes im Kopf. Vielleicht wirkt es authentischer, wenn jemand aus dem eigenen Fundus schöpfen kann. Dafür ist der Blick von außen sachlicher und nüchterner. Folgt man der Logik, dass jede*r nur die eigene Geschichte erzählen darf, dann dürfen Alte nicht mehr über Junge schreiben, Städter nicht über die Provinz, Frauen nicht über Männer. Das ist eine sehr kurz gedachte Sichtweise.“
Mehr als nur die AfD
Auch Martin Brambach hält Identitätspolitik und daraus resultierende Ausschlusskriterien für problematisch. Er verkörpert seit 2016 den Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel aus dem Dresdener „Tatort“. Als er die Rolle übernommen habe, sei es sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, „dass Schnabel in der Region verwurzelt ist und politisch auch mal querschießen darf. Unser damaliger Autor Ralf Husmann, ein gebürtiger Westfale, hat diese Rolle so wunderbar entwickelt, dass die Leute sagen: ‚Das ist einer von uns.’“ Im Osten, sagt Brambach, Jahrgang 1967, gebürtiger Dresdener, allerdings 1984 in den Westen übergesiedelt, „gibt es sehr viele Menschen, die keine Lust mehr haben, sich belehren zu lassen, und sich darüber ärgern, dass ihre Heimat regelmäßig auf die AfD reduziert wird. Und es gibt eine spezielle Befindlichkeit, die viel mit der Wende zu tun hat. Viele haben die Wiedervereinigung als feindliche Übernahme empfunden, das wirkt immer noch nach.“
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), kann das bestätigen. Aufgrund der konfliktbeladenen Überlieferung präge die Erinnerung den Alltag und die Mentalität in ostdeutschen Familien bis heute. Nach Ansicht des einstigen Bürgerrechtlers, 1959 in Thüringen geboren, sei es jedoch nicht allein entscheidend, welche regionale Herkunft die Erzählenden hätten: „In der Zeitgeschichtsforschung gibt es das Bonmot über Zeitzeugen, die der größte Feind der Historikerinnen sind, denn im Kern wird sich immer zurechtgebogen, ‚wie es wirklich gewesen ist’. Er hält die Furcht vor kultureller Aneignung ohnehin für „maßlos überzogen und identitätspolitisch überhöht. Außerdem sei es an der Zeit, endlich damit aufzuhören, „‚den Osten’ ohne ‚den Westen’ zu denken und umgekehrt.“
Zwischentöne bewusst machen
Journalistische Formate spielen in diesem Zusammenhang selbstverständlich ebenfalls eine Rolle. „Tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer (Jahrgang 1979), aufgewachsen in Mecklenburg, gilt als Expertin für das Ost/West-Thema, seit sie 2023 die Reportage „Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen“ gedreht hat. Das Problem, sagt sie, sei oftmals nicht das Wer, sondern das Wie: „Weil manchmal über den Osten berichtet wird, als handele es sich nach wie vor um ein fremdes Land.“ Es gebe auch mehr als dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung „immer noch so einen Ton wie in Reportagen aus dem Ausland. Wenn man diesen Ton einmal gehört hat, dann kriegt man ihn schwer wieder aus dem Ohr. Und dann haben Ostdeutsche manchmal das Gefühl, die berichten nicht über ‚uns’, sondern über ‚die da’.“
Ost-Geschichten
Laut ARD-Tochter Degeto liegt der Anteil ostdeutscher Geschichten beim Freitagsfilm im „Ersten“ bei 25 Prozent. Die bekannteste Reihe ist „Praxis mit Meerblick“ (Rügen, seit 2017). Auch beim Donnerstagskrimis ist der Osten mit „Usedom-Krimi“ (seit 2014), „Wolfsland“ (Görlitz, seit 2016) und „Tod am Rennsteig“ (Thüringen, seit 2023) gut vertreten. Hinzu kommen die „Polizeiruf 110“-Beiträge aus Rostock (NDR), Frankfurt/Oder (RBB), Magdeburg und Halle (beide MDR). Außerdem die Dienstagsserien „In aller Freundschaft“ (Leipzig, seit 1998) und „Tierärztin Dr. Mertens“ (Leipzig, seit 2006). Auch im ZDF ist der Osten dank Krimireihen wie „Spreewaldkrimi“ (seit 2006), „Stralsund“ (seit 2009), „Das Quartett“ (Leipzig, seit 2019), „Erzgebirgskrimi“ (seit 2019) und „Theresa Wolff“ (Jena, seit 2021) sehr präsent.
Bilder der Gegenwart
Reportagen beschäftigen sich meist mit der Gegenwart. Das Bild der Vergangenheit wird daher durch fiktionale Erzählungen beeinflusst. Ein Film, sagt RBB-„Polizeiruf“-Redakteurin Daria Moheb Zandi, „wirkt auf vielen Gestaltungsebenen und erreicht Herz und Verstand gleichermaßen.“ Wellmer, die zum Zeitpunkt des Mauerfalls noch ein Kind war, erzählt von ihrem 16jährigen Sohn, der kürzlich „Das Leben der Anderen“ (2006) gesehen habe: „Der Film prägt sein DDR-Bild wahrscheinlich mehr als manche Erzählung aus der eigenen Familie.“ Für Brambach ist der Polit-Thriller mit Ulrich Mühe als Stasi-Hauptmann, dem während der Überwachung eines Dramatikers Zweifel an seinem Tun kommen, ein Beleg dafür, dass auch ein „Wessi“ wie Florian Henckel von Donnersmarck (1973 in Köln geboren) einen „ganz wunderbaren Film über die DDR“ drehen könne.
Das Klischee vom Westfernsehen
Wellmer ist allerdings aufgefallen, dass ostdeutsche Film- oder Serienfiguren oft von der DDR und den Umbrucherfahrungen der frühen Neunziger geprägt seien. Sie fragt sich, was das wohl mit ostdeutschen Zuschauern mache: „Erkennen die sich wieder? Und neigen sie wegen dieser Role-Models vielleicht mehr dazu, für ihr eigenes Schicksal die DDR, den Umbruch oder ‚den Westen’ verantwortlich zu machen?“
Allerdings empfindet sie es als schwierig, „dass jetzt, wo für das ganze Land so viel zu verhandeln ist, ausgerechnet diejenigen im Osten den Debattenton vorgeben, die alte Rechnungen offen haben.“ Trotzdem sei das Bild von Deutschland im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Ost wie West, viel differenzierter, als es manchmal erscheine. „Man muss aufpassen, dass man nicht das Klischee vom ‚Westfernsehen’ fortschreibt, bloß weil einem nicht immer passt, was dort gesagt oder gesendet wird.“ Für ihren Film „Machen wir unsere Demokratie kaputt?“ (26. August um 20.15 Uhr im „Ersten“) ist Wellmer vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen der Frage nachgegangen, warum so viele Menschen an der Demokratie zweifeln.