Nachrichten gegen Desinformation

Weltkugel auf einer Tastatur

Foto: fotolia/Thomas

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden – und mit ihm alle freien Gesellschaften.

Deshalb schlägt Walmsley Alarm. Unterstützt wird er vom Weltverband der Nachrichtenmedien (WAN-IFRA), dem World Editors Forum, der Canadian Journalism Foundation und dem Daily Maverick. „Angriffe auf Journalisten – auch Morde – erreichen Rekordhöhen,“ beobachtet Walmsley. Ungesühnt. Die Mörder von mexikanischen Journalisten die die Verbrechen der Drogenmafia anprangern oder die Vollstrecker willkürlicher Journalisten-Hinrichtungen im Iran kommen fast immer straffrei davon. Hinzu komme die brutale Jagd auf Berichterstatter*innen in Kriegsgebieten.

Doch der grausame Blutzoll macht mutige Reporter*innen auf der ganzen Welt noch entschlossener: „Sie können den Journalisten – den Boten – töten, aber nicht Story. Andere werden berichten,“ sagt Walmsley.

 Journalist*innen als Freiwild

„Das Pressebanner schützt nicht mehr – es ist eine Zielscheibe,“ sagt Dima Khatib, die Chefredakteurin von AJ+, der Social-Media-Plattform des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera im Gespräch mit M. Beim WAN-IFRA Women-in-News-Event Ende Mai in Kopenhagen, das von Dimitra Letsa, einer Leiterin von Googles News Partnerships, organisiert wurde, verteilte Khatib schwarze T-Shirts mit dem Foto einer getöteten Kollegin. Shireen Abu Akleh wurde in Dschenin im Westjordanland vermutlich durch einen Schuss des Israelischen Militärs umgebracht. Das Tabu, das Pressemitarbeiter, genauso wie Hilfskräfte des Roten Kreuzes, nicht beschossen werden dürfen, sei gebrochen worden. „Es sind dunkle Zeiten für Journalisten. In den letzten acht Monaten wurden in Gaza 143 Kollegen getötet,“ bedauert Khatib, die mit dem diesjährigen WAN-IFRA-Preis „Women in News Editorial Leadership“ ausgezeichnet wurde.

„Pink Slime“ und ein kaputtes Business-Modell

Der Boden wackelt und die Wände stürzen ein,“ beschreibt John Ridding,  Geschäftsführer der Financial Times (FT), die Gefühlslage in den Chefetagen vieler Verlage. Während seines Vortrages beim 75. Jahrestreffen des Weltverbandes der Nachrichtenmedien (WAN-IFRA) in Kopenhagen zeigt er Statistiken von den Umsätzen der FT. Zu den Graphiken, die wie Blitze erbarmungslos einschlagen in die „Unterwelt“ der roten Zahlen, spielte er Carl Orffs „O Fortuna“. Werbeeinnahmen, Reichweite und Auflagen – die Lebensadern fast aller Nachrichtenpublikationen – brechen weltweit schockierend ein.

Aggressive  Player wie Meta, Amazon und Googles Mutterkonzern Alphabet reißen, laut einer Studie des World Advertising Research Center, 44 Prozent des weltweiten Werbeetats an sich. Für die traditionelle Medien, die bisher den ganzen Kuchen für sich hatten, bleiben nur noch magere 25 Prozent.

Unternehmen, die mit künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten, nutzen die Panik, um, möglichst zu Ramschpreisen – oder noch besser umsonst – die wertvollen Archive und Presseinhalte, das Gold der  Medienhäuser, abzusaugen. Die FT, Axel Springer und viele andere haben bereits an Open AI verkauft.

Obwohl Bertelsmann in den letzten Jahrzehnten mit Top-Medien wie dem STERN, Geo, Capital etc. sowie seinem früheren Goldesel RTL, Milliardengewinne einfuhr, reagiert der Konzern mit Massenentlassungen auf die Krise. Angst, ein katastrophaler Verlust an Talent, Exklusivität und Esprit, treibt die früheren Medien-Flaggschiffe immer weiter in die seichten Untiefen der Bedeutungslosigkeit.

Ein paar Hamburger Medienhäuser weiter gibt es Grund zu feiern. Die Holtzbrinck Publishing Group nutzt Gewinne aus dem Goldenen Print-Zeitalter um weiterhin Qualitätsjournalismus zu liefern. „Dadurch können sich unsere Mitarbeiter auf langfristige Ziele konzentrieren“, sagte Stefan von Holtzbrinck, der CEO und Großaktionär von Holtzbrinck.

Mit Erfolg. „Die Zeit hat ihre verkaufte Auflage in den letzten zwei Jahrzehnten um 40 Prozent gesteigert,“ informierte Zeit-Online-Chef Jochen Wegner beim WAN-IFRA Kongress. Mit seiner „Freunde der Zeit“ Community gelang es ihm und Zeit Print Chefredakteur Giovanni di Lorenzo 350.000 attraktive, vorwiegend junge, Abonnenten zu gewinnen.

Verlust der Meinungshoheit

Kommunikationstechniken haben sich in den letzten Dekaden rasanter entwickelt als in 4000 Jahren zuvor. Zeitungen, Radio und TV haben ihre Monopole auf die Verbreitung von Informationen verloren – und damit die Deutungshoheit.

Jede*r mit Internet kann derzeit, quasi anonym, ungehemmt und ohne Schutz vor sich selbst oder der Gesellschaft – die sozialen Netzwerke mit abstrusen Inhalten bestücken. Mit Hilfe der KI ist es billig und kinderleicht  täuschend echte Texte und Bilder zu generiert – fast immer ohne Konsequenzen. Der seriöse Journalismus, der Behauptungen erst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, ist durch Massenentlassungen und das weltweite „Blättersterben“ derart geschwächt, das sich im Netz fast ungehindert, eine brandgefährliche neue Fake News Epidemie ausbreitet: „Pink Slime“.

Pink Slime ist das amerikanische Slangwort für ekelerregendes Gammelfleisch, das Restaurants zuweilen unter ihr Hackfleisch mischen. Lobbygruppen und Populisten nutzen „Pink Slime“ als neue Waffe der Desinformation. Sogenannte Pink Slime-Webseiten, nennen sich „Boston Times“ oder „Chicago City Wire“ und wirken wie etablierte Nachrichtenportale. KI gesteuert verbreiten sie eklatanten Lügen, Hass und Verleumdungen mit denen, besonders vor Wahlen wie jetzt in den USA, politische Gegnern vernichtet werden sollen.

Eine brandgefährliche Entwicklung. Denn seriöse Medien fällt es immer schwerer ihre bisherige Wächterfunktion für Wahrheit und Gerechtigkeit zu erfüllen. Die freien Gesellschaften sind in Gefahr. Deshalb hat die Allianz Stiftung, gemeinsam mit der Rudolf-Augstein-Stiftung, den Media Forward Fund gegründet, der 6 Millionen Euro für innovative Medienkonzepte spendet.

„Retten Sie den Journalismus!“

Genau wie Claude Bellanger, der französischer Verleger und Widerstandskämpfer, der 1948, kurz nach dem 2. Weltkrieg, in Paris den Weltverband der Nachrichtenmedien gründete, glaubt sein Nachfolger Vincent Peyrègne daran, dass eine freie Presse Faschismus, Kriege und Diktaturen verhindern kann. Als Chef von WAN-IFRA ist es ihm gelungen,  mit seinen 3000 engagierten Mitglieder, darunter das Who is Who der internationalen Medien, eine machtvolle, engagierten Journalisten-Community aufzubauen.  Peyrègne tut alles, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Das gelingt jedoch nur, wenn seriöse Medien Zuschüsse und Spenden erhalten, die nicht knebeln und den Journalisten ihre Freiheit lassen.

Peyrègne fordert: „Retten Sie den Journalismus! Unterstützen Sie überall auf der Welt freie und unabhängige Medien!“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Assange äußert sich erstmals öffentlich

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, hat in seiner heutigen Anhörung vor dem Europarat den Deal kritisiert, den er mit der US-Justiz schließen musste, um aus seiner langjährigen Haft freigelassen zu werden. Es war sein erster öffentlicher Auftritt nach seiner Freilassung Ende Juni. Die dju in ver.di fordert eine Aufarbeitung.
mehr »

Spaniens Justiz kämpft gegen Hetze im Netz

Spanischen Staatsanwälte verstärken ihre Ermittlungen zu Hassverbrechen in sozialen Medien. Denn Rechtsextreme und Rechtspopulisten hetzen zunehmend im Internet. Sie machen Stimmung gegen Zuwanderung, Pressevertreter*innen und einzelne Politiker*innen. Auch das Strafrecht soll daher verschärft werden. Doch das könnte gerade für Medienschaffende zum Problem werden.
mehr »

Sorge um Pressefreiheit in Osteuropa

„Journalistinnen und Journalisten stehen In vielen Ländern Osteuropas unter enormem Druck von Regierungen. Von Pressefreiheit kann angesichts von Repressalien wie Klagen, Bedrohungen und Inhaftierungen keine Rede mehr sein. Dabei machen die Journalist*innen einfach nur eins – ihre Arbeit“, betont Tina Groll, Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, anlässlich der Verleihung der Free Media Awards 2024 für Medienschaffende in Osteuropa heute norwegischen Nobel-Institut in Oslo.
mehr »

Immerhin gibt es Presse

Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Hunderte wurden strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle, das Internet wird umfassend zensiert und überwacht. Dennoch wird viel über den Iran berichtet und viele Iraner*innen nutzen soziale Medien. Es gibt einen öffentlichen politischen Diskurs. Ein Gespräch mit dem Historiker Arash Azizi.
mehr »