Für die zweite Tarifverhandlungsrunde am 25. Juli 2024 hatten die Verhandler*innen des Zeitungsverlegerverbandes BDZV der dju in ver.di ein Angebot zu Tariferhöhungen angekündigt. Gehalten haben sie das Versprechen nicht. Konkrete Zahlen zur Tariferhöhung blieb der BDZV schuldig. Stattdessen stellte er Gegenforderungen zum Nachteil der Zeitungsredakteur*innen. Heute streikten dagegen über 100 Beschäftigte der Süddeutschen Zeitung. In Nürnberg gab es eine Aktive Mittagspause vor dem Verlag Nürnberger Presse.
Für den Arbeitgeber war es offenbar ein zu deutliches Signal seiner Beschäftigten. Über 80 Zeitungsredakteur*innen , viele von ihnen in ver.di-Westen und mit Plakaten, hatten sich vor dem SZ-Turm in München-Steinhausen zum Warnstreik versammelt, anstatt an in ihren Büros an den Rechnern zu sitzen. Über den Pförtner ließ die Arbeitgeberseite deshalb ver.di-Gewerkschaftssekretär Ertunç Eren ausrichten, er möge doch bitte samt seiner Versammlung den Platz räumen. „Wir sind sichtbar und diese Reaktion ist ein Ritterschlag“, meinte Eren daraufhin. Noch nie sei es ihm passiert, dass Streikende vom Gelände gebeten worden sein. Die unsouveräne Reaktion der Arbeitgeberseite spricht Bände. Das Signal, das die Beschäftigten mit dem Warnstreik setzen wollten, scheint angekommen.
„Für mich ist es wichtig, dass wir hier gemeinschaftlich stehen und zwar nicht gegen eine Sache, sondern für eine Sache. Wir stehen hier, weil wir für einen Tarifvertrag sind, wir stehen hier alleine, weil der andere Verband, der DJV, einen Tarifvertrag abgeschlossen hat ohne unsere Zustimmung. Wir haben Forderungen aufgestellt, der Arbeitgeberverband möchte angeblich zwar mit uns verhandeln, macht aber kein Angebot, im Gegenteil, er möchte die Bedingungen für die Zukunft noch verschlechtern,“ sagt Eren
Bessere Löhne und Honorare
Die Forderungen von ver.di liegen auf dem Tisch. Die Gehälter und Honorare sollen bezogen auf eine Laufzeit von 12 Monaten und frühestmöglich um 12 Prozent erhöht werden. Redakteur*innen sollen einen Auskunftsanspruch über die Einführung und die erzielten Erträge aus der Effizienzsteigerung durch den Einsatz von generativen KI-Systemen erhalten. Die Effizienzerlöse sollen mit den Beschäftigten geteilt werden. Es soll einen Individualanspruch zur Mitsprache bei der Einführung und Verwendung von generativen KI-Systemen geben.
Doch statt mit einem verhandelbaren Angebot beziehungsweise konkreter Zahlen zu reagieren, hat der BDZV Gegenforderungen zum Nachteil der Zeitungsredakteur*innen gestellt. So soll es nach Berufsjahresstufen zustehende Einkommensschritte nur noch dann geben, wenn der/die Redakteur*in eine thematisch vorgegebene, aber ansonsten vollkommen eigenverantwortlich zu organisierende Weiterbildung vorweisen kann. Weder dafür nötige Freistellungen, Bezahlung der Weiterbildung oder anderweitige Mithilfe des Verlages sollen vorgesehen sein. Zudem solle es bei der Übernahme von Leistungsaufgaben keine tarifliche Höhergruppierung, sondern nur noch einzeln dem Verlag abzuringende Zulagen geben. Außerdem sollen Vorbeschäftigungszeiten nur noch aus Zeitungsberufsjahren angerechnet werden. Erfahrungen aus anderen Medien wie Rundfunk, Agenturen oder Zeitschriftenverlage nur ausnahmsweise, so wie es bisher bei Dienstjahren in Pressestellen üblich ist.
Wut über den Stillstand
Die Wut über dieses Nicht-Angebot der Arbeitgeberseite war am Donnerstag spürbar unter den streikenden Redakteur*innen der Süddeutschen Zeitung GmbH. ver.di hatte auch Volontär*innen und die freien Journalist*innen mit allen Außenredaktionen aufgerufen, zudem auch die Redaktionspraktikant*innen und die Werksstudent*innen zum Solidaritätsstreik.
Auffällig war, dass die Mehrheit der Streikenden vor dem Verlagshaus aus jungen Redakteur*innen der Süddeutschen Zeitung bestand, jene, „die die anstehenden negativen Veränderungen in der Frühphase ihres Berufslebens treffen werden“, erklärt Ertunç Eren. Journalisten etwa wie Philipp Saul, 31, vom News-Desk, wo von 4.30 Uhr morgens bis 24 Uhr im Schichtdienst an der die Homepage der SZ gearbeitet wird:
„Ich mache mir Gedanken um die Zukunft meines Berufs, es fühlt sich ziemlich perspektivlos an. Es fehlt die Anerkennung.“
Auch im Form einer angemessenen Bezahlung, „alles wird teurer, die Inflation hat mir so viel genommen.“ Mehr Geld für sich und die Kolleg*innen will auch sein Kollege am News-Desk Juri Auel, 33, erstreiken, der hofft, dass man bei künftigen Arbeitsniederlegungen in der aktuellen Tarifauseinandersetzung noch mehr Mitglieder der SZ-Redaktion zum Streiken motivieren kann.
Arbeitskampf für die Zukunft des Journalismus
„Wer jetzt nicht streikt, der streikt bald gar nicht mehr“, sagt Susanne Hermanski, Teamleiterin der Kulturredaktion München. Aus ihrer Sicht geht es im aktuellen Arbeitskampf nicht nur um eine bessere Bezahlung, „sondern auch darum, die Zukunft unseres Berufsstandes zu sichern“. Der Einsatz von KI in den Redaktionen werde ein „Blutbad anrichten, dessen Ausmaß man sich heute kaum vorstellen kann.“ Weshalb man hier unbedingt Regelungen aushandeln müssen.
Die Streikenden der Süddeutschen Zeitung vor dem Verlagshaus – man gruppierte sich nach dem Platzverweis auf dem Bürgerstreik – bekamen nicht nur aufmunterndes Hupen von vorbeifahrenden Autofahrer*innen und Fragen von interessierten Passant*innen. Sie konnten sich auch über die Nachricht freuen, dass es auch Kolleg*innen im Berliner SZ-Büro und im Homeoffice die Arbeit niedergelegt hatten.
„Wir müssen noch deutlichere Zeichen setzen“
Zudem gab es Grußnoten vom Betriebsratsvorsitzenden Jens Ehrlinger und ihrem derzeit erkrankten Kollegen Franz Kotteder, Landesvorsitzender der dju in ver.di Bayern. Kotteder: „Wir haben inzwischen eine Hochinflation hinter uns. Auch deshalb haben wir mehr als berechtigte Forderung nach Lohnerhöhungen. Aber wie reagieren unsere Arbeitgeber? Sie haben diese Lohnforderungen einfach so vom Tisch gewischt. Sie wollen stattdessen – „mir gäbet nix!“ – sogar noch weitere Einschnitte. So etwas verlangt nach einer klaren Antwort. Einem Streik, an dem sich möglichst viele beteiligen. Wir müssen noch deutlichere Zeichen setzen, in den kommenden Wochen. Ohne genügend Rückhalt draußen in den Verlagen haben wir von der Tarifkommission kaum eine Chance, irgendetwas durchzusetzen.“