Aktive Medien gegen Rechts

Foto: picture alliance/dpa | Martin Schutt

„Wie weiter?“ – unter dieser Fragestellung wollten am 7. Mai in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung in Berlin Medienpolitiker*innen und Journalist*innen über „Visionen für eine demokratische Medienlandschaft“ diskutieren. Den Rahmen bildete das Roman Brodmann Kolloquium zum Oberthema „Rechtsruck in Europa! Ohnmacht der Medien?“ Anstelle von überzeugenden Visionen spiegelte die Debatte eher die Ratlosigkeit der Demokraten angesichts eines erstarkenden Rechtsextremismus.

Das gesellschaftliche Klima hierzulande kippt nach rechts, das weisen die jüngsten Wahlergebnisse aus. Müssen die Medien, wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff unlängst insinuierte, dem folgen?

Keineswegs, findet Julia Krittian, Programmdirektorin des Hessischen Rundfunks (HR). Aber verändern müssten sie sich schon. Journalist*innen hätten längst die Rolle der Gatekeeper verloren, die darüber entschieden, welche Inhalte das Publikum zu interessieren habe. Heute sei jeder Empfänger zugleich potentieller Sender. Das einstige „Spiegel“-Credo „Sagen, was ist“ sei möglicherweise nie korrekt gewesen, heute müsse es eher heißen „Hören, was ist“. Diese gelte gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Die Sender müssten danach fragen, welche Themen die Menschen beschäftigten und daraus abzuleiten, welchen Journalismus die Gesellschaft brauche.

Zeitgemäßer Journalismus

Medienjournalist René Martens, Jury-Mitglied der Grimme-Preis-Jury, unter anderem Autor des ältesten deutschen Medienblogs „Altpapier“, sieht das etwas anders. Natürlich müssten die Sender sich weiter um die gesellschaftlich relevanten Themen kümmern und dann herausfinden, wie man damit Zielgruppen erreiche, die bislang unter dem eigenen Radar liefen. Bei den Öffentlich-Rechtlichen laufe das aber meist andersrum. Erst die Definition angepeilter Zielgruppen, dann die programmliche Anpassung an die mutmaßlichen inhaltlichen Interessen des Publikums. Diese Form des „Journalismus wie bei Muttern“ sei heute nicht mehr zeitgemäß. Als Beispiel nannte Martens die „Entwicklung des US-Faschismus“. Die öffentlich-rechtliche Berichterstattung sei nicht in der Lage oder willens, diese Problematik zu spiegeln. „Bei der Flucht in vermeintlich unvoreingenommene, neutrale Formulierungen findet eine Verzerrung dessen statt, was wirklich passiert.“

Çiğdem Uzunoğlu, seit Anfang des Jahres Direktorin des Marler Grimme-Instituts, zuvor Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur verwies auf ihre Erfahrungen in der Games-Branche. Jenseits von Entertainment könne dieser Bereich wichtige „Beiträge zu digitaler Demokratie, digitaler Erinnerungskultur, Wertebildung in digitalen Räumen, Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus“ liefern. Das Beispiel USA zeige, wie schnell eine Demokratie ausgehebelt werden könne. Bereits jetzt werde die Kommunikation sehr stark von Algorithmen bestimmt, was sich im KI-Zeitalter noch zu verschärfen drohe. Für die Europäer stelle sich daher die Frage, wie man eine „wehrhafte Medienlandschaft“ sichern könne. Dies müsse auch im Kontext einer Stärkung der Zivilgesellschaft geschehen.

Zeitfenster für Gegenstrategien

Ist die Bundesrepublik besser vor einer autoritären Entwicklung wie in den USA geschützt, wo derzeit die Gewaltenteilung im Eiltempo außer Kraft gesetzt wird? Ganz so schlimm seien die Verhältnisse hierzulande noch nicht, räumt Maximilian Steinbeis ein, Gründer und Chefredakteur des „Verfassungsblog“. Aber dass hierzulande die Institutionen resilienter wären, zweifelt er durchaus an, nur sei der Prozess in Richtung autoritärer Staat noch nicht so weit fortgeschritten.

Das Zeitfenster für Gegenstrategien werde kleiner, auch in den Medien. Steinbeis verwies auf die Diskussion über den ÖRR, der „auch jenseits der AfD auf eine Art und Weise geführt wird, bei die einem Angst und bange werden muss“. Nicht viel besser erscheine die Situation privater Medien, etwa die hochkonzentrierte Zeitungslandschaft in Thüringen, die faktisch von einem Verlag beherrscht werde. „In dem Moment, wo ein mit der Regierung befreundeter Oligarch um die Ecke gebogen kommt und ein attraktives Angebot auf den Tisch legt, kann das ganz schnell kippen“, warnte Steinbeis. Sein Verfassungsblog lenkte bereits 2023 die Aufmerksamkeit auf den Umstand, dass für die Kündigung des MDR-Staatsvertrags bereits die Unterschrift eines Ministerpräsidenten ausreiche. Ein Szenario, das nach den Wahlerfolgen der AfD im Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunk immer realistischer erscheint.

Mehr Demut gefordert

Existiert im ÖRR eine „konservative Lücke“? Schwierige Frage, meint HR-Programmchefin Krittian. Sie erörtert lieber inhaltliche Widersprüche. In Berlin sei bei den Bundestagswahlen die Linke mit dem Thema „Mietenexplosion“ stärkste Partei geworden. „Gleichzeitig haben wir bei der ARD das andere M-Thema sehr stark nach vorn gestellt, die Migration.“ Weniger im Fokus gestanden hätten die Mietenfrage, die soziale Frage, die Gerechtigkeitsfrage. Ihre These: „Der Journalismus muss nicht konservativer, sondern demütiger werden.“ Die bisherige Methode des Agenda-Setting, orientiert an Pressekonferenzen und institutionellen Events, sei fragwürdig. Dabei würden wichtige Themen ausgespart oder zu wenig beleuchtet. Gaza wird die „neue Riviera des Nahen Ostens“? Es falle ihr zunehmend schwer, über solche „Nonsens-Nachrichten“ mit den klassischen Methoden zu berichten.

Ein rassistischer Sketch von Hallervorden, die Debatte um Thilo Mitschke, das neue MDR-Format „Klar“ –  für einen taz-Medienkritiker in einem kürzlich publizierten Rundumschlag lauter Indizien dafür, dass das öffentlich-rechtliche System nicht nur von der AfD, sondern derzeit am meisten  von innen bedroht werde. René Martens hielt dagegen den Appell von WDR-Monitor-Chef Georg Restle an die zunehmend ÖRR-skeptischen Kritiker, den verbleibenden Kolleg*innen „mit antifaschistischer Grundhaltung“ den Rücken zu stärken.

Für HR-Frau Julia Krittian erschöpfte sich die Debatte in „zu viel Geraune, zu viel Untergangsszenario“: Angst vor der AfD, innere Feinde – all das werde so oft wiederholt, bis es sich in den Köpfen festsetze. Sie plädierte – bei aller berechtigter Kritik – für mehr Zuversicht: „Die öffentlich-rechtlichen Anstalten, das deutsche Mediensystem insgesamt – „das ist ein großer Wert, das hat eine große Stärke“. Deshalb komme es auch darauf an, die bei der Arbeit bedrohten Kolleg*innen zu unterstützen und aufzufangen.

Ernüchterndes Fazit der Debatte: Überzeugende Impulse für die „Vision einer demokratischen Medienlandschaft“ blieben leider aus.

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