Ressourcen für Auslandsjournalismus

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Der Auslandsjournalismus in Deutschland steckt in der Krise. Die Zahl der Korrespondent*innen nimmt ab, Freie arbeiten unter zunehmend prekären Bedingungen. So geraten ganze Weltregionen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Journalist*innen plädieren darum für eine andere Form der Finanzierung. Die gute Nachricht: Das Interesse des deutschen Publikums ist da. Dass die Menschen wissen wollen, was in anderen Ländern los ist, beweist nicht zuletzt das ARD-ZDF-Jugendangebot Funk.

Ganze 1.049 Artikel sind in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 in deutschen und internationalen Online-Medien über das südwestafrikanische Land Angola erschienen. Das mag erst mal viel erscheinen. Doch zum Vergleich: Im selben Zeitraum gab es über 160.000 Artikel zur Welttournee der US-Sängerin Taylor Swift – und mehr als 270.000 Texte über das iPhone 15.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Nichtregierungsorganisation Care, die Online-Artikel in Arabisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch ausgewertet hat. Neun weitere Länder, die im vergangenen keine Schlagzeilen gemacht haben, listet die Untersuchung auf. Dabei leiden all diese Länder unter schweren humanitären Krisen. Jedes von ihnen liegt in Afrika.

Selbstverständlich spiegeln die untersuchten Online-Artikel nicht die gesamte Vielfalt der Medien wider. Und dennoch zeigen sie, dass manche Teile der Welt aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden – während zugleich kaum ein Tag vergeht, an dem in deutschen Medien nicht Taylor Swift im Glitzerbody zu sehen ist.

Redaktionen sparen an Auslandskorrespondent*innen

Ein verengter Blick auf die Welt hat reale Konsequenzen. Werden Krisen und bestimmte Entwicklungen nicht gesehen, kann die Politik nicht frühzeitig reagieren. Bürger*innen sind nicht ausreichend über das Geschehen in der Welt informiert. Das gilt auch für eine Gruppe, die in diesem Zusammenhang oft vergessen wird: Es gebe „Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund, die auf unabhängige Berichterstattung aus ihrem Heimatland angewiesen sind“, schreibt der Journalist Marc Engelhardt in seiner Studie für die Otto Brenner Stiftung zum Auslandsjournalismus.

Engelhardt macht in seiner Untersuchung mehrere Ursachen aus für das, was er die „Krise der Auslandsberichterstattung“ nennt. Das wesentliche Problem: Die Zahl der Korrespondent*innen hat deutlich abgenommen.

Nur wenige Redaktionen leisten sich feste Auslandskorrespondent*innen, für Freie wird die Situation immer schwieriger. In den meisten Regionen seien neben der dpa nur noch ARD, ZDF sowie einige überregionale Printtitel mit Korrespondent*innen vertreten, sagte auch dpa-Chefredakteur Sven Gösmann 2019 im Interview mit „M“.

Wie prekär die Lage für freiberufliche Auslandsjournalist*innen oftmals ist, zeigt etwa das Vorgehen von DuMont, über das „Übermedien“ ausführlich berichtete. 2018 sorgte die Mediengruppe für Aufsehen mit ihrer Entscheidung, überregionale Inhalte künftig ausschließlich vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zu beziehen. Den freien Korrespondent*innen wurden die festen Pauschalen gestrichen. Fusionen dieser Art erschweren es Freien erheblich, nach dem klassischen Bauchladen-Modell ihre Beiträge mehreren Redaktionen anzubieten.

Reisekosten werden oft nicht mehr erstattet

Aufträge für längere Hintergrundstücke zu fairen Honoraren für Freie gibt es zumeist vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Printbereich aber müssen sich Freiberufler nicht selten mit einer geradezu lächerlichen Bezahlung herumschlagen. Das ist auch im Inland der Fall, im Ausland hingegen verschärfen zusätzliche Kosten die finanzielle Lage oft noch. Das liegt vor allem an Reisekosten, die häufig nicht mehr erstattet werden, aber auch an Gebühren etwa für Visa und Arbeitsgenehmigungen.

Die freiberufliche Journalistin Birte Mensing, die seit vier Jahren in Nairobi lebt, berichtet im Gespräch mit M, wie hoch die Kosten für Auslandsjournalist*innen sein können: Allein eine offizielle Presseakkreditierung etwa für eine Reise in den Kongo koste 1.000 Euro. Für die Arbeitsgenehmigung in Kenia müssten Journalist*innen für zwei Jahre 2.000 Euro bezahlen.

Auch die sogenannten Fixer, lokale Mitarbeiter*innen, die die ausländischen Journalist*innen bei ihren Recherchen unterstützen, bekommen den Kostendruck oft zu spüren. „Es braucht mehr Ressourcen“, sagte denn auch Bettina Rühl, langjährige freiberufliche Afrika-Korrespondentin, bei einer Diskussionsrunde anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

Ein weiteres Problem: Medien räumen immer weniger Platz für Berichte aus dem Ausland ein – das betrifft besonders jene Länder, über die ohnehin schon wenig berichtet wird. „Wir hatten neulich schon etwas aus Afrika“, ist eine Antwort, die Birte Mensing gelegentlich auf einen Themenvorschlag aus ihrem Berichtsgebiet mit etwa 30 Staaten bekommt. Beobachter*innen wie Engelhardt kritisieren zudem einen einseitigen Fokus deutscher Redaktionen auf Krisen und Kriege.

Auslandsjournalismus für die Generation Z

„Die Auslandsberichterstattung in den Tageszeitungen ist doch sehr aktuell orientiert“, sagte dpa-Chefredakteur Gösmann im Interview. Eher zeitlose Beiträge, die Hintergründe auch abseits aktueller Konflikte erläuterten, hätten es sowohl in der Zeitung als auch online schwer. Doch man unterschätzt das Publikum mit der Annahme, dass es sich außerhalb von Skandalen, Kriegen und Katastrophen nicht für andere Länder interessiert. Dass auch junge Menschen wissen wollen, was im Ausland los ist, zeigt das Funk-Formats „Atlas“. In etwa 10- bis 20-minütigen Beiträgen berichtet die Redaktion etwa über ein gigantisches Musikfestival, das mitten in der Wüste Saudi-Arabiens stattfindet, und erklärt, was das mit der „Vision 2030“ des umstrittenen Kronprinzen Mohammed bin Salman zu tun hat. Oder darüber, wie junge Menschen in Kenia soziale Medien bei ihren Protesten gegen die Regierung einsetzen. Die „Atlas“-Redaktion arbeitet mit dem gesamten Netzwerk der ARD-Korrespondent*innen zusammen.

„Man muss die richtigen Fragen stellen“, sagte die Journalistin und „Atlas“-Moderatorin Tessniem Kadiri, die beim Weltreporter-Jubiläum mit Bettina Rühl auf dem Panel saß. Die TikTok-Beiträge von „Atlas“ hätten teilweise Millionen von Aufrufe – und das, obwohl sich „Atlas“ in erster Linie an jugendliche Realschüler*innen wende, also eine Zielgruppe, die klassische Medien oft nicht mehr erreichen. Das zeige deutlich, dass es möglich sei, die Menschen jeder Altersgruppe für Auslandsjournalismus zu begeistern. Doch Kadiri sagt auch: „Es reicht nicht, wenn ein Sender (…) einen TikTok-Kanal hat. Es gibt noch so viele andere Zielgruppen, die bespielt werden müssten und für die braucht es eigene Kanäle und eigene Redaktionen.“

Öffentliche Förderung als Lösung?

Doch dass die Sender und Verlage künftig mehr Geld für Auslandsjournalismus zur Verfügung stellen, hält Bettina Rühl für unrealistisch. „Man wird über die bisherigen Säulen zur Finanzierung des Journalismus kaum mehr Geld bekommen.“ Ihr Vorschlag: eine strukturell andere, neue Finanzierung, in die Gelder von Stiftungen und öffentliche Mittel zusammenfließen. Das ermögliche auch Unabhängigkeit von Stiftungen, auf deren Gelder immer mehr Korrespondent*innen zurückgreifen, um ihre Recherchen zu finanzieren. Das aber sei ein „riesiges Problem“, sagte Rühl, „nicht alle Stiftungen sind unverdächtig“.

Auch Engelhardt schlägt in seiner Untersuchung eine öffentliche Förderung der Auslandsberichterstattung vor. „Weil im Auswärtigen Amt täglich Entscheidungen über den Umgang mit Situationen in der Welt getroffen werden müssen, ist eine verlässliche und kontinuierliche Auslandsberichterstattung für den Staat schon aus Eigeninteresse dringend förderungswürdig“, schreibt er. Engelhardt gibt zu bedenken, dass dieser Vorschlag zurecht mit Skepsis gesehen werden kann. In der Debatte über eine staatliche Medienförderung werde der Auslandsjournalismus aber bislang vernachlässigt.

Bei aller Kritik an der mitunter prekären Situation der Auslandsberichterstattung – sie allein für die vielen blinden Flecken in der deutschen Weltsicht verantwortlich zu machen, wäre zu einfach.

 

 

 

 

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