Sport als kulturelles Massenphänomen war seit Beginn des Filmzeitalters Gegenstand filmischer Bearbeitung – als Spielfilm wie auch als Dokumentarfilm. Ungeachtet der derzeit stark gestiegenen Nachfrage nach dokumentarischen Sportfilmen fand eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Genre bislang nur sehr marginal statt. Dieses Defizit aufzuheben beabsichtigt der soeben vorgelegte Band aus dem Herbert von Halem Verlag.
Anders als in den USA sind Sportfilme in Deutschland nicht gerade Blockbuster, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Unter den Spielfilmen am wohl bekanntesten ist Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ aus dem Jahr 2003, die Geschichte vom unerwarteten deutschen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Bern. Ein Ereignis, das für viele Zeitgeschichtler die eigentliche Wiedergeburt Deutschlands nach dem Ende der NS-Diktatur markiert. Vom selben Regisseur stammt auch „Deutschland – Ein Sommermärchen“, eine Doku über den Weg der deutschen Fußballnationalmannschaft zur und während der Weltmeisterschaft 2006. Mit rund vier Millionen Zuschauern gilt dieser Streifen als erfolgreichster Dokumentarfilm überhaupt in Deutschland.
In jüngerer Zeit erlebt das Genre speziell des Sportdokumentarfilms einen regelrechten Boom. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt den Angeboten neuer Streaming-Dienstleister wie Netflix, Dazn und Amazon Prime Video. Diese Unternehmen setzen auf Eigenproduktionen in Form von Serien. Dazn zum Beispiel präsentiert in seiner Reihe „The Making of“ mit populären Fußball-Protagonisten wie Cristiano Ronald, Neymar und José Mourinho. Amazon Prime wartete 2018 mit der ersten deutschen Fußball-Doku-Reihe „Inside Borussia Dortmund“ auf.
Das Buch: „Die Entstehung des Mediensports. Zur Geschichte des Sportdokumentarfilms“ ist ein Gemeinschaftswerk des Publizisten und Medienkritikers Dietrich Leder und der beiden Medienwissenschaftler Jörg-Uwe Nieland und Daniela Schaaf. Nach einer Darstellung der Geburt des modernen Sports aus dem Blickwinkel der Sportwissenschaft widmen sich die Autor*innen zunächst der Geschichte des Dokumentarfilms – allgemein und speziell sportbezogen – aus einer filmwissenschaftlichen und körpersoziologischen Perspektive.
Der Hauptteil des Bandes besteht aus Analysen von zehn exemplarisch ausgewählten deutschen und internationalen Sportdokumentarfilmen. Die darin angesprochenen Themen kreisen um typische Phänomene und Probleme des gegenwärtigen Leistungssports: Bewegungsästhetik und Heldengeschichten, aber vor allem auch Schattenseiten wie Doping, Gewalt und Tod, Sexismus, Rassismus, Nationalismus sowie Ausgrenzung von Körpern, die nicht der Norm entsprechen. Das Spektrum der analysierten Filme reicht von Leni Riefenstahls „Olympia. Fest der Völker. Fest der Schönheit“ über das oscarprämierte Muhammad-Ali-Porträt „When we were Kings“ von Leon Gast bis zu Wortmanns „Deutschland – Ein Sommermärchen“. Dass dieses „Märchen“ nach den Bestechungsvorwürfen gegen die einstige „Lichtgestalt“ Franz Beckenbauer inzwischen reichlich angekratzt ist, verschweigt der Text nicht.
Dietrich Leder, Jörg-Uwe Nieland, Daniela Schaaf: Die Entstehung des Mediensports. Zur Geschichte des Sportdokumentarfilms. Herbert von Halem Verlag, Köln 2020. 552 Seiten, 42 Euro