Proteste bei TiKTok in Berlin

Germany - Deutschland - ver.di / Protest TikTok Berlin - gegen Entlassungen; Berlin, 17.07.2025; © Christian Jungeblodt

Rund 150 Beschäftigten der Trust and Safety-Abteilung (Content-Moderation) von TiKTok und einem Teil der Beschäftigten aus dem Bereich TikTok-Live (rund 15 Beschäftigte) in Berlin droht die Kündigung. Das  chinesische Unternehmen plant die Content-Moderation künftig verstärkt durch Large-Language-Models (Künstliche Intelligenz) ausführen zu lassen und die Arbeit an andere Dienstleister auszulagern. Dagegen protestierten vor der TikTok-Zentrale in Berlin Beschäftigte und Unterstützer*innen. Ein Warnstreik folgte.

Auf der Kundgebung forderten die von der Kündigung bedrohten Beschäftigen Abfindungen und verlängerte Kündigungsfristen. Die Gewerkschaft ver.di unterstützt die Beschäftigten bei TikTok seit Jahren. Bereits 2022 wurde ein Betriebsrat gegründet. Inzwischen sind rund 70 Prozent der Kolleg*innen dort gewerkschaftlich organisiert. Eine Betriebsgruppe trifft sich regelmäßig und eine Tarifkommission wurde gegründet.

Quelle: Medienschaffende in ver.di, @verdi-medien.bsky.social‬

Für die Berliner Beschäftigten hat ver.di das TikTok-Management zu Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag geladen. Ohne Reaktion. Die Gewerkschaft fordert Abfindungen in Höhe von drei Jahresgehältern und verlängerte Kündigungsfristen. Kommt das Unternehmen nicht an den Verhandlungstisch, ist sogar ein baldiger Streik möglich (siehe update vom 23.07.25). „Die Anzahl der ver.di-Mitglieder ist massiv gestiegen und auch die Bereitschaft, aktiv zu werden. Wir sind bereit für die Auseinandersetzung, wenn sie nötig wird“, erklärt die ver.di-Verhandlungsführerin Kathlen Eggerling.

Germany – Deutschland – ver.di / Protest TikTok Berlin – gegen Entlassungen; Berlin, 17.07.2025; © Christian Jungeblodt

Rechtliche Absicherung gefordert

Doch die Dimension des Falles reicht über die geplanten Kündigungen hinaus. Denn gerade in ausgelagerten Unternehmen sind die Arbeitsbedingungen für Contentmoderator*innen oft noch schlechter. In einem 1800-köpfigen Team hielt ein Content-Moderator aus Essen die Social-Media-Seiten von Nutzer*innen sauber. Im Sommer 2022 prangerte er die Arbeitsbedingungen in seinem externen Unternehmen an, sprach sogar vor dem Digitalausschuss des Bundestags darüber. Während er Wahlvorstandsvorsitzender für eine erstmalige Betriebsratswahl in seinem Unternehmen war, wurde er daraufhin mit der fristlosen Kündigung bedroht. Mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di wehrte er sich dagegen und gewann vor dem Arbeitsgericht in Düsseldorf.

Das Unternehmen TikTok

ist aufgrund von Bedenken hinsichtlich Daten- und Jugendschutz sowie Spionage, Propaganda und Zensur zugunsten der chinesischen Regierung umstritten. Wegen Missachtung europäischer Gesetze haben Datenschützer in einigen EU-Staaten bereits 2022 Beschwerde gegen TikTok eingereicht.

Viele der Moderator*innen klagen über die extremen Belastungen, die zu psychischen Erkrankungen führen. Mehr als nachvollziehbar laut ver.di-Vorstandsmitglied Christoph Schmitz-Dethlefsen: „Die Kolleg*innen sehen tagtäglich Videomaterial, das wir als Nutzer*innen von Digitalkanälen zu Recht nie sehen sollen. Damit leisten sie einen hochrespektablen Beitrag für unsere Gesellschaft. Die Anerkennung, rechtliche Absicherung, angemessener Gesundheitsschutz und gerechte Bezahlung bleiben aber noch aus.“

Mehr Moderation erwünscht

Dabei wünschen sich die meisten Menschen eine Einschränkung problematischer Inhalte wie Gewaltandrohungen oder Diffamierungen in den sozialen Medien, zeigt eine groß angelegte Umfrage der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Mit Verweis auf die Meinungsfreiheit haben die Plattform-Betreiber X und Meta Regeln gegen Äußerungen, die als diskriminierend gelten, zwar gelockert. Eine deutliche Mehrheit von 86 Prozent der deutschen Befragten befürwortet aber, dass Hass im Netz gelöscht wird. Hass erkennen und ihn löschen,- das tun noch immer Menschen. Sie tun das mit viel Hintergrundwissen und analytischem Sachverstand.

Dass Hass im Netz die Meinungsvielfalt im öffentlichen Raum gefährdet und den demokratischen Diskurs bedroht, ist bekannt. Daher müssen Plattformen Maßnahmen treffen, um die Arbeitsbedingungen von Moderator*innen zu verbessern und ihre Rechte zu stärken. Denn ihre Aufgabe ist die Einhaltung der unternehmenseigenen Standards und der gesetzlichen Vorschriften. Sie sind es, die das toxische Klima in den sozialen Medien mildern können.


Mehr zum Thema Entlassungen bei TikTok: Massenentlassung bei TikTok: Wie Beschäftigte gegen KI und Outsourcing kämpfen | ver.di


Update: 23.07.2025 Ver.di ruft bei TikTok zum Streik auf

Hintergrund des Streiks sind die Pläne des Unternehmens, die Trust-and-Safety-Abteilung, in der die Contentmoderator*innen für den deutschsprachigen Raum beschäftigt werden, aufzulösen. Die Tätigkeit der Content-Moderator*innen soll zukünftig von KI übernommen und an externe Dienstleister vergeben werden.

Content-Moderation ist eine psychisch extrem belastende Tätigkeit, weil die Beschäftigten regelmäßig mit stark belastenden Inhalten konfrontiert werden. Deshalb ist eine umfassende Gesundheitsprävention zur Reduzierung der psychischen Belastung zentral. ver.di sieht die Gefahr, dass sich TikTok durch das Outsourcing der Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Content-Moderator*innen entziehen will.

Gerade im Bereich der Unterbindung von Hassrede und Fakenews ist die Kontrolle durch gut ausgebildete Moderator*innen von hoher Bedeutung. Diese müssen über ein vertieftes Wissen über die kulturellen und politischen Gegebenheiten verfügen, um problematische Inhalte identifizieren zu können. Durch die Auslagerung an die Künstliche Intelligenz und an Drittanbieter werden diese Tätigkeiten jedoch abgewertet. Es droht, dass TikTok noch mehr zu einer Plattform für manipulative Kampagnen wird, wie dies bereits bei der letzten Präsidentschaftswahl in Rumänien zu beobachten war.

Warnstreik für einen Tag

Die Geschäftsführung lehnte trotz mehrfacher Aufforderung durch ver.di Verhandlungen über die Forderungen ab. Vor diesem Hintergrund traten die Beschäftigten am 23.07.2025 für einen Tag in den Warnstreik. Es ist der erste Streik von Beschäftigten einer Social-Media-Plattform in Deutschland.

„Es ist respektlos von TikTok, dass sie sich jeder sozialen Verantwortung entziehen und selbst Verhandlungen mit uns ablehnen. Die Beschäftigten setzen ein klares Zeichen, dass sie dies nicht akzeptieren. Sie treten in den Streik und werden damit zu Vorreitern für gewerkschaftliche Organisierung in der Plattform-Ökonomie“, erklärte der stellvertretende Landesfachbereichsleiter für den Bereich Medien in Berlin-Brandenburg Lucas Krentel.

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