Buchtipp: Neuordnung des Journalismus

Das Cover der gut lesbaren Studie

„Hohe gesellschaftliche Relevanz des Themas“ und „ernüchternde Ergebnisse“ – der Hannoveraner Kommunikationswissenschaftler Christopher Buschow hat bereits viel Resonanz bekommen für sein Buch. Er untersuchte am Beispiel von 15 Medien-Neugründungen in Deutschland, wie Journalismus in Zukunft aussehen könnte.

Bei der umfangreichen Studie handelt es sich um Buschows 2016 vorgelegte Dissertation, die in diesem Jahr mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet wurde. In der ersten Hälfte des Bandes entwickelt der Autor einen neuen praxistheoretischen Rahmen für Journalismus- und Medienmangementforschung, der als Vergleichsfolie für seine empirische Untersuchung dient.

Vor allem die Ergebnisse dieser Fallstudie sind für die journalistische Praxis interessant. Im österreichischen Standard wurden zwei Befunde rezipiert, die sich als „ernüchternd“ erwiesen: Mediengründungen schaffen kaum neue Jobs, sondern verschärfen eher die Selbstausbeutung. Außerdem findet in den Start-ups eine Vermischung von Redaktion und Verlag statt, weil Gründer_innen beide Aufgaben übernehmen.

Buschow vergleicht den industriellen Produktionsmodus etablierter Medien mit dem vernetzten von Medienneugründungen, die zwischen 2011 und 2014 entstanden. Er konstatiert, dass die Start-ups zumeist die alten Redaktionspraktiken und Normen (Pressekodex) beibehalten – sei es aus Marketinggründen oder wegen einer Kooperation mit etablierten Medien. Allerdings gebe es Innovationen bei den Darstellungsformen. Zudem würden Nutzer_innen stärker integriert, etwa bei Themenfindung und Recherche. Teilhabe erweise sich hier als „marktgängiges Produkt“.

Reichweitenmäßig bleiben die Start-ups, die nicht tagesaktuell informieren, aber Nischenanbieter. Verglichen mit Presseverlagen sind sie kleiner, flexibler, kostengünstiger. Die Gründer_innen charakterisiert Buschow als „sozialunternehmerische ‚Missionare’“, die vor allem „größere journalistische Freiräume“ und „alternative Organisationsarrangements“ schaffen wollen. Gegründet wird zumeist im Team, das sich aus Journalismus und Verlagswirtschaft rekrutiert, vereinzelt aus Technologie sowie Kunst und Kultur. Quereinsteigende seien durch die geringen Gewinnversprechen abgeschreckt.

Die Neugründungen praktizierten zum Teil neue Formen einer vernetzten Zusammenarbeit – mit freien Autor_innen oder mit Rezipierenden, die eine “Entbetrieblichung“ der redaktionellen Arbeit kennzeichnet. Durch die neue Produktionsweise entstehen Wertschöpfungsnetzwerke – etwa in Form von Rechercheverbünden, die für die öffentliche Kommunikation eine wichtige Rolle einnehmen könnten, so der Autor. Medienpolitik solle unterstützend eingreifen, etwa durch steuerliche Anreize für Medieninvestoren, die „nachhaltige, qualitätsvolle Produktion von Journalismus“ garantieren. Öffentlich-rechtliche Rundfunkbeiträge könnten für eine Startfinanzierung verwendet werden und Ausbildungsstätten sollten angehende Journalist_innen auch auf Managementtätigkeiten vorbereiten. Außerdem gelte es, die Vernetzung von Neugründungen zu fördern, um Ressourcen zu bündeln, Aktive zu professionalisieren und Interessen fokussiert zu vertreten.

Zahlreiche Zitate veranschaulichen die Ergebnisse der gut lesbaren Studie. Doch durch die – forschungsethisch überzeugend begründete – Anonymisierung der 15 Start-ups, bietet sich eher ein Puzzle mit Lücken, bleiben Zusammenhänge unklar: Hängt Selbstausbeutung mit der Finanzierungsart oder der Organisationsform zusammen? Wissenschaftler_innen mag das zu Folgeuntersuchungen motivieren, Journalist_innen zu weiteren Recherchen. Das Buch enthält nicht nur für Medienpolitiker_innen wichtige Impulse für den gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft des Journalismus.


Christopher Buschow: Die Neuordnung des Journalismus. Eine Studie zur Gründung neuer Medienorganisationen. Springer VS, Wiesbaden 2018. 447 Seiten. 59,99 Euro. ISBN: 978-3-658-18871-9 (Print) 978-3-658-18872-6 (Online)

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

Buchtipp: Fotografieren, was ist

Einfacher und präziser, als mit den Worten „Fotografieren, was ist“, lässt sich das Grundprinzip bildjournalistischen Arbeit wohl kaum erfassen. Ebenso treffend ist die Entscheidung des Göttinger Steidl-Verlags, einem Fotobuch über das Werk des deutschen Reportagefotografen und Bildjournalisten Dirk Reinartz den selben Titel zu geben. Für den Band wurden Einzelbilder und Bildstrecken zum Teil neu zusammengestellt. Ein eindrucksvolles bildjournalistisches Dokument ist entstanden.
mehr »