Buchtipp: Tagesschau & Co. im Blick

Buchcover

Kritik an den öffentlich-rechtlichen Anstalten ist keine neue Erscheinung. Die Ultrarechte, auch einige Verlage, verunglimpfen sie als „Staatsfunk“, andere sehen – meist ohne jeden Beleg – eine rot-grüne Schlagseite in der Politikberichterstattung von ARD und ZDF. Die Autoren dieses Bandes machen es sich nicht so einfach. Bräutigam und Klinkhammer waren selbst jahrzehntelang NDR-Mitarbeiter. Müller gründete 2014 die „Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Anstalten“, eine Art journalismuskritisches Forum aus Perspektive der Zivilgesellschaft.

Spätestens seit dem Ukraine-Konflikt sieht sich vor allem die ARD immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sie berichte häufig falsch, tendenziös oder zumindest lückenhaft, dazu einseitig aus transatlantischer Perspektive. Ein hartes Urteil, das im Fall der Ukraine-Russland-Berichterstattung im Sommer 2014 aber selbst vom Programmbeirat der ARD geteilt wurde. Erst ein Jahr später, unter dem Eindruck wachsender Proteste, richtete die Redaktion von ARD-aktuell mit „meta.tagesschau.de“ eine Plattform für Programmbeschwerden ein. Aufgrund der „Massenabfertigung von Beschwerden ohne sachliche Begründung durch den Rundfunkrat“ verzichten Bräutigam/Klinkhammer seit Frühjahr 2018 auf derlei „unergiebige Schriftwechsel“ mit ihrem einstigen Sender. Sie setzen seitdem die „Auseinandersetzung mit problematischen Informationsangeboten“ von ARD-aktuell im neuen Format „Programmkritik“ fort, publiziert auf dem Blog des Vereins „Ständige Publikumskonferenz“.

Der vorliegende Band versammelt 27 dieser Kritiken, aufgeteilt in sechs Bereiche: Framing, Venezuela, Russland/Ukraine, Syrien, Soziales und in ein Schlusskapitel, wo es um Saudi-Arabien und Assange geht. Instruktiv der einleitende Aufsatz mit dem Titel “Meinungsmacht – Zwischen Wording und Framing“ mit grundsätzlichen Betrachtungen zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zu Manipulationstechniken, zur Rolle von Nachrichtenagenturen, zu Diffamierungskampagnen gegen „freie alternative Medien“. Dass unter diesen Medien, die nach Auffassung der Autoren „vom Programm der Agentur-Synchronschwimmer des Mainstreams abweichen“, auch Russia Today und Sputniknews gelistet werden, hinterlässt allerdings einen Beigeschmack.

„Die Tagesschau, als Flaggschiff der deutschen Nachrichtengebung, schippert an der Spitze des medialen Einheitsbreis.“ – An derlei zugespitzten Thesen und Polemik leidet das Buch keinen Mangel. Besonders scharf gehen die Autoren mit Kai Gniffke – von 2006 bis  Mitte 2019 Chefredakteur von ARD aktuell, seitdem Intendant des Südwestrundfunks – ins Gericht. Unter seiner Leitung habe sich die Redaktion „als stramm regierungshöriges Nachrichteninstitut erwiesen und sich vom kritischen Journalismus schon vor Jahren verabschiedet“. Überzeugender als dieses Zerrbild fallen Kapitel wie „Börse ja, Arbeit nein“ aus: Eine gut belegte Programmkritik, die das Missverhältnis zwischen überreicher Börseninformation und vergleichsweise spärlicher Berichterstattung aus der Arbeitswelt aufspießt. Für die Autoren eine „qualitätsjournalistische Schlagseite“, die ignorant hingenommen werde – „von der Öffentlichkeit generell und von den Gewerkschaften speziell“.


Maren Müller/Volker Bräutigam/Friedhelm Klinkhammer: Zwischen Feindbild und Wetterbericht. Tagesschau & Co. – Auftrag und Realität. Köln 2019, PapyRossa Verlag, 258 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-89438-704-4

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »