Unter der Dusche beatboxt er die deutsche Nationalhymne in voller Lautstärke. Mit Freunden liefert er sich lustvoll Lichtschwertkämpfe. Ungeniert hämmert der Berliner Yaar auf den Boxsack ein. Er ist 21 Jahre alt und strotzt vor Lebensfreude. Yaar ist Jude, ohne allerdings zu wissen, was das Judentum genau ist. Er weiß nur, dass er „die ganze Scheiße“ loswerden will. Doch einfache Lösungen scheint es noch immer nicht zu geben.
Yaar möchte mit diesem „Opferverein“ nichts zu tun haben. Denn ohne, dass er es will oder sich wehren könnte, liegt alles wie ein dunkler Mantel um ihn herum. Auch sein Psychotherapeut kann ihn davon nicht befreien. Yaar geht weg aus Berlin, studiert Gamedesign. Mit Hilfe von Freunden entwickelt er das PC-Spiel „Shoah. Als Gott schlief“. In dem von ihm kreierten Nazi-Deutschland soll alles anders sein. Die Juden wehren sich und sind keine Opfer mehr. Die Nazis selbst werden freundlich. Für ihn ein Befreiungsschlag. Yaar mietet zusammen mit seinen Freunden in der Nähe von Krakau ein altes Haus, um die Atmosphäre der 1940er Jahre besser zu spüren und das PC-Spiel weiter entwickeln zu können.
Aus dem Spiel wird aber allmählich Ernst. Die jüdischen Charaktere werden seiner Familie immer ähnlicher. Yaar geht auf Spurensuche. Er besucht seine Oma Rina in Israel. Rina wurde 1933 in Krakau als Tochter eines Tischlereibesitzers geboren. Die Familie kam ins KZ Płaszów, wo es den Eltern gelang, ihre Kinder Rina und Roman zu verstecken und später hinauszuschmuggeln. Jahrelang lebten beide bei einer polnischen Familie, bis ein Nachbar sie verriet. Rina entkam, doch der fünfjährige Roman wurde von der Gestapo ermordet. Ihren kleinen Bruder konnte sie nicht schützen. Unter dieser Schuld leidet die Oma bis heute. Yaars Vater wurde nach dem Krieg geboren, doch die Last der Shoah trägt er bis heute mit sich, leidet an Depressionen, lacht fast nie. Gemeinsam besuchen Yaar und er das KZ Płaszów. Der Vater schreit seinen ganzen Schmerz heraus. Der Sohn weint mit. Eine Schlüsselszene. Yaar wird klar, seine Familie war Opfer und konnte nie Held sein. Sein PC-Spiel wird es so nie geben, weil es einfach nicht der Wahrheit entspricht.
Die Geschichte des Yaar Harell ist keine Fiktion. Der junge Berliner war einst Praktikant bei der kleinen Produktionsfirma SCHRAMM MATTHES FILM in Berlin. „Wir haben gespürt, dass da was in ihm brodelt, dass er da so eine Wut hatte und dass er einen Rucksack trägt, wo und er noch gar nicht wusste was“, erinnert sich Regisseurin Andrea Schramm.
Umgekehrt: Schramms Großvater selbst war als Soldat kurzzeitig Wachtmann in einem KZ. Egal ob vor oder hinter der Kamera, alle sind mit ihrer Familiengeschichte behaftet. Die Schatten der Vergangenheit lasten auf der Enkelgeneration. Fünf Jahre lang hat Schramm zusammen mit ihrer Kollegin Jana Mathes die Identitätsfindung Yaars begleitet. Herausgekommen sind überzeugende zwei Stunden Dokumentarfilm. Unbedingt sehenswert!
Ab 14. Oktober läuft „Endlich Tacheles“ bundesweit in ausgesuchten Programmkinos.