Filmtipp: „Orca“, eine Schwimmerin im Iran

„Orca“: Ein Film über eine iranische Langstreckenschwimmerin. Foto: Katara Studios

Der iranische Film „Orca“ ist eine Verbeugung vor einer Frau, die sich weder dem Regime noch toxischer Männlichkeit beugt. In kraftvollen Bildern erzählt Regisseurin Sahar Mosayebi eine Geschichte, die auf Tatsachen basiert: Nachdem ihr Mann sie fast umgebracht hat, findet Elham ins Leben zurück, indem sie verbissen trainiert, um diverse Schwimmrekorde im offenen Meer zu brechen. Auf diese Weise wurde sie zum Vorbild für viele junge Iranerinnen.

Eine Frau schwimmt vollständig bekleidet nachts aufs offene Meer hinaus, doch ihr Überlebenswille ist stärker: Am nächsten Morgen kehrt sie erschöpft ans Ufer zurück. Ihr besorgter Vater, der bereits den halben Ort für eine Suchaktion mobilisiert hatte, bittet sie inständig, auch ins Leben zurückzukehren, und nun bricht aus ihr heraus, was sie schon seit Monaten teilnahmslos und schweigsam mit sich herumträgt. Endlich findet sie den Mut, gegen alle inneren und äußeren Widerstände zu neuen Ufern aufzubrechen.

Gewalt gegen Frauen im Iran

Schlicht „Orca“ hat die iranische Regisseurin Sahar Mosayebi ihr Drama genannt, und tatsächlich schöpft Elham (Taraneh Alidoosti), die Heldin dieses Films, gegen Ende neue Kraft aus der Begegnung mit einem Schwertwal. Mit dieser Szene voller Poesie emanzipiert sich die Handlung endgültig von ihrem Prolog, der nur schwer auszuhalten ist: Elham ist aufs Brutalste von ihrem Mann geprügelt und vermutlich auch vergewaltigt worden. Im Krankenhaus wirkt sie mehr tot als lebendig. Selbst Monate später ist ihr Gesicht noch von den Folgen der Gewalt gezeichnet, doch diese Wunden werden verheilen; ihre seelischen Verletzungen dagegen womöglich nie.

Das Drehbuch von Tala Motazedi basiert auf Tatsachen. Im Grunde handelt „Orca“ von einer typischen „Rocky“-Erzählung: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Ähnlich wie der Boxer überwindet Elham alle Hindernisse, um ihr großes Ziel zu erreichen: Sie will als Schwimmerin im offenen Meer Rekorde brechen. Das allein wäre schon Herausforderung genug, aber die entscheidende Mitarbeiterin im zuständigen Ministerium hält ihr Ansinnen für unziemlich. In ihrem Eifer hat diese Sittenwächterin allen Protesten zum Trotz bereits mehrere sportliche Betätigungen für Frauen verboten, darunter Kickboxen und Basketball. Elham lässt sich nicht unterkriegen und trainiert verbissen, um ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Das ist nicht nur der Staatsbediensteten ein Dorn im Auge: Mitten auf dem Meer wird sie von drei Typen in einem Motorboot angegriffen und dabei am Bein verletzt.

Schwimmen gegen die Unterdrückung

„Orca“ ist vor allem eine Hommage an die Hauptfigur, aber der Film ist auch eine weit mehr als bloß subtil verpackte Anklage gegen toxische Männlichkeit. Selbst der liebevolle Vater kommt nicht ungeschoren davon: Elham hatte gegen seinen Willen geheiratet, anschließend hat er den Kontakt abgebrochen. Ob die junge Frau religiös ist oder sich den Bekleidungsvorschriften nur deshalb unterwirft, um den Behörden weniger Angriffsfläche zu bieten, bleibt offen; immerhin gibt es auf diese Weise unter Wasser dank des schwarzweißen Hijabs auch eine optische Entsprechung zu den Titeltieren.

Ähnlich sehenswert wie die mitreißende Leistung der Hauptdarstellerin ist die Bildgestaltung. Sehr eindrucksvoll ist unter anderem die Szene, in der die lebensmüde Elham ins Meer geht, während am Himmel die Naturgewalten toben. Dank Mosayebis ruhiger Erzählweise können die Aufnahmen ihre ganze Wirkung entfalten. Walgesänge, zunächst bloß angedeutet, begleiten die Schwimmszenen und schaffen gemeinsam mit der guten Musik eine ganz spezielle Atmosphäre. Zwischendurch sorgen Erinnerungsfetzen des traumatischen Ereignisses dafür, dass nicht in Vergessenheit gerät, warum Elham all das auf sich nimmt. Es dauert lange, bis zum ersten Mal die Sonne scheint, und noch länger, bis die junge Frau zum ersten Mal lächelt. Dank des Zuspruchs einer mütterlichen Freundin findet sie sogar den Mut, sich ihrem Dämon zu stellen; bezeichnenderweise ist ihr Ex-Mann zu feige, um am verabredeten Ort zu erscheinen. Elham dagegen wurde zum Vorbild für viele junge Iranerinnen. Der Film kommt im Original mit Untertitel in die Kinos.


„Orca“. Iran/Katar 2021. Buch: Tala Motazedi. Regie: Sahar Mosayebi. Kinostart: 11. Januar

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