„Propagandaschlacht um die Ukraine“

Wladimir Solowjow (r.) und Oleksij Arestowytsch – Kontrahenten in der "Propagandaschlacht um die Ukraine". Bild: WDR/berlin producers Media GmbH

Der Krieg um die Ukraine wird nicht nur militärisch mit Panzern, sondern auch medial mit Propaganda geführt. Er ist der erste, der in Echtzeit in den Medien ausgetragen wird – vor allem im Internet. Ukrainische WarToker*innen, die von der Front berichten, stoßen auf russische Trollarmeen, die auf Instagram posten. Diese Propagandaschlacht wird in der WDR-ARTE-Dokumentation mit viel Video- und Informationsmaterial aus dem Netz analysiert – anschaulich und erkenntnisreich, doch trotz der bunten Bilder inhaltlich etwas schwarz-weiß.

„Wir haben versucht, die Mechanismen auf beiden Seiten, also der russischen und der ukrainischen Propaganda, offen zu legen“, erklärt Jutta Krug, verantwortliche Redakteurin beim WDR, der Saskia Geisler und Kristian Kähler von Berlin Producers Media mit der Produktion beauftragte. Gleich zu Beginn der Dokumentation machen sie klar, wie die Kommunikation in beiden Staaten funktioniert: In Russland von oben nach unten, in der Ukraine „dagegen berichten viele Stimmen vom Kriegsgeschehen“. Da ist „Putins Schnauze“ Wladimir Solowjow, während Präsident Selenskyj von Influencer*innen wie Oleksij Arestowytsch, dem „Psychologen der Nation“ unterstützt wird. 

Neben Interviews zeigt der Film vor allem ausgewählte Propagandavideos, die drei internationale Expert*innen einordnen. Die Soziologin Svitlana Matviyenko aus der Ukraine arbeitet als Assistenz-Professorin für kritische Medienanalyse an der Simon Fraser University im kanadischen Toronto. Greg Yudin, russischer Soziologe an der privaten Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, wurde bei einer Demonstration gegen den Krieg von der russischen Polizei zusammengeschlagen. Dritte in der Runde ist Samira El Ouassil, deutsche Publizistin, Kommunikationswissenschaftlerin und 2021 „Kulturjournalistin des Jahres“.  Alle Expert*innen ergänzen sich in ihren Analysen. 

So entsteht ein ziemlich widerspruchsfreies Bild von den Kontrahenten in der Propagandaschlacht, das mit zahlreichen Beispielen untermauert wird. Der „Kampf David gegen Goliath“ sei das ukrainische Narrativ, mit dem die eigene Bevölkerung emotional mobilisiert und der moralische Druck auf das Ausland erhöht werden solle, der Ukraine Waffen zu liefern. Oleksij Arestowytsch wurde Berater im Team Selenskyjs, weil er virtuos mit sozialen Medien umgehen und der traumatisierten Bevölkerung das Kriegsgeschehen erklären könne. Er mache den „Job eines Psychotherapeuten der Nation“. 

In Russland werde das Narrativ bedient, die Ukraine müsse von den Nazis befreit werden, da diese die territoriale Integrität des Landes bedrohten. Wladimir Solowjow, bekleidet mit einer Jacke, wie sie Stalin trug, mache in seiner TV-Show auf Telegram als „omnipräsenter Chefpropagandist“ Putins Job: Mit aggressiver Haltung verbreite er Angst. Selenskyj sei ein „Nazischwein“ und sage, an allem seien Russen schuld. So erzeuge er Ablehnung im Publikum, das sich nun als Opfer fühle. 

Das Massaker von Butscha sei ein „Wendepunkt“ im Krieg gewesen, denn „ukrainische Berichte und russische Desinformation prallten zum ersten Mal direkt aufeinander“. Anhand von Satellitenbildern wird die Verantwortung Russlands belegt, doch der Botschafter spricht von „Fake“ und „Putins Sprachrohr“ Solowjow schiebt der Ukraine die Schuld zu: „Wir haben es mit Nazis zu tun, die um eines Bildes wegen ihre eigenen Mitbürger bedenkenlos umbringen.“ In der Ukraine versuchten die Menschen, russische Kriegsverbrechen in Augenzeugenvideos zu dokumentieren – wie die Politikwissenschaftlerin Maria Avdeeva auf Twitter. Im Lande sei eine „nicht von oben gesteuerte“ Graswurzelbewegung entstanden. Damit wollten die Menschen auch Schmerz und Angst verarbeiten – wie der junge Soldat, der auf TikTok ein Kriegstagebuch führt und so zum „WarToker“ wurde. 

Auch Putin nutze neben klassischer Propaganda soziale Medien, bezahle Trolle im Netz oder den Telegram-Kanal „Cyberfront Z“, der sich als Plattform von Freiwilligen gegen „Fälschungen“ im Netz stilisiere. Das russische Mediensystem ist „unter staatlicher Kontrolle“, das ukrainische hat auch „Schwächen“, heißt es. Zwei russische Journalistinnen kommen zu Wort. Eine, die mittlerweile in Barcelona lebt, sagt, es sei „schwer zu ertragen, Desinformationen zu verbreiten“. Dass die ukrainische Regierung nur eingebettete Journalist*innen zulässt, wird dagegen nicht problematisiert: „Reporter ohne Grenzen“ kritisierten, ihnen sei die Akkreditierung entzogen worden, als sie ohne offizielle Erlaubnis der Armee über die Rückeroberung Chersons berichteten. 

Das Resümee: Die „ukrainische Kommunikation“ unterscheide sich deutlich von der russischen, die auf bewusste Desinformation setze. Die Ukraine „arbeitet nicht mit gezielten Lügen, häufig werden aber Informationen nur selektiv genannt oder sogar weggelassen“, wie etwa Opferzahlen bei Streitkräften. Hier Propagandalügen, dort Graswurzelkommunikation? Können Leerstellen in der Berichterstattung nicht genauso manipulativ wirken wie Propaganda? Ausgewogen – wie Titel und Vorankündigung vermuten lassen – ist die informative, meinungsstarke Dokumentation nicht, aber kurzweilig, unterhaltsam und medienpädagogisch nutzbar – sofern ihre inhaltlichen Einordnungen kritisch reflektiert werden! 

 

Der Film ist in den Mediatheken von ARTE und ab 15. Februar auch der ARD sowie auf den YouTube-Channels von DW Documentaries verfügbar. Im TV wird die „Propagandaschlacht um die Ukraine“ an folgenden Terminen ausgestrahlt: 

14.2.23 um 21:45 ARTE
22.2.23 um 23:00 WDR
23.2.23 um 16:30 UTC DW Spanisch
23.2.23 um 22:45 HR
25.2.23 um 10:30 UTC DW Englisch
27.2.23 um 03:00 UTC DW Arabisch

https://presse.wdr.de/plounge/wdr/programm/2023/02/20230201_propagandaschlacht_um_die_ukraine.html

 

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