Wie spricht man mit dem Nachwuchs über Krieg, Gewalt, Tod und Zerstörung? „heute“-Moderatorin Sara Bildau, selbst zweifache Mutter, hat darüber einen äußerst nützlichen Ratgeber für Eltern geschrieben. Das Buch besteht größtenteils aus Interviews mit Sachverständigen, darunter viele Psychologinnen. Kernthema von „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“ ist die Frage, „wie wir Kindern Nachrichten erklären, die wir oft selbst nicht begreifen“. Die Erlebnisse der Journalistin mit ihren heute sechs und elf Jahre alten Töchtern sorgen für sehr persönliche Einblicke.
Frau Bildau, Sie erklären einem Millionenpublikum Tag für Tag die Welt. Gab es Fragen Ihrer Kinder, bei denen Sie merkten, dass Sie an Ihre Grenzen stoßen?
Sara Bildau: Ja, und zwar an meine emotionalen Grenzen. Solche Momente gab es in den letzten Jahren immer häufiger, erst recht, als meine Töchter älter wurden und die Fragen zunehmend komplexer wurden. Als meine kleine Tochter wissen wollte, ob Putin ihre Adresse habe, musste ich erst mal schlucken, genauso bei der Frage, die ich als Titel meines Buches verwendet habe: „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“ Wenn ich als Journalistin Nachrichten erkläre, ist das etwas völlig Anderes, da kann ich professionelle Distanz wahren.
Wann wurde Ihnen klar, dass sie dieses Buch schreiben wollen?
SB: Das war ein längerer Prozess, aber ich weiß noch genau, was ihn ausgelöst hat. Das war eine Frühstücksfrage meiner älteren Tochter, die völlig aus dem Nichts kam und mich kalt erwischte: „Mama, gibt’s eigentlich was Neues von den Taliban?“ Ab diesem Moment, der einige Jahre zurückliegt, habe ich darüber nachgedacht, mit welchen Fragen sich Kinder beschäftigen. Vielleicht kriegen unsere Töchter als Kinder eines Journalistenpaars mehr mit als andere, aber viele Freunde und Bekannte mit anderem beruflichen Hintergrund haben ebenfalls erlebt, dass ihre Kinder sie ohne jede Vorbereitung mit solchen Fragen konfrontieren. Kinder haben ein Recht auf vernünftige Antworten, daher sollte man sich beizeiten auf solche Gespräche vorbereiten.
Viele Eltern versuchen allerdings, ihre Kinder so lange wie möglich vor den Schattenseiten des Daseins zu beschützen.
SB: Ich habe tatsächlich neben vielen positiven Reaktionen diverse böse E-Mails von Eltern bekommen, die genau dieser Meinung sind. Das hat mich nicht überrascht, denn das ist auch einer der Gründe für dieses Buch. Ich möchte auf nachvollziehbare Weise darüber aufklären, warum es so wichtig ist, dass wir mit unseren Kindern über solche Themen sprechen: weil es heutzutage gar nicht mehr möglich ist, die negativen Ereignisse des Weltgeschehens auszuklammern. Meistens sind wir Eltern auch gar nicht dabei, wenn sie mit solchen Themen konfrontiert werden.
Wie spricht man mit Kindern, wie es Peter Maffay in seinem Vorwort formuliert, „über Gewalt, Tod und Zerstörung“?
SB: Von den Psychologen, die ich für das Buch interviewt habe, habe ich gelernt: Kleinere Kinder sollte man zuhause nicht aktiv mit solchen Themen konfrontieren, sondern nur reagieren, wenn die Kinder Fragen haben. Bei Kindern im Grundschulalter kann man nachforschen, ob sie sich damit beschäftigen. Teenager haben eine ganz andere Gesprächsgrundlage, sie hören und sehen Nachrichten auf dem Handy, lesen vielleicht sogar Zeitung oder haben in der Schule über die Themen gesprochen.
Sachfragen sind vergleichsweise leicht zu beantworten, aber wie verhält man sich, wenn man, wie Sie schreiben, „keine Erklärung für das Unerklärliche“ hat und zum Beispiel nicht beantworten kann, warum sich Menschen gegenseitig Gewalt antun?
SB: Das ist in der Tat eine Frage, die Kinder gerade nach Ereignissen wie zuletzt in Aschaffenburg sehr häufig stellen: „Warum hat der Mensch das gemacht?“ Von den Psychologen weiß ich, dass man auf die Frage nach dem „Warum?“ am besten reagiert, indem man erklärt: „Es gibt Menschen, die haben nie gelernt, wie man mit ganz starken Gefühlen umgeht. Solche Leute denken: ‚Wenn ich etwas will, dann muss ich das mit Gewalt erreichen.'“ Für uns Eltern ist es mit dieser Antwort jedoch nicht getan. Wir müssen noch einen Schritt weitergehen und nach der Frage hinter der Frage suchen: Was interessiert mein Kind an diesem Thema? Die Antwort lautet meistens: „Kann mir das auch passieren?“
Sie verweisen in Ihrem Buch auf eine Studie der Universität Bielefeld, laut der drei Viertel der Zwölf- bis Sechzehnjährigen kein Vertrauen mehr in den Journalismus haben. Welche Schlussfolgerungen sollten gerade ARD und ZDF daraus ziehen?
SB: Es muss unser Ziel sein, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. In Krisenzeiten finden Jugendliche in den klassischen Medien offenbar zu wenig Halt, daher ist die Gefahr groß, dass sie im Internet danach suchen, und dort stoßen sie dann auf ungefilterte Meldungen und Fake News. Deshalb müssen wir auf allen Plattformen vertreten sein, um mit gut recherchierten und weiterführenden Informationen für sie da zu sein. In der Redaktion diskutieren wir ständig darüber, wie wir mit schwierigen Themen umgehen und wie es uns gelingen kann, einen konstruktiven Journalismus zu betreiben, der die Menschen, alte wie junge, nicht nur mit negativen Schlagzeilen konfrontiert, sondern auch konstruktive Lösungsansätze präsentiert.
Abgesehen vom persönlichen Umfeld und der Schule beziehen Jugendliche einen großen Teil ihres Weltwissens aus digitalen Netzwerken. Eltern sind oft selbst davon überfordert, in diesem Wust an Informationen den Überblick zu behalten. Wie wichtig wäre gerade angesichts der Häufung von Fake News ein Schulfach Medienkunde?
SB: Sehr wichtig! Medienkunde gehört zwar zum Bildungsauftrag, aber jedes Bundesland setzt Medienbildung anders um. Ein verpflichtendes Unterrichtsfach an allen weiterführenden Schulen würde ihr den Stellenwert geben, den sie in der heutigen Zeit braucht, auch wenn es eine große Herausforderung für die Lehrkräfte bedeutet. Aber natürlich sind auch wir Eltern gefragt, um unsere Kinder für „Fake News“ zu sensibilisieren. In meinem Buch zeigt ein Experte für Kindermedien Wege auf, wie das gelingen kann, indem man Kinder zum Beispiel selbst falsche Nachrichten schreiben lässt.
Wie schafft man es, wie Sie im Schlusswort appellieren, Kinder zu „kleinen Optimisten“ zu erziehen?
SB: Dieses Anliegen ist mir ganz wichtig: Wie kann man seinen Kindern dabei helfen, trotz all‘ der vielen Krisen nicht die Zuversicht zu verlieren? Wie bei allem anderen heißt es auch hier: Wir müssen es ihnen vorleben! Wir Eltern müssen selbst lernen, mit diesen Krisenzeiten umzugehen und Widerstandskraft zu entwickeln; nur dann werden das auch unsere Kinder können. Wenn die Nachrichtenlage wenig Anlass zu Optimismus bietet, ist das Umfeld umso entscheidender. Eltern müssen im Gespräch mit den Kindern unbedingt die schönen Dinge des Lebens betonen. Wenn man die Kinder fragt „Wie war’s in der Schule?“ oder „Wie war dein Tag?“, kriegt man meistens bloß „Gut!“ zu hören. Wir fragen unsere Töchter, was am heutigen Tag ihr „Glitzermoment“ war, und schon bekommt man ganz andere Antworten, über die man dann wieder ins Gespräch kommen kann.
Wie kann es gelingen, solche „Glitzermomente“ in einen Zusammenhang zu großen Themen wie Krieg und Klimakrise zu bringen?
SB: Indem man den Kindern zeigt, dass sie auch im Kleinen ihren Teil dazu beitragen können, die Welt ein bisschen besser zu machen. Sie können zum Beispiel einen Flohmarkt veranstalten und den Erlös an Geflüchtete spenden, sie können Müll sammeln, Politikern schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten, den Kindern klar zu machen, dass sie nicht machtlos sind.
Sara Bildau (Jahrgang 1984) arbeitet seit 2006 fürs ZDF und moderiert im „Zweiten“ die „heute“-Nachrichten. Zuvor hat sie an der Dualen Hochschule in Ravensburg Medien- und Kommunikationswirtschaft studiert. Die gebürtige Gießenerin lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Düsseldorf. Das Buch „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“ (224 Seiten, 22,99 Euro) ist im Münchener Verlag Gräfe und Unzer (GU) erschienen. Peter Maffay hat das Vorwort geschrieben.