Ampel zu mehr Klimaschutz verurteilt“ oder „Esst mehr Insekten“ – mit solchen Schlagzeilen auf Instagram und Co. versuchen Medienhäuser junge Menschen zu erreichen. Denn besonders die Generation Z, die mit Social Media aufgewachsen ist, interessiert sich für Klima- und Umweltthemen. Doch inwieweit passen Redaktionen ihre klimajournalistischen Beiträge der algorithmischen Plattformlogik an? Das untersucht Vanessa Kokoschka, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Darmstadt, in ihrer Dissertation zu „Journalistische Autonomie auf Plattformen“.
Mittels Inhaltsanlayse, Befragung und Beobachtung erforscht Kokoschka, welchen Einfluss Empfehlungssysteme auf redaktionelle Entscheidungen haben. Digitale klimajournalistische Formate, die von der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen am meisten genutzt werden, ermittelte sie auf den Plattformen Instagram, TikTok und Youtube.
Außer der Reichweitenstärke sei ihr bei der Auswahl für die Inhaltsanalyse auch ein Mix aus öffentlich-rechtlichen (WDR, Deutsche Welle) und privaten Medien (taz, Burda, Vox Media) wichtig gewesen, so Kokoschka im Gespräch mit M. Auffallend sei, dass Vox Media sein Format „NowThisEarth“ auf allen drei Plattformen in gleicher Gestaltung nur mit Bildern präsentiert – „vermutlich mangels personeller Ressourcen“.
Reine Bildformate dominieren auf TikTok und Youtube, während auf Instagram Bild, Video und Text gleichermaßen genutzt werden. Das Ranking klimajournalistischer Beiträge nach Inhalt und ihr Framing verändern sich im Laufe der Zeit. Während Biodiversität im gesamten Erhebungszeitraum durchgängig am zweithäufigsten thematisiert wird, steht das Thema „Energie“ zunächst an der Spitze, wird dann aber verdrängt durch „individuelle Konsumentscheidungen“, die zuvor auf Platz vier standen.
Konsumentscheidungen trenden
Zwischen dem 27. November bis zum 17. Dezember 2023 – also rund um die UN-Klimakonferenz in Dubai 2023 (COP 28) – dominieren Themen zu Energiefragen, die politisch gerahmt werden. So berichtet „Klima.neutral“ (WDR): „Ampel zu mehr Klimaschutz verurteilt. Wissing und Geywitz müssen nachliefern“. Die „klimataz“ informiert über die Verlängerung der COP mangels Einigung auf den Ausstieg aus fossilen Energien und „PlanetA“ (DW) erklärt auf TikTok, „was man über die Weltklimakonferenz wissen sollte“.
Ab dem 18. Dezember 2023 bis zum 4. Februar 2024 – somit im nicht ereignisbezogenen Zeitraum – dominiert ein Alternativen-Frame mit Themen rund um indivuelle Konsumentscheidungen. Auf Tiktok fragt das „2050magazin“ (Burda) „Wie geht vegan auf dem Weihnachtsmarkt?“, auf Instagram zieht die Berliner Comedy-Queen Gazelle eine „ehrliche Ökobilanz“.
„Was mich persönlich am meisten überrascht, ist die fehlende subjektive Erzählweise, die eigentlich Social-Media-Formate trägt“, sagt Vanessa Kokoschka und erläutert, in vielen Formaten sei kein Host zu sehen und wenn er auftauche, dann nur um Infos zu vermitteln, keine persönliche Meinung. Alles sei ziemlich „sachlich gestaltet“. Zur Anschlusskommunikation stellte sie fest, dass fast alle Beiträge von Usern kommentiert, aber nur etwa ein Fünftel durch die Redaktion moderiert werden. Während es auf TikTok und Youtube kaum Anschlusskommunikation gebe, sei der Austausch auf Instagram intensiver. Kommentarspalten würden hier aber nur von „Klima.neutral“ konsequent moderiert. Der WDR habe dafür eigens eine Community-Managerin angestellt. Durch Call to Actions in ihren Beiträgen rufe die Redaktion zur Interaktion auf und trete mit ihrer Community dann auch aktiv in den Austausch.
Im technischen Korsett
Kokoschka resümiert, die Redaktionen passten sich unterschiedlich stark an die Vorgaben der Plattformen an. Inhaltlich versuchten sie, autonom zu bleiben und Themen selbst zu setzen, bei den Darstellungsformen orientierten sie sich zumeist an den Plattformlogiken. So habe die Deutsche Welle kurze Videos auf TikTok und längere auf Youtube. Manchmal würden Vorgaben der Plattform aber auch nicht eingehalten. Vox Media etwa zeige in „NowTheEarth“ nur Bilder statt Videos auf TikTok, da die Redaktion für alle Plattformen das gleiche Format präsentiert.
Zu den nächsten beiden Forschungsschritten – Befragung von Redaktionen und Beobachtung ihrer Arbeit – konnte Vanessa Kokoschka erste Eindrücke bei „Klima.neutral“ im WDR sammeln. Die Redaktion fühle sich „inhaltlich autonom, aber durch die technischen Vorgaben in ein Korsett gedrängt, bestimmte Darstellungsformen zu bedienen“, berichtet sie, denn bei den Plattformlogiken „stochern sie im Nebel“.
Während sie die Redaktion besuchte, konnte sie beobachten, wie die Journalist*innen dort auf die technischen Herausforderungen reagieren. Instagram wollte „politische Inhalte“ durch eine algorithmische Änderung drosseln, wobei unklar blieb, was darunter verstanden wurde: Statements von Politiker*innen und Parteien? Die Redaktion versuchte gegenzusteuern und veröffentlichte ein Erklärvideo, in dem sie ihre Nutzer*innen aufforderte, bei ihren persönlichen Einstellungen ein Häkchen hinter „politische Inhalte“ zu setzen, um weiterhin solche Informationen von „Klima.neutral“ zu erhalten.