In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien.
Herr Paulitsch, aus den Nationalratswahlen Ende September ist die extrem rechte FPÖ mit über 28 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft hervorgegangen. Was bedeutet das politisch?
Nach der Wahl befanden wir uns zunächst in einer Pattsituation. Die FPÖ wurde zwar stärkste Partei, allerdings hatten alle anderen Parteien bekundet, mit Herbert Kickl als FPÖ-Spitzenkandidat nicht koalieren zu wollen. Dass die FPÖ aber bei einem so großen Erfolg auf ihren Spitzenkandidaten verzichtet, war von Beginn an unwahrscheinlich, weshalb der Zweitplatzierte Karl Nehammer (ÖVP) vom Bundespräsidenten den Regierungsauftrag erhalten hat. Momentan befinden sich daher SPÖ, ÖVP und Neos in Koalitionsverhandlungen. Aber es gibt nach wie vor Zweifel, ob es nicht am Ende doch zu einer FPÖ-ÖVP-Koalition kommen könnte.
Warum?
Einflussreiche Kreise in der ÖVP rund um die Industriellenvereinigung sowie im Umfeld des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz präferieren eine Koalition mit der FPÖ. Zudem hat die ÖVP schon in der Vergangenheit auf Landesregierungsebene immer wieder öffentlich bekundet, nicht mit der FPÖ koalieren zu wollen, sich dann aber, nachdem Koalitionsverhandlungen mit anderen Parteien offenbar gescheitert waren, doch sehr schnell dazu entschieden. So etwa im letzten Jahr in Niederösterreich und in Salzburg. Vor diesem Hintergrund herrscht derzeit eine gewisse Unsicherheit: Was passiert, wenn die aktuellen Koalitionsgespräche möglicherweise scheitern?
Wie für Rechtspopulisten und -extreme üblich, hat die FPÖ im Wahlkampf massiv und systematisch gegen die etablierten Medien ausgeteilt. Wie wirkt sich das auf die Stimmung in der Medienbranche aus?
In Österreich sind wir mittlerweile sehr abgehärtet – leider. Was etwa die Ankündigung von Herbert Kickl „Machen wir’s dem Orbán nach“ tatsächlich bedeuten würde, wurde in der öffentlichen Debatte bislang nicht intensiv genug diskutiert. Meiner Wahrnehmung nach sprechen auch die bürgerlichen Leitmedien im Printbereich die Gefahr einer autoritären Entwicklung Österreichs selten offen an. Allerdings wäre hiervon gerade der unabhängige Journalismus betroffen. Insgesamt sollte die Gefährdung der Pressefreiheit deutlich stärker thematisiert werden. Dazu gehört neben der FPÖ auch die wirtschaftliche heikle Lage der gesamten österreichischen Medienbranche und das massiv gesunkene Vertrauen der österreichischen Bevölkerung in Nachrichten. Im aktuellen Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism etwa erreichte es mit 35 Prozent seinen bisherigen Tiefstand.
Wie charakterisieren Sie die medienpolitische Strategie der FPÖ?
Im Zuge der Digitalisierung hat man früh die Potentiale von eigenen Medienkanälen erkannt. Sowohl über Social Media als auch über sogenannte Alternativmedien gelingt es der FPÖ sehr gut, den Wählerinnen und Wählern die eigene Sicht direkt und ungefiltert zu vermitteln. Bereits der frühere Spitzenkandidat Heinz Christian Strache hat eine enorm reichweitenstarke Facebookseite bespielt, über die er mit seinen Followern direkt kommuniziert hat. Im Wahlkampf war die FPÖ in den sozialen Medien mit Abstand die stärkste Partei, auf Facebook zählte Herbert Kickl sogar mehr Interaktionen als alle anderen Spitzenkandidaten zusammen.
Nicht mehr auf seriöse Medien angewiesen
Durch die Etablierung einer medialen Parallelöffentlichkeit ist die FPÖ nicht mehr auf seriöse Nachrichtenmedien angewiesen. So konnte Herbert Kickl es sich im vergangenen Jahr erlauben, immer wieder bei Diskussionsformaten des Privatsenders Puls4 abzusagen und stattdessen beispielsweise dem Verschwörungssender AUF1 ein Interview zu geben. Das Interview am Wahlabend bei der ORF-Nachrichten-Sendung ZiB2, das für Wahlgewinner eigentlich Usus ist, hat Kickl ebenfalls abgesagt – und ist erneut unter anderem bei AUF1 aufgetreten.
Welchen Stellenwert hatte die Medienschelte im FPÖ-Wahlkampf, gerade auch im Vergleich zu ihren anderen zentralen Themen wie vor allem Flucht und Migration?
Die Medienschelte war sehr präsent. Das hat bei der FPÖ bereits eine gewisse Tradition. Schon Jörg Haider hatte in den 90er Jahren öffentlich gesagt: „Wenn ich etwas zu reden habe, wird in den Redaktionsstuben in Zukunft weniger gelogen.“ Im Rahmen der FPÖ-Medienschelte ist der Österreichische Rundfunk (ORF) das zentrale Feindbild, so auch im letzten Wahlkampf. Insgesamt ist die Diskreditierung von etablierten Medien Ausdruck einer langfristigen Strategie: Um kulturelle Hegemonie zu erreichen, will man über sprachliche Codes und alternative Medienkanäle im vorpolitischen Raum den gesellschaftlichen Diskurs verschieben – zu Gunsten eigener politischer Zielvorstellungen. Dabei werden unabhängige oder öffentlich-rechtliche Medien per se als hinderlich wahrgenommen.
Was genau sind Themen und Muster in der FPÖ-Agitation gegen den ORF?
Mit Herbert Kickl hat sich die Rhetorik verschärft. Das Vertrauen in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird zerstört, wenn man permanent den Eindruck vermittelt, er sei Teil oder Handlanger der Regierung und berichte lediglich das, was „von oben“ vorgegeben wird. Diese Angriffe wurden zuletzt oft mit dem Thema Corona verknüpft, wobei der ORF zu Beginn der Pandemie tatsächlich wenig kritisch mit der Regierung war. Zudem gelingt es der FPÖ geschickt, eine Erzählung vom ORF als Teil einer abgehobenen linken Elite zu spinnen. Über die Person Peter Westenthaler hat die FPÖ mittlerweile auch im ORF-Stiftungsrat einen medial stark präsenten Vertreter. Westenthaler hat eine Website mitgegründet, auf der gegen den ORF kampagnisiert wird, und er tritt regelmäßig im Privatfernsehen auf, um gegen vermeintliche Missstände im ORF zu polemisieren.
Welche Rolle spielt dabei die Personalisierung und Diffamierung von einzelnen Journalisten?
Die Personalisierung in der ORF-Feindbildpflege gab es auch schon bei Heinz Christian Strache. Sogar in seiner Zeit als Vizekanzler hat er zum Beispiel den bekannten ORF-Moderator Armin Wolf öffentlich auf Social Media der Lüge bezichtigt. Gerade auch über die Sozialen Medien werden einzelne Moderatoren, denen weite Teile der Bevölkerung nach wie vor vertrauen, angegriffen. Das passiert aber auch im Zuge von einzelnen Sendungen. Nachdem etwa die anerkannte Extremismusforscherin Julia Ebner in die ORF-Sendung ZiB2 eingeladen wurde, hat Kickl auf Telegram gepostet, der ORF sei „einmal mehr Propaganda-Orgel des Systems“ geworden. Insgesamt geht es der FPÖ darum, ihren eigenen politischen Einfluss auszubauen und mitzubestimmen, was als objektive Berichtserstattung gilt.
Gerade in Bezug auf Rechtspopulisten ist die Annahme verbreitet, sie würden sich mäßigen oder wie von selbst entzaubern, wenn die einmal an der Regierungsverantwortung sind. Was genau will die FPÖ medienpolitisch durchsetzen?
Ganz zentral ist die Abschaffung der ORF-Haushaltsabgabe, die ab 2024 die bisherige Rundfunkgebühr ersetzt hatte und als Thema im Wahlkampf ausgeschlachtet worden ist. Aus dem Rundfunk soll ein sogenannter „Grundfunk“ werden, der aus dem Staatsbudget finanziert werden würde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre das eine FPÖ-Koalitionsbedingung.
In ihrem Wahlprogramm fordert die FPÖ zudem staatliche Förderstrukturen zur Etablierung alternativer Medienkanäle. De facto könnte das bedeuten, dass künftig Steuergeld in Pseudomedien fließt, die regelmäßig mit dem Vorwurf von Desinformation und Verschwörungsmythen konfrontiert sind. Damit richtet sich die FPÖ auch gegen die zuletzt eingeführte qualitätsorientierte staatliche Journalismusförderung.
Attacken auf die Öffentlich-Rechtlichen
Darüber hinaus fordert die FPÖ, öffentlich-rechtliche Aufträge am freien Medienmarkt auszuschreiben, mit Zuschlag für den Bestbieter. Im FPÖ-Podcast hat Peter Westenthaler gesagt, dass etwa der Privatsender Servus TV momentan mehr öffentlich-rechtliche Inhalte produziere als ORF 1. Die Umsetzung derartiger Forderungen käme wohl einer Abschaffung des ORF in seiner jetzigen Form gleich.
Was hat die FPÖ in der Koalition mit Sebastian Kurz von der ÖVP von 2017 bis 2019 tun können, um dem ORF zu schaden?
Die Freiheitlichen haben auch in dieser Zeit ihre Attacken auf den ORF fortgeführt. So etwa als Vizekanzler Strache den ORF-Moderator Armin Wolf der Lüge bezichtigt hatte. Zudem hat der damalige FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky während einer ZIB2-Sendung gedroht, ein von Wolf durchaus kritisch geführtes Interview dürfe „nicht ohne Folgen bleiben“. Insgesamt gab es also schon damals öffentliche Einschüchterungsversuche gegen den ORF, die bis heute anhalten.
Trägt diese Einschüchterung Früchte?
Der ORF hat sehr viele selbstbewusste Journalistinnen und Journalisten, die sich von dieser Rhetorik nicht einschüchtern lassen. Allerdings wurden in den vergangenen Jahren mehrere Chatnachrichten publik, die Anlass zur Sorge geben. So etwa vom ZIB2-Chefredakteur Matthias Schrom, der von Vizekanzler Strache private Nachrichten erhielt, in denen sich Strache über eine ZIB-Sendung beschwerte und Personalwünsche äußerte. Chefredakteur Schrom antwortete darauf mit „Das ist natürlich unmöglich“ und „die, die glauben, die SPÖ retten zu müssen, werden weniger“.
Wir wissen also nicht, wie sich die medienpolitische Situation entwickelt hätte, wäre die ÖVP-FPÖ-Regierung nicht infolge des Ibiza-Videos vorzeitig abgebrochen worden. Dass im ORF schon damals deutlich mehr geplant war, zeigt auch eine im Nachhinein öffentlich gewordene Nebenvereinbarung von ÖVP und FPÖ. Die Abmachung bestand darin, die damalige Rundfunkgebühr abzuschaffen und das gesamte ORF-Budget aus dem Staatshaushalt zu finanzieren, was erhebliche Auswirkungen auf die Unabhängigkeit des ORF gehabt hätte. Auch über Postenbesetzungen im ORF gab es entsprechende Absprachen.
Was lösen solche Berichte bei den ORF-Mitarbeiterinnen und -mitarbeitern aus?
Im ORF wissen viele Leute: Sollte die FPÖ an die Macht kommen, dann würde sich Signifikantes ändern. Demgegenüber gibt es in der Öffentlichkeit eine gewisse Gelassenheit à la „So schlimm wird es schon nicht kommen“. Doch bereits das Ibiza-Video hat gezeigt, dass der Umbau der österreichischen Medienlandschaft für die FPÖ ein zentrales Thema ist. Auch mit Blick auf EU-Nachbarländer halte ich es für eine politische Naivität, wenn man glaubt, rechtspopulistische Parteien ließen sich weiterhin bloß mit Posten besänftigen. Im Fall von Heinz Christian Strache hat das bis zu einem gewissen Grad funktioniert, was sich etwa darin zeigt, dass er darum bemüht war, die FPÖ von der „Identitären Bewegung“ öffentlich abzugrenzen. Bei Kickl wird das aber sicher nicht mehr gelingen.
Seriösen und unabhängigen Journalismus absichern
Allerdings beginnt sich die österreichische Zivilgesellschaft nun stärker aufzustellen. Ich selbst bin inzwischen Mitarbeiter einer neuen Stiftung, die versucht, den unabhängigen und seriösen Journalismus gegen autoritäre Tendenzen abzusichern. Trotzdem besteht aufgrund der ökonomisch heiklen Situation der österreichischen Medienbranche die Gefahr eines vorauseilenden Gehorsams, falls die FPÖ wieder an die Macht kommt. Das vielleicht nicht unbedingt bei allen Formaten des ORF, weil wir in den einzelnen Sendungen nach wie vor sehr selbstbewusste Persönlichkeiten haben. Bei anderen Medienhäusern und speziell im Boulevard sehe ich die Gefahr derzeit größer, nicht zuletzt wegen der in Österreich üppigen Inseratenvergabe. Dass demokratiepolitisch bedenkliche Entwicklungen relativiert oder nicht mehr so genau hingeschaut wird, ließ sich bereits bei der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung in Ansätzen beobachten.
Bei aller Schrillheit, Ressentiment und bei allem strategischen Machtkalkül, das die FPÖ gegenüber dem ORF pflegt – wo trifft sie aus ihrer Sicht dennoch Punkte einer legitimen Kritik?
Die FPÖ spricht sicher einen richtigen Punkt an, wenn sie den zu großen Einfluss der Politik im ORF anprangert. Im vergangenen Jahr hat der Verfassungsgerichtshof Teile des ORF-Gesetzes aufgehoben, weil die Regierung zu viel Einfluss auf die Besetzung der Kontroll- und Aufsichtsgremien hat. Der Publikumsrat und Stiftungsrat müssten umfassend reformiert werden, was auch von zahlreichen Expertinnen und Experten gefordert wird. In seinen Strukturen ist der ORF also noch nicht so unabhängig, wie er eigentlich laut österreichischer Verfassung idealerweise sein sollte.