Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung.
Anders als andere Diversitäts- und Diskriminierungsmerkmale wie Geschlecht, sexuelle Orientierung oder ethnische Herkunft kann Behinderung jede*n betreffen, ein Autounfall oder eine schwere Krankheit genügen. In Deutschland sind rund acht Millionen Menschen schwerbehindert, also fast jede*r zehnte.
Trotzdem kommen Menschen mit Behinderungen in den Medien wenig vor, und auch in Redaktionen sind Journalist*innen mit Behinderung deutlich unterrepräsentiert. Daher ist es der Stiftung ein Anliegen, Medienschaffende mit Behinderung bei der Ausübung ihres Berufes zu unterstützen.
Journalismus ist ein fordernder und stressiger Beruf. Es gibt kaum Modelle, wie Menschen mit Leistungseinschränkungen in redaktionelle Abläufe integriert werden können. Vorbehalte gegenüber der Leistung und Angst vor vermeintlich anfallenden Kosten halten Arbeitgeber davon ab, Redakteur*innen mit Beeinträchtigung einzustellen. Aus Sorge vor Vorurteilen und Angst vor Mitleid machen auch manche behinderte Journalist*innen ihre Behinderung in ihren Redaktionen nicht bekannt.
Mit Auszeichnungen sensibilisieren
Die Stiftung will mit den Preisen für diese Probleme sensibilisieren und die Kolleg*innen ermutigen, offen mit ihren Einschränkungen umzugehen. In vielen Medien kommen weiterhin Stereotype und Fehlinformationen über Menschen mit Beeinträchtigungen vor. Der „an den Rollstuhl gefesselte“, aber tapfere Junge, die blinde, aber lebensfrohe junge Frau oder die schwerkranke Mutter, die lieber still leidet, als ihren Kindern zur Last zu fallen – Behinderung wird als schweres Leiden und als unzumutbare Belastung dargestellt statt als weitverbreitete und sehr unterschiedliche Lebenserfahrung von Menschen, die auf körperlicher, kognitiver oder psychischer Ebene von der Norm abweichen.
Auch in der Corona-Pandemie ließ sich beobachten, welche negativen Auswirkungen es hat, wenn vulnerable Gruppen nicht mit am Konferenztisch sitzen. Viele Medienhäuser bieten ihre Inhalte weiterhin nicht barrierefrei an. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern schließt auch potenzielle Zielgruppen aus.
Aus den Recherchestipendien entstanden bisher Texte zur Barrierefreiheit im Videospiel, zum Studieren mit Behinderung, zur Inklusion auf dem Arbeitsmarkt und zu den Problemen der Arbeitsassistenz in der Corona-Pandemie.
Zwei Stipendien und zwei Preise
Initiator und Sponsor ist der Vermögensverwalter Thomas Wüst, der das Projekt 2019 ins Leben gerufen hat, zuerst mit der Noah Foundation und den Leidmedien. Nach einer Pause 2022 wurden die Stipendien im Folgejahr bei der Otto Brenner Stiftung angesiedelt. Die Stiftung hat sich mit dem renommierten „Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus“, der in diesem Jahr zum 20. Mal vergeben wird, im journalistischen Bereich bereits einen guten Ruf erworben.
In diesem Jahr werden zwei Recherche-Stipendien und zwei Preise vergeben. Die Preise sind mit je 2.000 Euro, die Recherche-Stipendien mit je 3.000 Euro dotiert. Das Einsendedatum ist der 30. April. Die Preise und Stipendien sind dem Prinzip des konstruktiven Journalismus verpflichtet. Die Bewerber*innen sind aufgefordert, erfolgsversprechende Lösungsansätze für gesellschaftlich relevante Problemstellungen zu präsentieren.
Ehemalige Stipendiatin in der Jury
In der Jury sind in diesem Jahr drei Frauen: Laura Lindemann (Politikredakteurin bei der WAZ), Christiane Link (Unternehmensberaterin) und Maja Weber (Moderation u.a. bei ZDFheute). Lindemann hat 2020 das Stipendium gewonnen: „Mit dem Recherche-Stipendium habe ich das erste Mal die Gelegenheit bekommen, länger zu einem Thema zu recherchieren. Durch meinen Artikel, der in der Zeit-Campus erschienen ist, konnte ich Studierenden mit Behinderung eine Stimme geben und Lücken im Bildungssystem sichtbar machen“, führt Lindemann aus. „Die Jury Mitglieder haben mich sehr unterstützt und die Recherche eng begleitet. Das Stipendium war so ein wichtiger Baustein meiner journalistischen Laufbahn.“
Neu ist in diesem Jahr, dass jede*r Bewerber*in nur noch einen Antrag auf ein Recherche-Stipendium und eine Bewerbung auf einen Preis zum Wettbewerb einreichen darf. Zusätzlich ist nun auch für die Preisbewerbung ein Motivationsschreiben nötig. Bisher brauchten Bewerber*innen das nur für die Stipendiumsbewerbung. Nach Angaben der Otto Brenner Stiftung sind der Großteil der Bewerber*innen freie Journalist*innen. Ihr Anteil liegt etwa bei 90 Prozent. Die Stiftung ist sich bewusst, dass mit so einem Preis auch ein Outing verbunden ist, was festangestellte Kolleg*innen möglicherweise vermeiden wollten. Es ist aber auch zu vermuten, dass der Anteil festangestellter Journalist*innen mit Behinderung wesentlich geringer ist als der von Freien.