Pressefreiheit EU: 1548 Angriffe in 2024

Ein Euphemismus, wenn man die aktuelle Lage der Pressefreiheit weltweit betrachtet. Foto: dpa/Oliver Berg

Die Medien- und Pressefreiheit steht weltweit unter Druck – auch in Europa. Laut eines aktuellen Berichts des EU-Projekts Media Freedom Rapid Response (MFRR) wurden im Jahr 2024 1.548 Angriffe auf insgesamt 2.567 Medienschaffende in 35 europäischen Ländern dokumentiert. Das heißt: Auch in Europa ist es längst keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Journalist*innen frei und unabhängig berichten können. Das gilt nicht nur für autokratische Staaten, sondern auch für Deutschlands demokratische Nachbarn.

Erst im Oktober vergangenen Jahres ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) als stärkste Kraft aus den dortigen Parlamentswahlen hervorgegangen. Schnell zeichnen sich nun erste Einschränkungen bei der Pressefreiheit ab. Geht es nach der FPÖ, soll dem öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk – und einer Vielzahl freier Medienhäuser – die staatliche Finanzierung gestrichen werden.

Zwar sind die Koalitionsverhandlungen noch nicht abgeschlossen, doch die Sorge ist berechtigt, denn andere EU-Länder haben es bereits vorgemacht. In der Slowakei wurde erst im Juni 2024 ein neues Gesetz erlassen, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS auflöste und durch den neu geschaffenen Staatssender STVR ersetzte. Auch in Italien gerät die Pressefreiheit zunehmend unter Druck. Durch die Einflussnahme der Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni auf den öffentlich-rechtlichen Sender RAI hat dieser mittlerweile einen neuen Spitznamen erhalten: „Tele-Meloni“.

942 Angriffe auf die Pressefreiheit in EU-Mitgliedstaaten

Insgesamt hat der aktuelle Monitoring-Bericht des MFRR 942 Verstöße gegen die Pressefreiheit allein in EU-Ländern dokumentiert. (Im Vergleich dazu: Report 2023) Rechnet man EU-Kandidatenländer mit, sind es sogar 1.548 dokumentierte Angriffe auf insgesamt 2.567 Medienschaffende in ganz Europa. Besonders häufig sind dabei verbale Angriffe, die sich in Form von Drohungen oder Beleidigungen gegen Journalist*innen richten. Das gilt auch für Deutschland, hier stehen verbale Angriffe an erster Stelle.

Für 2024 dokumentierte der Monitoring-Bericht zusätzlich 85 Morddrohungen. Zumeist sind es Privatpersonen, die Medienschaffenden mit dem Tod drohen, vorherrschend online, und oft lassen sich die Täter*innen nur schwer oder gar nicht feststellen.

Eingriffe oder Einschränkungen der Pressearbeit sind die zweithäufigste Verletzung der Pressefreiheit. Journalist*innen wurde der Zugang zu Veranstaltungen und Demonstrationen verweigert. Zu den dokumentierten Fällen zählen auch das absichtliche Verdecken von Kameras sowie Eingriffe in redaktionelle Entscheidungen.

Körperliche Angriffe auf Medienschaffende gehörten ebenfalls zu den häufigsten Verletzungen der Pressefreiheit. Im Jahr 2024 wurden Journalist*innen während ihrer Arbeit geschubst, bespuckt oder geschlagen. Dabei waren die Täter*innen auch in diesem Fall mit großer Mehrheit (76, 9 Prozent) Privatpersonen. In etwa 40 Prozent der Fälle führten die Übergriffe zu ernsthaften Verletzungen.

Online-Hass, Hacking und Deep fakes

Die Zahlen geben Einblicke in einen alarmierenden Trend: Der Großteil aller Angriffe und Bedrohungen gegen Journalist*innen erfolgt online. Besonders in den sozialen Medien werden Medienschaffende bedroht, diffamiert und für ihre Arbeit angeprangert. Damit wird es zusehends schwerer, Täter*innen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen.

Auch Hacking-Angriffe auf große Medienportale sowie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zählen zu den modernen Herausforderungen für die Pressearbeit. Ein Beispiel für den Einsatz von KI ereignete sich im Februar 2024: auf den sogenannten Montagsdemonstrationen in Dresden wurden von Veranstaltern wiederholt KI-generierte ARD-Beiträge abgespielt, in denen sich die bekannten Tagesschau-Moderatoren Jens Riewa und Susanne Daubner für ihre „Lügen“ entschuldigten. Genauer ging es dabei um angebliche, vorsätzliche Fehlermeldungen bezüglich des Ukraine-Kriegs und der Corona-Pandemie.

Ein weiteres Beispiel klingt wie aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman: Die russische Desinformationskampagne „Doppelgänger“ unterhielt 2024 mindestens 14 geklonte Webseiten, die sich für seriöse europäische Medienportale ausgaben. In Deutschland waren unter anderem einflussreiche Portale wie Der Spiegel, Bild, Der Tagesspiegel oder die Süddeutsche Zeitung betroffen. Das Ziel der Kampagne? Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu Themen wie dem Ukraine-Krieg, der EU oder bevorstehenden Wahlen.

Superwahljahr 2024

Das Superwahljahr 2024 hat weltweit fast 45 Prozent der Weltbevölkerung an die Urnen gerufen. In der EU hielten sechs Mitgliedstaaten ihre Parlamentswahlen, während allein in Deutschland drei Landtagswahlen (Sachsen, Brandenburg und Thüringen) sowie neun Kommunalwahlen abgehalten wurden. Darüber hinaus wählten am 9. Juni alle EU-Mitgliedsstaaten die Vertreter*innen für das EU-Parlament.

Bürger*innen über das politische Geschehen zu informieren, ist eine der Kernaufgaben des freien Journalismus. Der Monitoring-Bericht zeigt jedoch, dass Journalist*innen gerade im Zusammenhang mit Wahlen erhöhten Risiken ausgesetzt sind. Als Waffe gegen die kritische Berichterstattung haben Regierungsvertreter*innen und Politiker*innen wiederholt Diffamierungs- und Einschüchterungsversuche gegen Journalist*innen unternommen. Die Arbeit von Medienschaffenden öffentlich in Frage zu stellen, kann sich stark auf das Vertrauen der Bürger*innen in die Pressearbeit auswirken. In Deutschland versteckt sich ein solches Misstrauen häufig hinter dem Schlagwort „Lügenpresse“.

In extremen Fällen kann sich dieser Unmut gegen Medienschaffende zuspitzen und in verbalen oder sogar körperlichen Bedrohungen äußern. Der Monitoring-Bericht dokumentierte fünf besonders schwerwiegende Fälle, bei denen Journalist*innen, die über Wahlen berichteten, Todesdrohungen erhielten.

2025: Risiken für die Pressefreiheit bleiben

Schon zu Beginn des Jahres 2025 zeichnen sich erhebliche Bedrohungen für die Pressefreiheit ab. Der Machtgewinn populistischer Parteien in Europa, der anhaltende Konflikt in der Ukraine und die europaweite Protestbewegung im Angesicht des Israel-Hamas-Krieges sind Faktoren, die eine freie und unabhängige Presse auf ein wackliges Fundament stellen. Diese Entwicklungen unterstreichen, wie fragil die Errungenschaften der Pressefreiheit bleiben – und dass sie aktiv geschützt werden muss. Das Projekt Media Freedom Rapid Response (MFRR), co-finanziert von der Europäischen Kommission, dokumentiert seit März 2020 Presse- und Medienfreiheitsverletzungen in EU- und Kandidatenländern. Der alljährliche Monitoring-Bericht gibt Auskunft über die Situation der Presse- und Medienfreiheit in 35 europäischen Ländern.


Cara Räker ist Referentin des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF). Das ECPMF koordiniert und leitet seit 2020 die Veröffentlichung des Monitoring-Berichts. Die NGO mit Sitz in Leipzig setzt sich seit 2015 für eine starke und freie Presse- und Medienlandschaft in Deutschland und Europa ein.

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