Im politisch aufgeladenen Kontext des Gaza-Krieges ist die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Umso bemerkenswerter sind die Versuche von Autor*innen, den Fokus mit journalistischen Mitteln auf das Leid der Menschen zu lenken. Neben dem Westjordanland zeichnen auch in Gaza Künstler*innen Cartoons und Karikaturen gegen den Krieg. Zum Beispiel die junge Zeichnerin Safaa Odah. Martin Gerner hat sie online getroffen.
„Ich stamme aus dem Süden des Gaza-Streifens“, erzählt Safaa Odah über Video. „Nach der Vertreibung meiner Familie aus Rafah bin ich jetzt in Al-Mawasi, einem Vorort von Khan Younis im südlichen Gaza-Streifen. Ich lebe hier notdürftig in einem Zelt.“
Safaa trägt ein buntes Kopftuch. Schwarzen Kaftan bis zum Boden. Mit dem Finger zeigt sie auf Plastikplanen über ihrem Kopf. Sie böten kaum Schutz vor der sengenden Sonne, Wind und anhaltender Kälte nachts, sagt sie auf Arabisch. Ihre Stimme spricht gegen das Röhren der Drohnen an, die am Himmel unaufhörlich brummen und alles überwachen.
Ausgehende Essenvorräte und ständige Angst
Safaa Odah hat mehrfach die Unterkunft wechseln müssen mit ihrer Familie. „Ich lebe in ständiger Angst“, erzählt sie, „manche Detonationen sind ganz nah. Militärfahrzeuge oft wenige hundert Meter entfernt. Die Ernährungslage ist katastrophal und verschlechtert sich mit jedem Mal, wenn der Krieg sich wie jetzt zuspitzt.“ Safaa stützt sich auf einen Stapel von Matratzen: „Ich lebe hier mit meinen Eltern und weiteren 20 Personen auf engstem Raum. Unsere Essensvorräte gehen zur Neige. Wir wissen nicht, was wir essen sollen, wenn sie aufgebraucht sind.“
Safaa ist Mitte 20, hat einen Master in Psychologie. Sie ist Autodidaktin. Vor dem Krieg besaß sie ein Tablet. „Ohne mein Tablet zeichne jetzt nur noch auf Papier. Ein Fehler kostet mich jedes Mal ein ganzes kostbares Blatt Papier,“ trauert sie. „Früher konnte ich Zeichenfehler sekundenschnell digital ausradieren, Farben einsetzen und korrigieren oder alles wegwischen und neu anfangen. Jetzt geht nichts mehr davon. Das zermürbt mich.“
Gerade ist ihr erstes Cartoon-Buch erschienen, erhältlich auf der Kunsthandel-Internetseite Etsy. Auf dem Einband heißt es „Zeichen-Tagebuch von Oktober 2023 bis Dezember 2024“. Darin ein Selbstportrait: Ein Mädchen im Schlaf, Koffer in der Hand, Rucksack auf dem Rücken. Heißt: Auch nachts jederzeit gerüstet sein für den Notfall. Eine andere Zeichnung zeigten einen Engel, der heruntergestiegen ist zur Erde und mit Nadel und Faden versucht, den Körper eines Opfers wieder zusammenzuflicken. Utopisch und sehr menschlich zugleich.
Utopisch und menschlich
Jede neue Binnenflucht löst neue Erschöpfung aus: „Jedes Mal, wenn wir gezwungen sind weiterzuziehen, musst du bei Null anfangen. Man sucht seine Routine darin. Jeder hat seine Aufgaben: Ich muss kochen. Handys Aufladen gehen an Ladestationen, die oft Kilometer weit entfernt sind. Starke Winde zerfetzen derweil die Zeltplanen, Stangen brechen. Unsere Zeltstoffe bezahlen wir selbst, das sind alles keine Hilfsgüter.“
Ihre Familie habe ein paar Rücklagen für solche Notfälle gebildet, erzählt sie. „Ich gehe Kilometer weit, um meine Handy und das der Anderen aufzuladen“, erzählt Safaa, „das gehört zu meinen Aufgaben.“
Wie gefährlich ist es, im Krieg Karikaturen zu zeichnen? Charlie Hebdo steht symbolisch für diese Gefahr. Nada Hodali, Safaas Übersetzerin in Ramallah, sagt: „Es ist gefährlich. Safaas Arbeiten erscheinen in palästinensischen sozialen Medien, auf ihrem Facebook- und ihrem Instagram-Account. Ihre Zeichnungen kommen an, weil sie nicht politisch sind. Sie meinte unlängst: wie immer Andere über meine Arbeit denken, ich möchte meine Stimme zu Gehör bringen.“
Mohammad Sabaaneh, 47, ist Karikaturist im Westjordanland und eine Generation älter. Wegen seiner Karrikaturen war er mehrfach in Haft, durch Israelis und die palästinensische Seite. Er lobt ihre Arbeit. „Safaas Cartoons leben von persönlichen Erlebnissen des Massakers, von Alltagserfahrungen im Gazastreifen. Sie vermag Bilder zu schaffen, die dem Grauen ein menschliches Antlitz verleihen. Mit wenigen Strichen. Berührend, eindringlich.“
Zeichnen heißt Leben
Safaas Zeichnungen sind ohne ausdrückliches Feindbild. Im Vordergrund steht die eigene Conditio humanae und die ihrer Mitmenschen. Der Krieg ist immer präsent. Aber auf den Gesichtern zeichnet sie eine fast übermenschliche Milde und Sanftheit.
In ihrem Zelt in Al Mawasi in Khan Younis ist zurzeit alles andere wichtiger als Zeichnen. Es gebe keinen Strom, kein fließendes Wasser. Auch dafür müssen die Menschen kilometerweit gehen oft, erzählt sie. „Wir leben in einer schrecklichen Zeit. Dennoch zeichne ich weiter. Zeichnen bedeutet für mich Leben. Zeichnen heißt, dass ich noch am Leben bin. Es gibt mir Hoffnung inmitten all der endlosen Kämpfe.“
Das Buch ist zu finden auf der Kunsthandelsseite Etsy unter: https://www.etsy.com/de/listing/1873916928/safaa-und-das-zelt-das-tagebuch-der