„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23. April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
„Was bedeutete die Zulassung privater TV- und Hörfunkanbieter für die Meinungsbildung?“ Die DLM-Vorsitzende Eva Flecken startete mit grundsätzlichen Fragen den Rückblick auf vier Jahrzehnte duale Medienordnung – eine mehr oder weniger friedliche Koexistenz zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Immerhin trat damit neben den Kulturfaktor Rundfunk auch der Aspekt des Rundfunks als Wirtschaftsfaktor hinzu. „Wie kann sich aus einer Vielzahl medialer Angebote eine wirksame Vielfalt der Meinungen entwickeln?“
Als Kronzeuge der frühen Phase agierte Jürgen Doetz, einst Geschäftsführer von Sat.1, später lange Jahre Präsident des Verbands privater Rundfunk und Telekommunikation (heute Vaunet). Er wurde von Flecken launig als „Urknall-Veteran“ vorgestellt. Gestützt durch die Verkabelung und Entwicklung der Satellitentechnik hätten sich Privatfunkinteressenten Anfang der 1980er Jahre angeschickt, das Monopol der Öffentlich-Rechtlichen zu zertrümmern. Die Zielsetzung: „Programmvielfalt, Anbietervielfalt, Wettbewerb und Arbeitsplätze“.
„Erste Seite“ statt Frequenzpoker
Doetz berichtete von der anfänglich herrschenden „Goldgräberstimmung“, der harten bundesweiten Konkurrenz der beiden großen Anbieter Sat.1 und RTL um terrestrische Frequenzen. Den Zuschlag für die Berliner Frequenz habe Sat.1 vom Kabelrat, der damaligen Regulierungsinstanz, erst gegen die Zusicherung der Ansiedlung einer TV-Produktionsgesellschaft mit einem Volumen von 30 Millionen DM bekommen – in Zeiten der Frequenzknappheit hatten Standortpolitiker gute Karten.
Um Zuteilung von Frequenzen geht es für die heutige Medienregulierung kaum noch . Allenfalls beim UKW-Hörfunk existiere noch ein entsprechender Konkurrenzkampf, ergänzte Flecken. In der digitalen Medienwelt komme es eher auf den „ersten Bildschirm“ an, also die Auffindbarkeit von Sendern oder auf „die erste Seite von Suchergebnissen“. Jetzt müssten Regulierer Grundsätze festschreiben. „Das heißt, es muss diskriminierungsfrei sein, die Art und Weise, wie aggregiert und selektiert wird, muss transparent sein.“
„Wir hatten schon das Selbstbewusstsein, in Deutschland Meinungsvielfalt zu erreichen“, resümierte Privatfunkpionier Doetz. Natürlich habe es „schwarze Schafe“ gegeben, Gesellschafter „die das Finanzielle an die erste Stelle rückten“. Aber die Entwicklung habe gezeigt: Privatfernsehen sei „nicht nur Schmuddel, sondern kann auch seriöses Informationsprogramm liefern“.
Botschaften zwischen Suppe und Bier
In der anschließenden Debatte „Informationsvielfalt, die ankommt: Andere Formate, neue Reichweiten?“ reflektierte die Zeit-Journalistin Yasmine M’Barak das Verhältnis von Politik, Medien und Demokratie. Politik könne oft nur über Popkultur unter die Menschen gebracht werden. Ein Politiker wie Markus Söder setze auf social media und benötige keine professionellen Medien mehr, um Leute zu erreichen. Die Gefahr: Dies stelle die Relevanz von professionellem Journalismus punktuell in Frage.
Micky Beisenherz, unter anderem tagespolitisch-kommentierende Podcaster mit dem Format „Apokalypse und Filterkaffee“, sieht solche Techniken nicht als grundsätzlich neue Erscheiung. „Helmut Kohl mit Familie am Wolfgangsee war ja auch in gewisser Hinsicht die Inszenierung von Nahbarkeit“, spottete er. Nur der technische Aufwand sei früher größer gewesen.
Wenn Markus Söder eine Erbsensuppe poste, handle es sich um eine Art von „Authentizitätssimulation“. Statt politischem Frontalunterricht platziere der CSU-Mann zwischen Suppe und Bier unaufdringlich seine Botschaften. Diese Art von News-Podcast falle aber eher in die Kategorie Comedy. Grundsätzlich hätten die öffentlich-rechtlichen Anstalten schon „breitere Flächen, in denen man feuilletonistisch und politisch tätig werden kann“, räumte Beisenherz ein. Auch RTL und ProSieben versuchten, ihre Informationsrepertoire zu erweitern. Diese Bemühungen würden aber vom Stammpublikum der Privaten oft nicht wie gewünscht angenommen.
Nachrichten auf Augenhöhe
RTL-News-Geschäftsführer Martin Gradl verwies auf die Erweiterung des hauseigenen Informationsanteils auf acht werktägliche Stunden. Das früh totgesagte Format „RTL direkt“, positioniert gegen „Tagesthemen“ und „Heute Journal“ – eigentlich am späten Abend die „Todeszone der Information“ – schneide sehr erfolgreich ab. Das Rezept: „Nachrichten für Menschen, auf Augenhöhe, nah dran, ohne erhobenen Zeigefinger“. Jetzt sei man auch mit ersten Formaten auf YouTube vertreten. Schließlich gehe es darum, ein Publikum zu erreichen, das aus dem linearen TV-Konsum längst ausgestiegen ist.
„Unser Kerngeschäft ist erst mal die terrestrische Verbreitung“, konstatierte Marco Maier, Geschäftsführer der FFH-Mediengruppe, „von UKW bis DAB+ und das alles im Webradio angeboten“. Darüber hinaus gewinnen individualisierbare Kanäle an Bedeutung. Kanäle, bei denen die User sich wahlweise aus Musik, Info, Podcast und anderen Sparten ihren eigenen Mix programmieren könne. „Du brauchst im Prinzip im Audio-Angebot alles, was hörbar ist“. Das gelte auch für andere Formate außerhalb des reinen Audio-Konsums. „Es gibt heute nichts, was ein Radiosender tut, was nicht auch sehbar ist.“
Von tektonischer Verschiebung und Jauchegrube
Eine gänzlich andere Tonlage schlug Bernhard Pörksen in seinem Impuls „Kommunikationskonflikte und die Rolle unabhängiger Institutionen“ an. Er beobachtet eine „tektonische Verschiebung, eine Neukonstruktion unserer Informationswirklichkeit“. Diese werde von drei Paradoxien bestimmt. Erstens: „Wir erleben eine gigantische Öffnung des kommunikativen Raums.“ Viele Menschen, die früher keine Stimme hatten, könnten sich jetzt zuschalten. „Gleichzeitig erleben wir eine ebenso massive mediengeschichtlich noch nie dagewesene Vermachtung“. Eine Refeudalisierung des kommunikativen Raums“ in Form einer Konzentration von Einfluss und Reichtum zugunsten ganz weniger Digitalunternehmen.
Zweitens: „Wir erleben, dass Menschen in großer Zahl der Auffassung sind, dass der Meinungskorridor immer enger wird.“ Gleichzeitig erlebe man, „dass sich die Grenzen des Sagbaren dramatisch verschieben“. Seit Elon Musk Twitter gekauft und „in eine Jauchegrube mit Namen X verwandelt“ habe, sei allein die Nennung des „N-Worts“ auf dieser Plattform um 500 Prozent gestiegen. „Antisemitische Propaganda, Fake News, Nonsens aller Art bleibt nun stehen.“
Drittens: Ein paar Jahrzehnte lang habe man das „Ende des Gatekeeper-Zeitalters“ gefeiert. Dies sei das neue Mantra des Silicon Valley: Statt Gatekeeper „deregulierte Unmittelbarkeit, alles ganz direkt, nichthierarchische Kommunikation auf Augenhöhe“. Als „besonders scheußlichen Begriff“ für das Ende des Gatekeeper-Zeitalters habe die Medienwissenschaft den Terminus „Disintermediation“ erfunden. Von einem solchen Ende könne jedoch keine Rede sein. Allenfalls die alten Gatekeeper wie etwa der Lokaljournalismus würden schwächer. Stattdessen gebe es „jede Menge weithin unsichtbare, demokratisch nicht legitimierte, rein privatwirtschaftlich agierende, aber öffentlich regierende neue Gatekeeper“: Plattformen, soziale Netzwerke, Suchmaschinen, „die auf intransparente Art und Weise Informationsströme für Milliarden von Menschen regulieren“.
Neue Sprache und Geschichten erforderlich
Pörksens abschließender Befund: Derzeit erlebe man einen „Aufstieg polarisierender Institutionen und ein Schwächerwerden von integrierenden Institutionen“. Die Spalter würden mächtiger, die Brückenbauer schwächer. Was tun? Sicher sinnvoll sei Medienbildung zugunsten einer besseren Informationsökologie, Regulierung als „Bedingung von Möglichkeit kommunikativer Freiheit“.
Anstelle abstrakter Debatten über Demokratie, Meinungsfreiheit und publizistischer Vielfalt bedürfe es vor allem einer neuen Sprache, einer „Geschichte, die etwas erlebbar macht, die zeigt, was auf dem Spiel steht, wenn wir über das Ende von Demokratien reden, über die neue Macht der Desinformation, über die Schwemme verbaler Gewalt im öffentlichen Raum“. Eine Möglichkeit, so schloss Pörksen, „vielleicht ein letztes Mal so etwas wie Lagerfeuermomente, gemeinsame Realitätsmuster sehen zu können“.