Ausschließlich Privatsphäre?

Presserats-Debatte über Grenzen der Recherche im People-Journalismus

Eine Krähe, so lautet das bekannte Sprichwort, hackt der anderen kein Auge aus. Umso ungewöhnlicher, wenn eine Publikumszeitschrift einer Wettbewerberin unseriöse Recherchemethoden vorwirft. So geschehen Anfang des Jahres, als der Hamburger Stern die in München von Burda verlegte Bunte wegen angeblicher Verletzung der Privatsphäre prominenter Politiker anprangerte.

Der Presserat konnte diesen Streit nicht schlichten, nahm ihn aber Mitte September in Berlin zum Anlass, mit führenden Journalisten einmal grundsätzlich über Recherchemethoden im Journalismus zu diskutieren.

Seit Ende 2008 waren der SPD-Politiker Franz Müntefering und seine heutige Frau Michelle Schumann von der Berliner Foto- und Recherchefirma CMK systematisch beschattet worden. Als Auftraggeber bei der heiklen Mission agierte die Illustrierte Bunte. Die People-Zeitschrift rechtfertigte ihr Vorgehen später mit dem öffentlichen Interesse an der Person des Politikers. Dass der SPD-Politiker mit einer 40 Jahre jüngeren Frau zusammen sei, so Chefredakteurin Patricia Riekel, verweise auf „veränderte Akzeptanzen in Partnerschaften“, sei daher „gesellschaftlich relevant“. Nicolaus Fest von der Bild-Chefredaktion hielt diese Rechtfertigung nicht für plausibel. Es fehle diesem Kasus jede politische Dimension“. Es gehe hier einfach nur um die Beziehung eines älteren prominenten Politikers zu einer jüngeren Frau. Was wiederum ausschließlich seine Privatsphäre tangiere.
Lagen schon die Bewertungen des konkreten Falles weit auseinander, so herrschte auch Dissens bei der Frage nach den Grenzen journalistischer Recherchen. Der Presserat setzt in seinem Kodex journalistischen Recherchen bei personenbezogener Berichterstattung klare Grenzen. „Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern“, so heißt es in Ziffer 4 seiner Publizistischen Grundsätze, „dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.“Was allerdings unlautere Methoden sind, darüber gehen die Meinungen in den Medien auseinander.
Aufgedeckt worden war die Affäre vom Stern, der auf weitere ähnlich gelagerte Fälle verwies. Auch bei der Observierung von Politikern wie Oskar Lafontaine und Horst Seehofer sei mit fragwürdigen Methoden im Privatleben von Politkern herumgeschnüffelt worden, findet noch heute Stern-Chefredakteur Andreas Petzold. Es handle sich schon um „Ausspionieren“, wenn mit konspirativen Methoden versucht werde, in die Intimsphäre einzudringen, Bilder zu machen aus dem Schlafzimmer. Solche Methoden hätten mit journalistischer Recherche nichts mehr zu tun.
Ein Vorwurf, auf den Bunte-Chefin Riekel empört reagierte. Eine verdeckte Recherche erlaube zwar keine Straftaten durch die Presse. Aber eine „Vorzensur“ bei der Recherche dürfe es auch nicht geben. Das juristische Scharmützel zwischen Stern und Bunte ist noch nicht abgeschlossen. Jetzt geht es nur noch um die Frage, ob die Bunte, wie vom Stern behauptet, von den Methoden der beauftragten Firma CMK gewusst habe. Ebenso darüber, ob ein Thema wie Nachforschungen im Privatleben von Politikern an Fremdfirmen outgesourct werden dürfen. „Investigative Recherche ist ein hochsensibler Kernbereich der Qualitätsmedien“, beharrte Stern-Chef Andreas Petzold. Daher müsse er unter Kontrolle der Redaktion stehen. „Hierfür brauchen wir eigene, feste Angestellte, integere Mitarbeiter, auf die wir Tag und Nacht zurück greifen können. Das ist keine Arbeit, die man outsourcen darf.“ Eine Unterscheidung, die Bild-Mann Nicolaus Fest nicht nachvollziehen konnte. Letztlich müsse man sich, „egal, ob es interne oder externe Redakteure sind, immer auf deren Wort und deren Zuverlässigkeit verlassen“ können. Im Übrigen gelte für ihn in der Frage der Recherchemethoden die Maxime: „Der Zweck heiligt die Mittel, aber der Zweck muss stimmen.“ Auch für Presseratsmitglied Robert Schweizer, zugleich auch Mitglied im Vorstand des Burda-Verlags, in dem die Bunte erscheint, ist das Outsourcen journalistischer Leistungen nicht per se fragwürdig. „Besonders sensible Themen“ müssten allerdings in der Redaktion bleiben. Was externe Kräfte zulieferten, müsse von der Redaktion selbstverständlich überprüft werden. Die Verantwortung für die Veröffentlichung liege schließlich bei der Chefredaktion.
Bunte-Chefin Patricia Riekel kündigte inzwischen an, demnächst eine Verpflichtungserklärung für die freien Mitarbeiter und Agenturen herauszugeben. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass sich auch die freien Mitarbeiter an die ethischen und rechtlichen Recherche-Grundsätze hielten. Ob diese Lösung der Weisheit letzter Schluss ist? Hans Leyendecker, Recherche-Spezialist und leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, mag nicht so recht daran glauben. Wichtige Recherchen sollten nicht ausgesourct werden, sondern im Kernbereich der Redaktion bleiben. „Die Redaktion selbst macht genug eigene Fehler, aber es dann an andere zu geben, ist höchst leichtfertig.“

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