Stilfibel für Journalisten im Staatsdienst diktiert Geschichtsschreibung in Kolumbien
„Die Auflösung des Geheimdienstes ist zwar ein positives Signal, aber damit ist es nicht getan. Es muss aufgeklärt werden, was die Agenten in den letzten Jahren im Auftrag der Regierung getrieben haben, aber dabei stehen wir erst am Anfang“, sagt Hollman Morris mit fester Stimme. Morris, ist einer der international bekannten Journalisten Kolumbiens und gemeinsam mit fünfzehn Kollegen, zahlreichen Menschenrechtsanwälten, Gewerkschaftern und Oppositionellen systematisch ausspioniert worden.
„Meine E-Mails wurden abgefangen, mein Telefon abgehört, meine Kinder fotografiert“, so der 41-jährige Journalist, der mit seinen kritischen Fernsehreportagen die andere Seite der kolumbianischen Wirklichkeit aufgedeckt hat. Das hat ihm zahlreiche polemische Angriffe des Präsidenten Álvaro Uribe Vélez eingebracht, der ihn sowie aber auch andere kritische Journalisten als Mitglieder der fünften Kolonne der FARC bezeichnet hat. Die FARC ist Kolumbiens größte Guerillaorganisation und bei einer Geiselübergabe im Februar war Morris als einer der ersten vor Ort. Das reichte dem Präsidenten um Morris als Komplize der Guerilla anzuschwärzen.
In Kolumbien sind derartige Anschuldigungen lebensgefährlich. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass 2008 erstmals seit Jahren kein Journalist ermordet wurde. Kritischer Qualitätsjournalismus ist riskant und er ist in den letzten Jahren seltener geworden, analysiert nicht nur Morris. „Im Fernsehen ist eine Tendenz zur offiziösen Berichterstattung feststellbar“. Eine Ansicht, die auch Kollegen von Morris wie der Journalist und Universitätsdozent Jaime Barrientos teilen. Dabei hilft die Regierung kräftig mit. Jüngstes Beispiel ist der „Manual de Estilo“. Die kleine Fibel für die Journalisten im Staatsdienst und solche die es werden wollen, liefert nicht nur Kapitel über Interviewtechnik, Pressemeldung und Interpunktion, sondern auch handfeste Beispiele dafür wie es die Pressestelle im Präsidentenpalast gern hätte.
So sollen die gängigen Großbuchstaben bei der Abkürzung der illegalen bewaffneten Akteure von FARC über ELN bis zur AUC durch die Kleinschreibung ersetzt werden. In den offiziellen Pressemeldungen ist das schon lange der Fall, da werden die beiden Guerillaorganisationen FARC und ELN genauso auf Maß gebracht wie die Paramilitärs der AUC. Mit einem Großbuchstaben sollen, so sieht es die Stilfibel vor, hingegen Wörter wie Vaterland, Nation oder Regierung beginnen. Nationaler Pathos scheint nunmehr Pflicht und die Fibel findet sich, gespendet von der Regierung in den Bibliotheken der journalistischen Fakultäten. Programm scheint es zu sein, die Dinge so benennen wie es der Staatschef tut. Der degradiert den 45 Jahre alten Bürgerkrieg zum Konflikt und die vier Millionen Binnenflüchtlinge zu Binnenmigranten.
Für María Jimena Duzán, einflussreiche Kolumnistin der größten Wochenzeitung Semana, ist die Stilfibel schlicht Teil einer Strategie die Geschichte neu zu schaffen. Eine Einschätzung, die auch Hollman Morris teilen dürfte.