Albtraum Traumfabrik

ver.di thematisierte auf der Berlinale Selbstausbeutung beim Film

Von Italien lernen, heißt siegen lernen, dieser Eindruck konnte sich bei der Diskussion „Albtraum Traumfabrik – Wege aus der Selbstausbeutung bei Film und Fernsehen“ des Bundesfilmverbands in ver.di auf der Berlinale einstellen. Kleine Umstellungen mit eventueller großer Wirkung in der Produktionsorganisation sind jedoch nur die eine Seite der Medaille, um Tarife einzuhalten.

Auf der anderen Seite steht das Geld, das offensichtlich nur die Sender haben. Und die behaupten ja ständig, es gehe ihnen aus, weshalb die Budgets kaum steigen. Doch bevor ARD und ZDF als auch die privaten Sender ordentlich zahlen, müssen wohl die Produzenten ehrlich kalkulieren, was ein Dreh kostet. 43 Stunden die Woche, neun Stunden am Tag und jede der zwei pro Woche zugelassenen Überstunden müssen schon am Morgen des jeweiligen Drehtags angekündigt werden. Wenn ein Mitarbeiter sich dagegen ausspricht, kann so nicht vorgegangen werden. Am Freitag werden nur sieben Stunden gearbeitet. Um 15.00 Uhr fällt der Hammer – der in Deutschland für diesen Tag oft angesetzte Nachtdreh, der die Erholungszeit des Wochenendes einschränkt, ist tabu.
Um das Pensum in der gleichen Anzahl von Tagen trotzdem zu schaffen, haben die Crews in Italien im Schnitt acht bis zehn Mitarbeiter mehr, was die Gewerkschaft genau kontrolliert. Sie hat auch ein Auge auf die tarifgerechte Bezahlung. „Diese Arbeitsweise stresst mich als Regisseur sehr, weil es von mir acht Stunden volle Konzentration verlangt. In Deutschland ist es viel gemütlicher“, sagt Regisseur Marco Serafini. Als er jedoch bei der Bavaria vor kurzem zwei zusätzliche Kameraassistenten forderte, scheiterte dies an 23.000 Euro Kosten. Dafür fielen für die anderen etliche Überstunden an. „Sie hätten viel Zeit gespart, wenn sie als Second Unit gearbeitet hätten. Auf deutschen Filmsets geht zu viel Arbeitszeit verloren, weil Leute am Set rum stehen.“
Dieses Paradies hat die italienische Regierung ihren Filmschaffenden geschenkt. Es gilt für den Dreh aller Filme, die mit öffentlichen Geldern entstehen. Ausnahmeregelungen lassen die Gewerkschaften nur bei Debüt- und Low-Budget-Filmen zu. Dann könnten die Mitarbeiter vor und hinter der Kamera zum Beispiel auf Rückstellungen arbeiten (d. h. ein Teil der Gage wird nur gezahlt, wenn der Film erfolgreich läuft). Das ist ja auch in Deutschland ein erprobtes Mittel, um ambitionierte, ungewöhnliche Ideen schnell und unabhängig zu realisieren. Dass das Geld nicht abgeschrieben werden muss, sondern später durchaus auch fließt, bestätigten Schauspieler Antoine Monor jr. und Produzent Karsten Aurich.
In Deutschland sei solch gesetzliche Regelung unmöglich, denn es gelte die Tarifautonomie, wandte Alexander Thies für die Allianz Deutscher Produzenten Film und Fernsehen ein. Es ist aber einer der Geburtsfehler der Allianz, dass sie ihren Mitgliedern frei stellt, sich an die Tarifverträge gebunden zu fühlen. Doch ob mit oder ohne Tarifbindung – allzu oft werde versucht, Tarifverträge zu unterlaufen, konstatiert Olla Hoef, ver.di. Im Gegensatz zur Schweiz, wo die ihr angebotenen Verträge stets alle arbeitsrechtlichen Vorgaben berücksichtigten, versuchten deutsche Produzenten in ihren Vertragsangeboten oft Gagen zu drücken und Standards des Manteltarifvertrags auszuhebeln.
Dazu sehen sie sich oft gezwungen. Die Budgets von 90minütigen Debütfilmen, die oft auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern unterstützt werden, gehen mittlerweile unter die Schwelle von 500.000 Euro. Das spüren natürlich die Beschäftigten. Das Lohndumping treffe jedoch auch renommierte, hundertprozentige Auftragsfernsehproduktionen wie den „Tatort“ oder „Stubbe“ war aus dem Publikum zu hören. „Die Tarifverträge werden unterlaufen, weil der Kalkulationsrealismus nicht da ist“, benannte Marco Serafini einen der Gründe für das Lohndumping. Dass er oft fehlt, ist seit Jahren ein offenes Geheimnis in der Branche.
Doch nur wenn die Produzenten den Sendern ehrlich sagen, was ihr Produkt wirklich kostet und wert ist und sich nicht durch Unterlaufen von Tarifverträgen gegenseitig versuchen zu unterbieten, kann wohl gemeinsam mit den Gewerkschaften der Druck aufgebaut werden, dass die Sender mehr Geld für ihre Aufträge locker machen.

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