Der Deutsche Presserat hatte im vergangenen Jahr ordentlich zu tun: 2020 sind so viele Beschwerden eingegangen wie noch nie. Das lag nicht zuletzt an Massenbeschwerden zu einzelnen Artikeln, die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurden. Auch die Zahl der Rügen ist deutlich gestiegen. Insgesamt 53 Mal verhängte die Freiwillige Selbstkontrolle der Presse ihre schärfste Sanktion.
„Wir sind regelrecht geflutet worden von Beschwerden von Leserinnen und Lesern“, sagte Sascha Borowski, Sprecher der Deutschen Presserats, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020. Im vergangenen Jahr sind über 4000 Einzelbeschwerden eingegangen, das sind fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die überwiegende Mehrheit der Beschwerden sah der Presserat jedoch als unbegründet an.
So auch im Falle des viel diskutierten Artikels „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah, der im Sommer in der Taz erschienen ist. Als Reaktion auf den Text gingen so viele Beschwerden ein wie zu keinem anderen Artikel in der Geschichte des Presserats.
„Wir haben diesen Beitrag damals ganz klar als Satire erkannt und ihn als reines Gedankenspiel bewertet“, sagte Pressesprecherin Sonja Volkmann-Schluck. Alle Beschwerden seien als unbegründet abgelehnt worden – auch die des Innenministers Horst Seehofer (CSU), wie Geschäftsführer Roman Portack ergänzte.
Zahlreichen Beschwerden gingen auch zur Berichterstattung einiger Medien über den Mord an fünf Kindern in Solingen ein. Hier rügte der Presserat Bild.de, die Rheinische Post und die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.
Die Berichterstattung über die Corona-Pandemie bildete einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit des Presserats. Fast 600 Beschwerden gab es zu Artikeln, die sich mit der Pandemie beschäftigten – auch hier sei ein Großteil unbegründet. „Die kritisierten Redaktionen haben überwiegend sauber gearbeitet“, sagte Volkmann-Schluck. Eine der Ausnahmen sei ein Artikel der Bildzeitung. Das Boulevard-Medium hatte eine Studie zur Ansteckungsanfälligkeit bei Kindern als „grob falsch“ bezeichnet. Der Presserat sah hier mehrere schwere Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht und erteilte eine Rüge.
Einen Großteil der Beschwerden zu Corona-Berichten wies der Presserat bereits nach der Vorprüfung zurück. Teilweise hätten Leser*innen beanstandet, dass Medien die Teilnehmer*innen-Zahlen an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen falsch wiedergegeben oder die Wirksamkeit von PCR-Tests falsch eingeschätzt hätten. An Beschwerden dieser Art ließe sich ablesen, dass sich die Zweifel mancher Leser*innen nicht nur auf die Berichterstattung beziehen, sondern auf das Thema Corona an sich, sagte Volkmann-Schluck. Mit Blick auf manche Ausführungen lasse sich durchaus feststellen, „dass sich hier Leute wahrscheinlich beschweren, die sich vor Corona nicht unbedingt bei uns beschwert hätten“. Es stehe außer Frage, dass alle Beschwerden beim Presserat gleichermaßen geprüft werden, betonte Volkmann-Schluck in diesem Zusammenhang.
Die mangelnde Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit weitaus weniger Beachtung findet als so mancher kontroverser Artikel. Doch die Schleichwerbung ist – wie im Jahr zuvor – der häufigste Anlass, aus dem der Presserat eine Rüge aussprach, nämlich 17 Mal. Ein offensichtliches Beispiel ist etwa ein Kosmetikprodukt, das in einem Artikel erwähnt und direkt auf der folgenden Seite mit einer Anzeige beworben wird. „Hier sehen wir eine große Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Presse“, so Volkmann-Schluck.
Als „neuen Trend“ erkannte der Presserat Interessenskonflikte von Autor*innen. Ein bekanntes Beispiel, für den es eine Rüge gab ist der Spiegel-Artikel „Statt Kaffee lieber eine kleine Dosis LSD“. In dem als „Selbsterfahrungs-Bericht“ angeteaserten Text führt die Autorin die Vorzüge von Psychedelika aus. Zugleich ist sie Gründerin einer Plattform, die psychedelische Drogen vermarktet.
Insgesamt 53 Rügen erteilte der Presserat 2020 – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, in dem es noch 34 Rügen waren. Nicht alle Rügen sind bereits veröffentlicht. Bislang sei nur etwa jede dritte Redaktion der Pflicht nachgekommen, die Rüge zu veröffentlichen, hieß es. Die meisten Rügen, nämlich 22, handelte sich die Bildzeitung ein.
Weniger Beschwerden gibt es zur Pressekodex-Richtlinie 12.1, die sich auf die Herkunftsnennung von Straftäter*innen bezieht. Der Presserat hatte die Richtlinie 2017 umformuliert. 2016 hatte es, im Zusammenhang mit der Berichterstattung um die Kölner Silvesternacht noch über 60 Beschwerden gegeben. Sprecher Sascha Borowski wertet die sinkenden Beschwerdezahlen als Zeichen dafür, dass die neu ausformulierten Leitlinien eine hilfreiche Orientierung für Redaktionen sind. Allerdings gibt es Belege dafür, dass es bei der Herkunftsnennung bei Straftaten eine Verzerrung gibt, ausländische Tatverdächtige also deutlich häufiger genannt werden als deutsche.
Den Presserat erreichten zahlreiche Beschwerden, für die er gar nicht zuständig ist – etwa zu Inhalten des privaten und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese werden an die zuständigen Stellen weitergeleitet.