Presserat erteilt Rüge für Verletzung der Menschenwürde
Pressekodex, Richtlinie 11.1:
„Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.“
Pressekodex, Ziffer 1:
„Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“
Unter der Überschrift „Ein Pfund Hand und drei Liter Blut, bitte“ veröffentlichte ein Männermagazin ein Foto, das mehrere blutüberströmte Opfer einer offensichtlichen Gewalttat zeigt. Die Bildunterschrift lautete: „Ballermann 6: Sangria bis der Arzt kommt“. Der dazugehörige Text berichtet über den Handel mit Leichenteilen in Nigeria. Ein Beschwerdeführer sah in dem Foto eine Verletzung der Menschenwürde. Wer ein Foto einer Gewalttat mit einer derart zynischen Bildunterschrift versehe, handele offenkundig allein zum Zweck der Unterhaltung.
Der Mensch werde dadurch zum bloßen Objekt herabgewürdigt. Die dargestellte Brutalität stünde nicht im Zusammenhang mit dem Berichterstattungsgegenstand im Text.
Die Redaktion reagierte auf die Beschwerde mit der Aussage, diese Art der Bildunterschriften sei Teil des Heftkonzepts. Dabei bewege man sich inhaltlich oft in satirischen und absurd überzogenen Bereichen. Für diesen Fall gibt sie zu, sich in einem Grenzbereich zu bewegen. Ihrer Auffassung nach ist die Schere zwischen Darstellung im Foto und der Bildunterschrift derart groß, dass durch diese so offensichtliche Absurdität keine direkte Beziehung zum Bildinhalt, der nicht zwingend vermutliche Opfer eines Verbrechens zeige, hergestellt wird. Allerdings seien auch andere Interpretationen möglich.
Der Beschwerdeausschuss erklärt die Beschwerde jedoch für begründet und spricht eine öffentliche Rüge aus, da ein Verstoß gegen die Ziffer 1 sowie die Ziffer 11 Richtlinie 11.1 vorliegt. Die Veröffentlichung des Bildes, so der Ausschuss, steht in keinem konkreten Zusammenhang zu dem Text und dient lediglich der formalen Illustrierung des Artikels. Deshalb und insbesondere auch wegen der sehr zynischen Unterzeile, die nichts mit dem Bild zu tun hat, erkannte der Ausschuss eine Verletzung der Menschenwürde. Ohne jegliche dokumentarische Absicht wurde hier ein Bild publiziert, das Menschen zum bloßen Objekt herabwürdigt. In diesem Zusammenhang spielte es für den Ausschuss keine Rolle, dass die Bildunterschriften in der Zeitschrift, wie die Redaktion in ihrer Stellungnahme anführte, Teil des Heftkonzepts sind. Die Veröffentlichung eines Leichenfotos in Verbindung mit dieser Unterzeile ist durch nichts zu rechtfertigen. Gerade die von der Redaktion angeführte „offensichtliche Absurdität“ im Verhältnis vom Foto zu Bildunterzeile ist es, die die Menschenwürde verletzt.
Anders sah der Beschwerdeausschuss einen Fall, der auch nach Ziffer 11 des Pressekodex zu beurteilen war. Unter den Überschriften „Wir weinen mit Israel“ und „Die Nacht versank in Blut und Tränen“ wurde in einer Boulevardzeitung über ein Selbstmordattentat in Israel berichtet. Den Beiträgen beigestellt sind diverse Fotos, auf denen die Opfer des Attentats zu sehen sind. Auch hier richtet sich die Beschwerde gegen die unangemessen sensationelle Darstellung, die nach Meinung des Beschwerdeführers voyeuristisch und unangemessen sei. Im Gegensatz zu der ersten weist der Beschwerdeausschuss diese Beschwerde jedoch als unbegründet zurück. Nach Meinung des Gremiums handelt es sich bei den veröffentlichten Fotos um Fotodokumente der Zeitgeschichte. Mit ihnen werden die grausamen Folgen des Attentats den Lesern verdeutlicht. Eine Herabwürdigung von Menschen im Sinne des Pressekodex liegt nicht vor, da das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung auch in dieser Form so groß ist, dass es die Publizierung solcher entsetzlichen Bilder rechtfertigt.
Informationen über die Arbeit des Pressserats unter www.presserat.de