„Das ist bei mir immer so eine Wut“

Ein schlanker, etwas schlaksiger junger Mann öffnet mir die große schwere Tür zum Atelier für Zeitmedien der Hochschule für Künste in Bremen. Fast macht es den Eindruck, als sei er hier zu Hause. Kein Wunder, Ralf Küster verbringt hier sieben Tage die Woche, meist täglich mehr als zehn Stunden.
Dabei machen die Räumlichkeiten keinen besonders einladenden Eindruck. Leere abgenutzte Wände, überall Kabel, hier und da Computer und Fernsehgeräte.

Eigentlich sollte man den zunächst zurückhaltenden jungen Mann noch gar nicht Dokumentarfilmer nennen. Denn in der Filmklasse der Bremer Kunsthochschule legt man viel Wert darauf, sich auszuprobieren und sich nicht schon vor dem Diplom auf ein Genre festzulegen. Ralfs jüngster Film „Schutzbeschichtung“ ist eine Dokumentation. Aufhänger ist der Umgang der Stadt Köln mit Graffitis – der Kunst, die aus Spraydosen kommt.

Laut dröhnt der Punk der Kölner Raggaband „Lord op d’rhing“. Bunt sind die Graffitis auf Hauswänden, Mauern und Zügen. Dann sehen wir graue Wohnsiedlungen, triste Städtelandschaften aus Beton und Stahl. Durch die kontrastreichen Schnitte stellt der Film zwei grundverschiedene Lebensformen gegenüber. Hier die verwegenen Sprayer, die ihr Tun als Kunst erklären. Da die Behörden, die Unmengen von Geld ausgeben, um die Spraywerke immer wieder aufs neue zu entfernen. „Schutzbeschichtung“ ist ein Film über die Absurdität von Städtepolitik, die es erlaubt den öffentlichen Raum nach wirtschaftlichen Interessen zu gestalten.

Ralf Küster wurde 1972 in Köln geboren. Mit 10 Jahren hatte er bereits alle Kinohits der 70er Jahre wie ,Star Wars‘ oder ,Der weiße Hai‘ gesehen. „Das hat mich sehr geprägt.“, erklärt er heute noch fasziniert. Wenn die Eltern nachmittags noch arbeiteten, ging er ins kleine Programmkino um die Ecke. „Sobald ich drei Mark zusammen hatte, bin ich davon ins Kino gegangen.“ Ansonsten vertrieb er sich mit Büchern oder Comics die Zeit.

Das Experimentieren stand im Vordergrund

Später brach Ralf die Schule ab, weil es ihm dort zu langweilig war. Er absolvierte seinen Zivildienst, arbeitete in einem Musikverlag, machte Requisite- und Lichtjobs beim Fernsehen oder im Theater. Daneben spielte er in einer Band. Ihr Spektrum reichte vom Punk über experimentelle bis hin zu elektronischer Musik. Immerhin kann er heute an diese Zeit anknüpfen, wenn er beispielsweise den Sound für seine Filme selbst erarbeitet.

Mit Mitte 20 entschied er sich, das Abi nachzuholen, weil ihm klar wurde, dass er ohne Studium im Film nicht sehr weit kommen würde. Das Experimentieren stand bei Ralf immer im Vordergrund und keinesfalls das auf Fernsehformat festgelegte Arbeiten einiger Filmhochschulen. So machte er sich auf die Suche nach einer Kunsthochschule, die Film im Angebot hat und landete 1999 in Bremen. „Die Schule ist zwar klein, aber hier habe ich den Vorteil, dass ich das Werkzeug Kamera nehmen und dann schauen kann, was ich damit anfangen will, ohne in irgendeine Richtung gedrückt zu werden“, sagt der junge Filmemacher. Ralf Küsters Motivation für einen Film ist immer emotional und betrifft oft gesellschaftspolitische Missstände. „Das ist bei mir immer so ’ne Wut. Irgend etwas stört mich total und dann denke ich: ,Jetzt mache ich darüber eine Arbeit‘. Das beschäftigt mich dann lange und dann ist anfangs auch gar nicht klar, ob ich darüber einen Dokumentarfilm mache oder eine Videoinstallation, einen Spielfilm oder einen Kurzfilm.“ Für sein neues Projekt, ein Dokumentarfilm über den deutschen Punk von 1977 bis 1982, versucht Ralf gerade eine Filmförderung zu bekommen. Zur Unterstützung wandte er sich an ein professionelles Produktionsbüro.

Ralf ist froh, dass es überhaupt eine kulturelle Filmförderung gibt, macht sich aber keine großen Hoffnungen: „Ich glaube nicht, dass die besten Exposes gefördert werden. Ich glaube, dass die Filme gefördert werden, die versprechen, ein großes Publikum anzusprechen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es in Deutschland keine interessanteren Filmemacher gibt, als die aktuell bekannten. Ich glaube einfach, dass die kreativen, fitten Leute hier nicht zum Zuge kommen, weil die Fördersysteme konservativ sind.“

Immer das Gleiche

Ralf Küster möchte mit seinen Filmen die Denkschemata der Leute aufbrechen. Wenn er von Fassbinder, den alten Herzogfilmen oder Michael Hanekes „Klavierspielerin“ redet, spürt man seine Begeisterung. Wenn er sich in diesem Zusammenhang über die Filmwirtschaft aufregt, kommt er sichtlich in Fahrt. „Mich langweilen diese Mainstream-Filme, wo immer die gleichen Kamera-Einstellungen sind, das gleiche Licht, immer die gleichen Klischeeleute mit den gleichen Charakteren in immergleichen Handlungssträngen. Wenn so ein Film anfängt, weiß man nach einer viertel Stunde schon, wie er endet. Für manche mag das witzig sein“, sagt Küster. „Aber irgendwann bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gewalt an Frauen bleibt Leerstelle

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland alltäglich. Und nicht nur in Politik und Justiz besteht großer Nachholbedarf im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt: Auch die journalistische Praxis zeigt deutliche Schwächen und erhebliche Leerstellen. Der aktuelle Trendreport der Otto Brenner Stiftung nimmt die Jahre 2020 bis 2022 in den Blick und stellt fest: Gewalt gegen Frauen wird isoliert dargestellt, ohne strukturelle Ursachen und Präventionsmöglichkeiten zu thematisieren. Das betrifft besonders deutsche Täter. Die Perspektive der Opfer bleibt unterbelichtet.
mehr »

Gewalt gegen Medienschaffende

Eine erneut alarmierende Bilanz zieht die internationale Organisation Reporters Sans Frontiers (RSF), die weltweit Angriffe und Gewalttaten gegen Journalist*innen und damit gegen die Pressefreiheit dokumentiert: 55 getötete, 550 inhaftierte, 55 in Geiselhaft genommene und 95 unter unklaren Umständen vermisste Medienschaffende sind bis Anfang Dezember für dieses Jahr zu beklagen.
mehr »

KI: Menschen wollen Regeln

Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist. 90 Prozent der Befragten fordern dazu klare Regeln und Kennzeichnungen. Dies ergab eine am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie der Medienanstalten. Für die repräsentative Erhebung "Transparenz-Check. Wahrnehmung von KI-Journalismus" wurden online 3.013 Internetnutzer*innen befragt.
mehr »

Altersdiskriminierung beim WDR?

Der WDR serviert freie Mitarbeiter*innen ab, die im Rentenalter für den Sender arbeiten wollen. Damit tut er genau das Gegenteil von dem, was in der öffentlichen Diskussion derzeit geraten wird. Während Angestellte sich also über Jahre hinweg auf einen Termin für ihren Ruhestand vorbereiten konnten, wird langjährigen freien Mitarbeiter*innen nun mit kurzer Frist mitgeteilt, wann für sie angeblich Schluss sein soll. Altersdiskriminierung will man beim WDR aber nicht erkennen – für den Sender gehe es vielmehr darum, jüngeren Mitarbeitenden nicht den Einstieg zu blockieren.
mehr »