„Das Unwort erklärt die Untat“

Der Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU): Die Aufarbeitung der Mordserie rechtsextremer Killer scheiterte auch am Versagen der Medien.

Im Herbst 2011 erfuhr die konsternierte Öffentlichkeit, dass die Ermordung von neun Menschen mit Migrationshintergrund und einer Polizistin auf das Konto des NSU gingen. Staatliche Behörden hatten ein Jahrzehnt lang in die falsche Richtung ermittelt. Der „NSU-Komplex“ steht aber nicht nur für völliges Staatsversagen. Neben Polizei und Justiz versagt hat auch die so genannte „Vierte Gewalt“, deutsche und türkische Medien. Dies belegt eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung.
Unter dem Titel „Das Unwort erklärt die Untat“ weist das Autorenteam Fabian Virchow, Tanja Thomas und Elke Grittmann nach, dass große Teile der medialen Berichterstattung willfährig den Irrwegen und Deutungsmustern der Ermittlungsbehörden folgte. „Medien haben mit zur Ausgrenzung der Opfer beigetragen, haben Angehörige stigmatisiert“ und sich teilweise selbst mit abwegigen Spekulationen an der Tätersuche beteiligt, sagte Tanja Thomas, Medienwissenschaftlerin an der Uni Tübingen beim Mainzer MedienDisput am 29. Januar in Berlin. Die Studie zeigt, dass polizeiliche Quellen Autorität genossen und als glaubwürdig weiterverbreitet wurden. Die enge Anbindung der Berichterstattung an die polizeilichen Erkenntnisse „habe zu einer einseitigen Gewichtung und Wahrnehmung der Quellen“ geführt. Polizeiliche Quellen hätten dominiert, Hinweisen zu den Tathintergründen aus dem Umfeld der Betroffenen sei nicht nachgegangen worden. Mit dem von Journalisten geprägten Begriff „Döner-Morde“ (Unwort des Jahres 2011) seien die Angehörigen der Opfer nicht als Betroffene behandelt, sondern ausgegrenzt und teilweise selbst kriminalisiert worden. „Aus vermuteten Verbindungen zur ‚organisierten Kriminalität‘ wurden vielfach Tatsachenbehauptungen gemacht.“ Die Berichterstattung sei aufgeladen worden mit Spekulationen über angebliche „Milieus“ und „Parallelwelten“, in denen eine „Mauer des Schweigens“ nicht nur die polizeiliche Arbeiterschwere, sondern auch Ausdruck unzureichender Integration in die Mehrheitsgesellschaft sei.
Die Art der Berichterstattung über die NSU-Morde vor der Verhaftung von Beate Zschäpe belegt eine Reihe struktureller Mechanismen und Defizite im Journalismus, die die eklatanten Mängel der Berichterstattung begünstigten. Ein Umstand, den beim Mainzer MedienDisput Andreas Förster, Politikredakteur der Berliner Zeitung und Geheimdienstexperte, unumwunden einräumte. Die Arbeitsverdichtung habe im digitalen Zeitalter enorm zugenommen, zugleich auch der Wettbewerb um exklusive News aus exklusiven Quellen. Das verleite dazu, dass man unkritisch mit bestimmten Informationen umgehe, auch mit den Behörden, von denen man die Informationen bekomme. „Man wird gefüttert, und die Gegenleistung, die dafür erwartet wird, ist, dass man dann auch die Sicht der Behörden übernimmt“, sagte Förster. Die OBS-Studie nennt als weitere Faktoren „fehlende Ressourcen für eigenständige Recherchen, fortbestehende Distanz zu migrantischem Leben, unzureichende Repräsentanz migrantischer Perspektiven in der Berichterstattung sowie ein ‚Schwarmverhalten‘, das – wie am Begriff ‚Döner-Morde‘ erkennbar (…) zur Verstärkung diskriminierender Berichterstattung beitragen kann“.
Was folgt aus dieser schonungslosen Bilanz? Barbara John, ehemalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, heute Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Morde, diagnostizierte beim Mainzer MedienDisput bei den Medien durchaus den guten Willen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sie zeigte sich aber skeptisch. Seit 1990 seien im Zusammenhang mit rechtsradikalen Attacken 160 Todesopfer registriert worden. Regelmäßig werde von den Innenministerien der jeweiligen Länder ein rassistischer oder ausländerfeindlicher Zusammenhang zurückgewiesen. Die Presse wisse um die tendenziöse Beurteilung dieser Vorgänge aus der Politik und den Sicherheitsbehörden. Im Fall der NSU-Morde habe dennoch der journalistische Instinkt versagt. Im Alltag regiere immer noch der ganz gewöhnliche Rassismus.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Alternative Medien

Luis Paulitsch ist ehemaliger Referent des österreichischen Presserats. Er forscht und publiziert in Fachzeitschriften zu medienethischen und zeitgeschichtlichen Themen. Sein aktuelles Buch beschäftigt sich eingehend mit dem Aufstieg von Medien, die den zahlreichen rechtspopulistischen und faschistischen Strömungen ein Forum bieten und damit ihren Teil zu deren politischen Erfolgen beigesteuert haben.
mehr »

USA: Gefährliche Berichterstattung

Zahlreiche Journalist*innen wurden während der Berichterstattung über die Demonstrationen in Los Angeles in der vergangenen Woche angegriffen, festgenommen und in ihrer Arbeit massiv behindert. Presserechtsgruppen verklagen nun die Polizei. Bei den Angriffen soll es sich um gezielte Attacken haben. Auch Reporter ohne Grenzen fordert eine Aufklärung aller dokumentierter Fälle.
mehr »

Innovatives Arbeiten im Journalismus

Flache Hierarchien, flexible Workflows und rollenbasierte Teamarbeit sind Kernelemente von agilem Arbeiten. Das Konzept stammt aus der Softwareentwicklung und hält inzwischen auch im Journalismus Einzug. Die Studie „Agiles Arbeiten im Journalismus: Einführung, Anwendung und Effekte von agilen Methoden in deutschen Medienhäusern“ untersucht, wie deutsche Medienhäuser agile Arbeitsmethoden in den redaktionellen Arbeitsalltag integrieren.
mehr »

Rundfunkfinanzierung in der Sackgasse

Bisher war Einstimmigkeit gefordert, wenn es um rundfunkpolitische Fragen ging. Die Ministerpräsident*innen der Länder sollen gemeinsam agieren, zum Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Kein einfaches Unterfangen, wenn es um das Thema Rundfunkfinanzierung geht. Dass diese Praxis nun überarbeitet wird, ist Ausdruck einer Krise – wenn nicht der Demokratie, dann doch zumindest der Rundfunkpolitik der Länder.
mehr »