Die Künstlersozialkasse – Ein Modell für die ganze Informationswirtschaft

Die KSK muß man auch den Politikern immer wieder erklären

Immer mehr Medienmitarbeiter sind auf der Basis von Werkverträgen und Projekten beschäftigt. Die „Freien“ sind sehr interessiert an einem Zugang zu den gesetzlichen Sozialsystemen, wie die Erfahrungen mit der Künstlersozialkasse belegen. Die KSK könnte zum Modell auch für jene werden, deren Tätigkeit in der zusammenwachsenden Informationswirtschaft nicht mehr eindeutig als „publizistisch“ zu identifizieren ist . Die derzeitige Praxis bewirkt das Gegenteil: Die Bundesregierung will den staatlichen Zuschuß kürzen, die Aufnahme in die KSK wird immer stärker reglementiert.

Die Reaktionsmuster ähneln sich: Heute sind es die Versuche, 630-Mark-Jobs und Scheinselbständigkeit einzudämmen, gegen die Zeitungsverleger und Arbeitgeberlobby mobil machen. Vor zwei Jahrzehnten war es die Einführung der Künstlersozialkasse (KSK), gegen die einschlägige Medien und Unternehmer Sturm liefen. Damals wie heute kursierten horrende Zahlen, was den Verlust an Beschäftigung angeht. Damals wie heute entstand der Eindruck, ganze Branchen würden drangsaliert und kaputtgemacht. Und damals wie heute richteten sich die Proteste gegen eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung.

Die Künstlersozialkasse gibt es seit 1983 – der Zufall wollte es, daß sie wenige Monate nach der Bonner Wende zur CDU/FDP-Koalition in Kraft trat. Helmut Kohl und Norbert Blüm hüteten sich in der Folgezeit aus gutem Grund, die in den eigenen Reihen umstrittene Regelung wieder rückgängig zu machen. Zu eindeutig waren die Ergebnisse einer Untersuchung Mitte der siebziger Jahre ausgefallen, die die desolate Alterssicherung der meisten freischaffenden Künstler und Publizisten offenbart hatte. Die Integration dieser Gruppen in die Sozialversicherung – vorher stand diese nur den selbständigen Landwirten offen – galt als ein genuin sozialde mokratisches Projekt. Kanzler Helmut Schmidt hatte sie einst den seine Partei unterstützenden Literaten, wie etwa Günter Grass, versprochen; der SPD-Abgeordnete Dieter Lattmann, zugleich engagiert im Schriftstellerverband VS, engagierte sich hartnäckig für das „Jahrhundertwerk“.

Die Künstlersozialkasse funktioniert im Prinzip wie die Sozialsysteme für Arbeitnehmer: 50 Prozent der Beiträge für Kranken- und Rentenversicherung zahlen die freiberuflichen Autoren oder Künstler selbst. Die zweite Hälfte, der Arbeitgeberanteil sozusagen, setzt sich zu gleichen Teilen aus einer pauschalen Sozialabgabe der Auftraggeber und einem staatlichen Zuschuß zusammen. Dieses Konzept war ein Kompromiß: Die Kulturunternehmen, also etwa Galeristen, Theaterdirektionen, Zeitungs- und Buchverleger, Werbeagenturen oder Plattenfirmen, widersetzten sich anfangs der ihnen auferlegten Abgabepflicht. Sie erreichten schließlich einen Teilerfolg: Statt der ursprünglich vorgesehenen zwei Drittel müssen sie seit 1988 nur noch die Hälfte des „Arbeitgeberanteils“ leisten; der Bundeszuschuß wurde entsprechend von 17 auf 25 Prozent aufgestockt.

Mitgliederboom

Aus heutiger Perspektive ist interessant, daß die politischen Kontrahenten zur Zeit der Gründung der Künstlersozialkasse übereinstimmend von 30000, maximal 40000 potentiellen Mitgliedern ausgingen. Die tatsächliche Entwicklung hat diese Prognosen weit übertroffen: 103000 Versicherte zählt die KSK mittlerweile. 7000 Freiberufler, die sich im Durchschnitt Jahr für Jahr neu anmelden, sind ein deutlicher Beleg dafür, daß der Beitritt zu den gesetzlichen Sozialsystemen auch unter Selbständigen sehr begehrt ist. Der stetige Anstieg der Mitgliederzahlen war zugleich ein Ausdruck des Booms in der Medienbranche: In den achtziger Jahren wurden private Anbieter in Funk und Fernsehen zugelassen, in den neunziger Jahren entstanden im Umfeld des Internet ganz neue Arbeitsfelder. Typisch für die Kommunikationsindustrie ist, daß Beschäftigung häufig gar nicht erst in Form einer Festanstellung angeboten, sondern von Anfang an auf der Basis von einzeln abgerechneten Werkverträgen organisiert wird. Die großen Verlage und Sender betreiben Outsourcing, lagern gezielt Bereiche aus, die außerhalb ihrer Kernaufgaben liegen. Die Informationswirtschaft spielt den Vorreiter einer neuen Netzwerkökonomie, in der Selbständigkeit nicht mehr die Ausnahme, sondern die neue Form darstellt.

Eine Folge davon sind die unerwartet hohen Mitgliederzuwächse in der Künstlersozialkasse und die daraus entstehenden Finanzierungsprobleme. Denn der Staatszuschuß – nicht nominal, sondern anteilig auf 25 Prozent gedeckelt – fällt inzwischen mehr als dreimal so hoch aus wie ursprünglich kalkuliert. 1983 kostete die KSK den Bund 51,3 Millionen Mark, 1999 werden 175,8 Millionen Mark benötigt. Michael Naumann (SPD), der für Kultur und Medien zuständige Staatsminister, hat bestätigt, daß die Regierung den Zuschuß auf 20 Prozent kürzen will – ein Vorhaben, das prompte Proteste etwa des Deutschen Kulturrates ausgelöst hat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMA) als oberste Aufsichtsbehörde wünscht sich zudem eine strengere Aufnahmepraxis. „Am Anfang sind die Sacharbeiter sehr großzügig gewesen, das geht nicht immer so weiter“, betont BMA-Experte Hans-Dieter Freischmidt. Um Kosten zu sparen, soll die Zahl der Versicherten langfristig sinken. Die Kriterien, wer in die Künstlersozialkasse gehört und wer nicht, wurden entsprechend verschärft. Selbständige aus Multimedia-Berufen zum Beispiel haben zur Zeit große Schwierigkeiten, wenn sie belegen sollen, daß sie „publizistisch“ tätig sind. „Einem Screen-Designer kann ich nur empfehlen, sich einer der alten Schubladen zuzuordnen, sonst wird der abgelehnt“, sagt Goetz Buchholz, der Autor des sehr gefragten Ratgeber-Handbuchs für „Freie“.

Für Wolfgang Schimmel, Jurist beim Stuttgarter Hauptvorstand der IG Medien, ist der Zustrom zur Künstlersozialversicherung „eine klare Abstimmung mit den Füßen“. Das Votum der neuen Freiberufler laute keineswegs Flucht aus den staatlichen Systemen, sondern signalisiere eher das Gegenteil: Die Betroffenen wünschen sich die Möglichkeit, gesetzlich versichert zu sein. Es sei deshalb wenig plausibel, wenn die rot-grüne Bundesregierung dies jetzt nur „arbeitnehmerähnlichen“ Selbständigen zugestehen wolle. Der Gesetzgeber, so Schimmel, müsse sich fragen lassen, weshalb er den „neuen Selbständigen“ nicht dasselbe anbiete, was er für „alte Selbständige“ wie Landwirte oder auch Künstler getan habe. „Ein hierfür passendes Regelungsmodell“, so der Rechtsexperte der IG Medien, liege mit der Künstlersozialkasse vor: „Es scheint an der Zeit, Vergleichbares in anderen Berufen zu schaffen.“

Kleinstbetriebliches Expertentum

Denn nicht nur in der eigentlichen Medienbranche werden immer mehr Arbeitnehmer zu Unternehmern in eigener Sache, die ihre Qualifikationen und Leistungen selbst vermarkten müssen. Auch Berater oder Softwarespezialisten zum Beispiel sind mit einer Berufslaufbahn konfrontiert, in der sich Phasen einer festen Anstellung mit einer (manchmal nicht freiwilligen) Selbständigkeit abwechseln. Sie machen Projektarbeit, bleiben dabei aber eingebunden in betriebliche Prozesse. Die Zahl der Freiberufler in Deutschland ist im letzten Jahrzehnt von drei auf 3,6 Millionen gestiegen. Rückläufig ist dagegen die Zahl der „Arbeitgeber“, also jener Selbständigen, die Mitarbeiter beschäftigen. Der Trend geht zum kleinstbetrieblichen Expertentum: 46 Prozent aller deutschen Unternehmen sind mittlerweile Ein-Personen-Betriebe. Auch die grünen Abgeordneten Margareta Wolf und Thea Dückert stellen deshalb einen neuen Sozialversicherungszweig für alle Selbständigen zur Diskussion. In einem Prüfantrag an das Arbeitsministerium setzen sich die beiden grünen Fachfrauen dafür ein, „im Rahmen der anstehenden Rentenstrukturreform zu prüfen, ob und inwieweit das Modell der Künstlersozialversicherung auch auf neue Berufsbilder und -felder anwendbar ist“. BMA-Experte Freischmidt, auf diese Initiative angesprochen, sieht gravierende Probleme bei der „Gegenfinanzierung der zweiten Beitragshälfte“. Der Bund habe sich schon mit dem Zuschuß zur KSK übernommen; über die Ausweitung einer solchen Sozialkasse auf neue Gruppen von Selbständigen werde nicht nachgedacht. Die Bereitschaft der Unternehmer, sich an einem erweiterten Solidarsystem zu beteiligen, beurteilt der Ministerialbeamte skeptisch – obwohl „die KSK-Abgabe preiswerter ist als jeder normale Arbeitgeberbeitrag“.

Eine Sozialversicherung, die analog zum Künstler-Modell für andere Berufe offen wäre, käme auf einen Schlag für hunderttausende Freiberufler in Frage. Einiges spricht dafür, daß sich dann die Kampagne wiederholt, die einst die Diskussion um die Künstlersozialkasse begleitet hat. Der verbissene Kreuzzug von Unternehmern und Verbänden gegen die Regulierung von geringfügiger Beschäftigung und Scheinselbständigkeit belegt: Änderungen im Sozialsystem, die die Arbeitgeber Geld kosten, sind heute erheblich schwerer durchzusetzen als im Reformklima der siebziger Jahre. Wolfgang Schimmel gibt sich dennoch kämpferisch: „Bei der KSK waren die Verleger zickig, aber sie haben schließlich nachgegeben. Warum sollte das diesmal nicht klappen?“

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