Entscheidungsfrei und sozial abgesichert

Smart-Genossenschaftsgründerinnen Magdalena Ziomek (l.) und Alicia Möltner wurden im Senats-Wettbewerb „Berlins soziale Unternehmen 2022“ in der Kategorie „Transformation“ als einer der „Leuchttürme für ein soziales, nachhaltiges und zukunftsfähiges Berlin“ ausgezeichnet. Foto: Frederik Lorenz

Soloselbstständige bei Genossenschaft Smart angestellt

Berlins soziales Unternehmen 2022“ in der Kategorie „Transformation – Soziales Unternehmen für eine Wirtschaft von Morgen“ ist die „SmartDE eG“. Die Genossenschaft macht aus Soloselbstständigen, die sich nicht in einem Kammerberuf wie Ärzte und Rechtsanwälte sozial absichern können, Angestellte mit gesetzlicher Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und wickelt die finanzielle Seite der Aufträge von den Steuern bis hin zum Mahnbescheid an Auftraggeber ab.

Mit einer einmaligen Einlage von 50 Euro können Soloselbstständige der Genossenschaft beitreten. Fast 800 Genoss*innen gibt es inzwischen, die für den Verwaltungsaufwand jetzt einen Beitrag von neun Prozent ihrer Auftragssummen abführen. Beschlossen hat diese Erhöhung von ursprünglich sieben Prozent die Genossenschaftsversammlung, um die Digitalisierung der angebotenen Dienstleistungen vorantreiben zu können, wie Co-Geschäftsführerin Magdalena Ziomek erklärt. Zusammen mit Alicja Möltner hat sie die Genossenschaft Smart 2016 in Berlin gegründet. Sie orientiert sich an einem belgischen Vorbild, das bereits 1998 ins Leben gerufen wurde und mit rund 75.000 Mitglieder und einem Umsatz von 180 Millionen Euro an zehn Standorten in Belgien vertreten ist. Die deutsche Smart hatte 2021 einen Umsatz von 3,7 Millionen und erwartet für dieses Jahr eine Steigerung auf rund fünf Millionen Euro.

Verträge mit Auftraggeber

Im Gegensatz zu landwirtschaftlichen Genossenschaften wie Molkereien oder auch der publizistischen Genossenschaft der taz gibt es bei Smart nicht das Ziel, ein gemeinsames Produkt herzustellen, sondern sich Dienstleistungen zu teilen und soziale Sicherheit zu erreichen. Die Entscheidung, wo sie Aufträge suchen und welche sie annehmen, bleibt allein Sache der Genossenschaftsmitglieder. Die Verträge mit den Auftraggebern schließt dann die Genossenschaft. Etwas, an das sich manche Auftraggeber*innen in Branchen, in denen es auch viele mündliche Absprachen gibt, manchmal erst gewöhnen müssen, räumt Ziomek ein.

Ähnlich wie bei der Künstlersozialversicherung (KSK) schätzen die Genoss*innen die Erträge ihrer künftigen Aufträge ein. Daraus wird ein mittleres Gehalt errechnet, das Auftragsdellen abfangen kann. Darüber liegende Einkünfte können auf dem Konto des Mitglieds angespart werden. Die Abgaben für die Sozialversicherungen werden aus dem Auftragsvolumen berechnet und abgeführt, einen Arbeitgeberanteil, wie ihn der Staat für die KSK-Versicherten übernimmt, gibt es in dieser Konstruktion nicht. Während der Corona-Lockdowns konnten die Genoss*innen wegen ihrer Auftragseinbrüche sogar Kurzarbeitergeld beantragen, berichtete der Deutschlandfunk (Wirtschaft und Gesellschaft, 4. November 2022, ab 6:36).

„Smart ist der Bypass für Mängel des sozialen Sicherungssystems, die aber bei Mitgliedern in der Künstlersozialversicherung eigentlich abgedeckt sind“, erklärt Gunter Haake vom ver.di-Selbstständigenreferat. „Für Soloselbstständige ohne KSK ist das eine tolle Sache, auch wenn ‚angestellte Soloselbstständige‘ als Begriff eigentlich absurd ist.“ Interessant sei die Genossenschaft auch für nebenberufliche Künstler*innen, meint Haake. Auch Nebenjobs können über Smart abgewickelt werden. „Wir haben zwar im Kunstbereich angefangen um Genoss*innen zu werben, weil wir als Gründerinnen selbst daher kommen, aber eigentlich ist das nicht unser Metier“, erläutert Ziomek. Beide Berliner Geschäftsführerinnen waren früher als selbstständige Projekt- und Kulturmanagerinnen tätig. Beruflich sind heute die meisten Mitglieder als Tourguides, Sprachlehrer*innen, Übersetzer*innen, in der Software-Entwicklung, als Consultants oder Content-Manager*innen im Einsatz.

Die Genossenschaft Smart ist sehr international aufgestellt, etwa die Hälfte aller Mitglieder hat nicht Deutsch als Muttersprache. Auch die Gründerinnen haben polnische Wurzeln. Aus dem eigenen sprachlichen Umfeld heraus hat sich die Genossenschaft aber weiterentwickelt: „Wir haben heute Mitglieder aus vielen Nachbarländern. Seit dem Brexit auch etliche aus UK“, erklärt Ziomek. Entsprechend vielsprachig ist das Beratungsangebot durch Genossenschaftsmitglieder. Smart engagiert sich zusätzlich für Geflüchtete aus der Ukraine, etwa mit Workshops und Räumen für Treffen. International ist auch die Zusammenarbeit mit den sieben zurzeit existierenden Schwester-Genossenschaften in Belgien, Niederlanden, Österreich, Italien, Spanien und Schweden, die ein gemeinsames Logo verbindet. Mitglieder bei Smart Deutschland können Aufträge in diesen Ländern dadurch recht unbürokratisch abwickeln. Auch in Ungarn hat es eine Smart-Genossenschaft gegeben. Ziomek hofft, dass die ungarische Smart wiederbelebt werden kann, denn die Lage für Selbstständige in Ungarn sei schwieriger geworden.

Für Smart in Deutschland ist das Ziel für die kommenden Jahre, die Genossenschaft über den Großraum der Hauptstadt hinaus in weitere Regionen auszurollen und die Zahl der Genoss*innen über die Tausendergrenze hinaus zu steigern, beschreibt Ziomek die Zukunftspläne. Das Nahziel ist der digitale Ausbau der Smart-Plattform: Ab Mai 2023 soll der Service für die Genoss*innen, und jene, die es werden wollen, dadurch einfacher und schneller werden. Dabei hilft eine Unterstützung aus dem Bundeswirtschaftsministerium und das Preisgeld von 10.000 Euro als einer der „Leuchttürme für ein soziales, nachhaltiges und zukunftsfähiges Berlin“. „Da arbeiten wir wirklich täglich dran, um das zu verwirklichen.“

Zu weiteren Leuchttürmen Berlins: Social Economy Berlin vernetzt soziale Unternehmen in Berlin miteinander

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Frauen im Journalismus stärken

Anlässlich des Internationalen Frauentags fordert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di einen Aktionsplan zur Stärkung von Frauen im Journalismus. Als erste Berufsvertretung hat sie frauenpolitische Forderungen für die Medienbranche formuliert und diese an den Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) sowie den Medienverband der freien Presse (MVFP) adressiert. „Bei der Bezahlung, dem beruflichen Aufstieg und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben unsere Kolleginnen meist das Nachsehen. Es besteht dringender Handlungsbedarf“, fordert Renate Gensch, Mitglied im dju-Bundesvorstand.
mehr »

Europarat muss Pressefreiheit schützen

Anlässlich der Vorstellung des diesjährigen Europarats-Berichts zur Pressefreiheit in Europa fordert die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di die Gremien der Europäischen Union zur dringenden Umsetzung verbindlicher Schutzmaßnahmen von Pressevertreter*innen auf. „Wir beobachten die drastische Zunahme von Angriffen auf unsere europäischen Kolleginnen und Kollegen mit großer Sorge, denn sie hängen unmittelbar mit dem Erstarken demokratiezersetzender politischer Bewegungen zusammen“, sagt der dju-Co-Vorsitzende Lars Hansen.
mehr »

dpa: neues Recherche-Tool nutzt KI

Die dpa hat einen News-Hub mit einem Rechercheassistent basierend auf Künstlicher Intelligenz (KI) gestartet. "Die Antwortmaschine" liefert zukünftig Redaktionen Antworten in Form von Zusammenfassungen. Diese basieren demnach auf aktueller dpa-Berichterstattung sowie Archivmaterial und verweisen zusätzlich auf Originalbeiträge. Das Tool, das die dpa zusammen mit dem US-Unternehmen You.com entwickelt hat, greife "zu 100 Prozent auf verlässliche Quellen" zu, sagt Vize-Chefredakteurin Astrid Maier.
mehr »

Fahndungsfotos: Widerrechtlich im Einsatz?

Öffentlichkeitsfahndungen mit Hilfe der Medien sind eigentlich nur bei erheblichen Straftaten erlaubt. Trotzdem greifen Strafermittler auch bei Tankbetrug, Ladendiebstahl oder Rezeptfälschung zu diesem einschneidenden Mittel. Manchmal werden auch völlig Unschuldige an den Fotopranger gestellt. Die Medien veröffentlichen die Fahndungsfotos in aller Regel ungeprüft. Nach Ansicht der dju sollten die Redaktionen aber die Verhältnismäßigkeit hinterfragen. 
mehr »