Erfahrungsberichte zur Pressefreiheit

Solidarität mit der Ukraine Foto: Kay Herschelmann

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Hessen debattierte am 5. Mai zum Thema „Meinungs- und Pressefreiheit unter Druck“ im Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main. Journalistinnen und Journalisten aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und der Türkei berichteten über die Zustände in den jeweiligen Ländern. Wie viele andere Pressevertreterinnen und -vertreter mussten sie ihre Herkunftsländer verlassen, um beispielsweise Verfahren wegen angeblicher Terrordelikte oder Vaterlandsverrat zu entkommen.

In der Türkei verschwänden Kolleginnen und Kollegen seit Jahren schnell im Knast, sagte die von dort stammende Journalist Erkan Pehlivan bei der gemeinsam mit dem Interkulturellen Mediendialog und der International Journalists Association organisierten Veranstaltung. In den vergangenen sechs Jahren nach dem Putsch 2016 wurden mehr als 600 Medienschaffende verhaftet, noch heute sitzen 63 in türkischen Gefängnissen. Jahre zuvor schon habe sich ein schleichender Prozess hin zum autoritären Staat vollzogen. Seit 2013  sei das Klima ständig repressiver geworden. Vorausgegangen waren die Korruptionsaffäre, in deren Folge zahlreiche Personen aus dem engsten Umfeld des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen „Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei“ (AKP) festgenommen wurden, und die Proteste gegen das umstrittene Bauprojekt im Istanbuler Gezipark. Zunächst seien linksliberale Medien mit überhöhten Steuerforderungen wirtschaftlich ruiniert worden, die meisten hätten schließen müssen. Dann habe es „Säuberungen“ gegeben. Journalistinnen und Journalisten in der Türkei seien jedoch kreativ in ihrer Gegenwehr: Millionen von Klicks hätten sie mit You Tube-Videos geholt, in die Erdogans Reden kommentierend und persiflierend eingefügt waren. 

Für jene, die es geschafft haben, aus dem Land zu flüchten, ist Deutschland ein sicherer Hafen. Doch selbst hier seien Exiljournalistinnen und –journalisten oft nicht sicher. Sie erhielten Mails mit Morddrohungen oder nationalistische türkische Schlägertruppen lauerten ihnen auf. Mal sei die Folge „nur“ eine blutige Nase, kürzlich sei ein Betroffener in der Intensivstation gelandet, so Pehlivan. Im Juli 2021 bestätigte die Bundesregierung erstmals die Existenz einer „Hinrichtungsliste“, auf der regimekritische Journalist*Innen, Politiker und Aktivist*Innen aus der Türkei geführt würden. Bei Kolleginnen und Kollegen, die kritisch über die Türkei berichteten, stünden dann Beamte des deutschen Landeskriminalamts vor der Tür, um zu warnen. 

Der Syrer Mohamed Melle berichtete, dass die dortige Miliz nicht nur im Herkunftsland gefährlich sei. Syrische Geheimdienste betätigten sich gegen regimekritische Journalistinnen und Journalisten auch in Deutschland. Der per Video in die Veranstaltung zugeschaltete Jawid Sadeqi aus Afghanistan schilderte, dass seit der Machtübernahme der Taliban viele seiner Kollegen dort um ihr Leben fürchteten. Sie hätten keinen Pass, könnten nicht flüchten. 90 Prozent der Frauen in der Branche hätten ihren Job aufgeben müssen. Medien mussten auch schließen, weil jegliche finanzielle Unterstützung eingestellt worden sei. 

Der Krieg verändert die Berichterstattung

Wie sich die Berichterstattung durch den Krieg verändert, berichtete die ukrainische Journalistin Olena Sadovnik. Sie sei mit ihrem dreijährigen Kind nach Deutschland geflohen, weil sie nicht mehr wusste, wie sie ihm erklären sollte, dass sie nachts im Badezimmer oder unter dem Türrahmen schlafen mussten. Denn jederzeit hätte eine russische Rakete einschlagen können. So sei eine Kollegin in ihrem Apartment ermordet worden. Einen Fotografen, mit dem sie zusammen arbeitete, hätten Russen erschossen. Jegliche journalistische Arbeit sei außerdem auf Kriegsberichterstattung verengt: Entweder man berichte von der Front oder schreibe kommentierende Analysen zum Krieg. Ein Gegencheck zu dem, was die Regierung berichte, sei nicht mehr möglich. 

Die dju-Gewerkschaftssekretärin  und Organisatorin des Mediendialogs Anja Willmann machte auf die Kampagne „Free Marlene & Matej“ aufmerksam. Vor zwei Wochen verhafteten irakische Einsatzkräfte beide Journalisten in der nordirakischen Region Şengal: Marlene Förster mit deutschem Pass, Matej Kavcic mit slowenischem. Mutmaßlich verschwanden beide im Geheimdienstgefängnis in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Sie arbeiteten an einem Filmprojekt über die Selbstverwaltungsstrukturen der jesidischen Bevölkerung, an der 2014 unter Herrschaft des so genannten Islamischen Staates (IS) ein Genozid verübt worden war. Ein im Internet veröffentlichter offener Brief an Annalena Baerbock fordert unter der Überschrift „Pressefreiheit ist kein Luxus“, dass die Bundesaußenministerin sich für ihre Freilassung einsetzt.

Auch Medien in Deutschland standen in der Kritik seitens der Exiljournalisten, weil sie häufig nur an der Oberfläche kratzten und kaum Details berichteten.  Aufgrund von Medienkonzentration sei Vielfalt in der Berichterstattung oft nicht gegeben. Letzteres konstatierte auch „Reporter ohne Grenzen“ und stufte Deutschland in der weltweiten „Rangliste der Pressefreiheit“ erneut herab. Die Bundesrepublik rangiert nun drei Plätze tiefer auf Rang 16. Die Organisation benannte dafür zwei weitere Gründe: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, sowie die Gewalt bei  „Querdenker“-Demonstrationen.   

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