Ex-Sportler als Experten und Journalisten

Sinnvolle Ergänzung durch Inneneinsicht oder Abgrenzungsproblem

Wie verhält es sich mit ehemaligen Profis, die von der Arena auf die Pressetribüne oder den Kommentatorenstuhl gewechselt sind? Besitzen Sie die nötige Distanz, um kritisch und unparteiisch ihren Job zu erfüllen?

Für die Teilnehmer der sonntäglichen Expertenrunde „Doppelpass“ im Deutschen Sportfernsehen (DSF) gilt dies sicher nicht. Was auch nicht weiter schlimm ist. Ob Mario Basler, Udo Lattek oder Paul Breitner – solche ehemaligen Fußballgrößen werden gerade wegen ihrer höchst subjektiven Urteile und Provokationen gern eingeladen. Hemmungslose Polemik verspricht allemal einen höheren Spaßfaktor. Das trifft in abgeschwächter Form auch auf Gerd Dellings Kommentatoren-Alter-Ego Günter Netzer zu. Das bewährte ARD-Tandem Netzer-Delling, sozusagen die sportjournalistische Entsprechung zum früheren Politduo Hauser und Kienzle, läuft allerdings Gefahr, mit dem routinemäßigen Abspulen der immergleichen Frotzeleien seinen Charme einzubüßen. Erneuerung tut Not, sonst enden die beiden bald wie die Oldtimer der Muppetshow. Problematisch erscheint allerdings die Doppelfunktion von Netzer als Experte und Rechtehändler. Kann jemand unvoreingenommen in der ARD über die Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft reden, deren Übertragungsrechte er regelmäßig an eben diese ARD verkauft?

Sorgfältige Auswahl

Der Einsatz von einstigen Sportgrößen als Experten sei eine „sinnvolle Ergänzung“ der Sportberichterstattung, findet auch „Sportschau“-Chef Steffen Simon. Die journalistische Rolle sei „die eines Beurteilenden aus der Distanz“. Die Experten lieferten komplementär die Inneneinsicht einer Disziplin. Etwa, wenn ein ehemaliger Olympiasieger im Biathlon wie Mark Kirchner mit an der Piste steht. Simon: „Der weiß einfach, was es bedeutet, wenn man in den ersten drei Schießen schon dreimal daneben lag und jetzt ausgepumpt und mit zitternden Knien zum vierten kommt.“ Gleichwohl enthält die Selbstverpflichtungserklärung der WDR-Sportredaktion auch das Bekenntnis zu einer „sorgfältigen und kritischen Auswahl aller im Programm zu Wort kommenden Experten“. Man darf gespannt sein, wie dieser Vorsatz etwa bei der kommenden Tour de France eingelöst wird. Im letzten Jahr stiegen ARD und ZDF bekanntlich nach einer Kette von Dopingfällen aus der Tour-Berichterstattung aus. Als ARD-Experte galt jahrelang der Ex-Profi Rudi Altig. Dessen Spitzname im Tour-Zirkus lautete nicht von ungefähr „die rollende Apotheke“. Das ZDF nahm jahrelang die Expertendienste eines anderen Doping-Sünders – Rolf Aldag – in Anspruch.
Die Mainzer finden auch bis heute nichts dabei, die ehemalige DDR-Vorzeigeschwimmerin Kristin Otto als Sportmoderatorin und -kommentatorin zu beschäftigen, unter anderem in der „ZDF-Sportreportage“ und im „Heute“-Sportteil. Die sechsmalige Goldmedaillengewinnerin von Seoul hatte nach dem Ende ihrer Karriere als Leistungssportlerin Journalistik in Leipzig studiert. Es sei unverständlich, „wie man eine Frau, die zwar viele Olympiasiege erschwommen hat, aber doch ganz klar mit dem DDR-Doping identifiziert wurde, für einen so hoch qualifizierten und wichtigen Meinungsposten einstellen konnte“, monierte vor einem Jahr Günter Gebauer, Professor für Sportwissenschaft, im NDR-Medienmagazin „Zapp“.
Unverdächtig dagegen die frühere Eisschnellläuferin und Sprintweltmeisterin Franziska Schenk. Auch sie studierte Journalistik, heute moderiert die „echte Allrounderin“ beim MDR die tägliche Unterhaltungssendung „hier ab vier“ und den „Sport im Osten extra“.

Match brachte keine Quoten

Gelegentlich liegen Sportler-Aura und journalistisches Elend nahe beieinander. Boris Becker, einst jüngster männlicher Wimbledon-Sieger, bekam nach diversen kurzzeitigen Moderatorenjobs vor vier Jahren ein eigenes Talkformat namens „Becker 1:1“ auf DSF. Das Match wurde angesichts dürftiger Quoten nach wenigen Sätzen – pardon: Sendungen – abgebrochen. Merke: Das Publikum liebt nun mal den Center-Court-Helden, nicht den Mikrofonhalter und Dampfplauderer Boris.
Besser erging es ehemaligen Sportlern, die sich nach Beendigung ihrer sportlichen Karriere per Ausbildung für eine Tätigkeit in den Medien qualifizierten. Ex-Eiskunstläufer Rudi Cerne arbeitete sich nach diversen Praktika über die Dritten Programme von WDR und HR zum ARD-Live-Reporter für Eiskunstlauf und Tanzturniere hoch. Später wechselte er zum ZDF und moderierte dort sieben Jahre lang beim „Aktuellen Sportstudio“. Seit Anfang 2002 präsentiert Cerne sehr professionell die Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“.
„Madrid oder Mailand – Hauptsache Italien“ – solche Fußballer-Weisheiten füllen mittlerweile ganze Nachschlagewerke rhetorischer Purzelbäume ehemaliger Leistungssportler. Vereinzelt schaffen es ehemalige Kicker dennoch bis in die Redaktionen von Qualitätszeitungen: Guido Schäfer, Ex-Mainzer, gelangte vor acht Jahren in die Sportredaktion der Leipziger Volkszeitung. Und der frühere St.-Pauli-Profi Markus Lotter polarisiert heute mit seiner Freitags-Kolumne „Sterne des Südens“ in weltonline.

kel
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