Großunternehmen sparen Milliarden durch Steuerschlupflöcher
Der Plan, Freiberufler in die Gewerbesteuerpflicht einzubeziehen, sorgt für Aufregung – selbst bei jenen Freien, die eine Ausweitung auf ihren Berufsstand für grundsätzlich vernünftig halten. Denn die Regierung will ausgerechnet bei kleinen und mittleren Einkommen Steuererhöhungen durchsetzen, Kapitalgesellschaften dagegen dürfen sich auf eine Steuersenkung freuen.
Zugegeben: Im Gesamtkanon von Um- und Abbau des Sozialstaates ist die Gewerbesteuer für Freiberufler – als Kabinettsentwurf zur Gemeindesteuerreform am 13. August abgesegnet – ein kleiner Fisch. Aber einer, der schmerzlich zeigt, wie gesellschaftliche Umverteilung läuft. Berechnungen des Deutschen Städtetages haben ergeben, dass große Konzerne weitere 3,5 Milliarden Euro Steuern sparen und ihr Anteil an der Finanzierung städtischer Aufgaben von 62 auf 44 Prozent sinken würde. Deren Steuerschlupflöcher mit zu finanzieren, wird zur hehren Aufgabe der Freiberufler – vom kleinen Solo-Selbstständigen bis zum großen Mittelständler.
Die Planungen konkret:
- Freiberufler werden gemeindewirtschaftssteuerpflichtig.
- Die Steuer ist teilweise auf die Einkommenssteuer anrechenbar. Freie in Gemeinden mit einem (kommunal festgelegten) Hebesatz bis zu 380 Prozent zahlen im Endeffekt nichts – allerdings: Alle Städte über 250.000 Einwohner liegen über 380 Prozent.
- Bis 25.000 Euro fällt keine Steuer an, bis 50.000 Euro wird dieser Freibetrag gleitend abgebaut, darüber ist die volle Zahlung fällig.
- Auch wer bislang nicht unter das Steuer befreiende Privileg der Freiberuflichkeit fiel – etwa selbstständige Kurierfahrer oder die Film-Produktions-GmbH – muss bereits bei 50.000 Euro Gewinn mit Steuersteigerungen um rund 300 Prozent rechnen.
- Für Kapitalgesellschaften bleibt die Steuerlast formal so gut wie unverändert, faktisch sinkt sie zwischen 3 und 4,4 Prozent, weil die Gewerbesteuer auf Zinsen, Mieten und Leasingraten entfallen soll.
Nahezu alle Freiberufler-Verbände haben dagegen Widerstand angekündigt. Nur die Steuerberater sind sich noch nicht einig, ob nun zu erwartende Aufträge nicht die zusätzliche Steuerlast aufwiegen. Fast entwaffnend argumentiert der Chef der Bundesarchitektenkammer, Tillman Prinz, in einem Berliner-Zeitung-Interview: „Für Architekten stellt die Gewerbesteuer eine enorme Belastung dar. Dabei nützt sie den Gemeinden nicht einmal viel. Sie betrifft nur Wenige.“ Ähnlich seltsam klingt das Argument der Kulturstaatsministerin Christina Weiß mit Blick auf die Freischaffenden der Kunst. Sie müssten ohnehin „aufgrund der äußerst bescheidenen Einkommensverhältnisse keine Gemeindewirtschaftssteuer entrichten“.
Freibeträge für niedrige und mittlere Einkommen
Das eigentliche Problem ist jedoch nicht, dass Freiberufler einbezogen werden, sondern dass die falschen herangezogen werden sollen. Mit einer Freistellung von Mini-Einkommen kann es da nicht getan sein. So fordert auch der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske nicht allein eine bessere Finanzausstattung der Kommunen: „Die Einbeziehung von Freiberuflichen und Selbständigen in die Gewerbesteuerpflicht ist okay – vorausgesetzt, es gibt entsprechende Freibeträge für niedrige und mittlere Einkommen.“ Tatsächlich schwer verständlich ist es, Ärztekollektive oder Anwaltspraxen mit mehreren hundert Angestellten ebenso zu privilegieren wie gering verdienende Solo-Selbstständige. Und: Spitzenverdiener – auch aus Publizistik und Kunst – sollen laut ver.di-Vorstand nicht ausgenommen werden.
Eine grundsätzlich ablehnende Haltung hat dagegen die Bundeskommission Selbstständige (BKS), das ehrenamtliche ver.di-Gremium der Selbstständigen. Sie fordert ver.di auf, „andere Wege einer gerechten Finanzierung der Kommunen zu suchen“. Es sei „nicht einzusehen, dass in einer Zeit, in der sich Großunternehmen um die Gewerbesteuer drücken können, ausgerechnet Freiberuflerinnen und Freiberufler, wie zum Beispiel erfolgreiche Schriftsteller, die die Gemeindeinfrastruktur nicht mehr belasten als jeder normale Einwohner, die Gemeindefinanzen sanieren sollen“. In einem sind sich ver.di-Vorstand, BKS und Städtetag einig: Dass sich viele Großunternehmen der Gewerbesteuerpflicht entziehen können, muss abgestellt werden.
Für gerechte Lösungen gemeinsam einsetzen
Dissens bleibt zwischen BKS und Vorstand in der Frage, ob Freiberufler Wirtschaftsunternehmen sind. Das Referat Selbstständige der ver.di findet ja – und fordert in einer Pressemitteilung nicht die Abschaffung der Gewerbesteuer für Selbstständige, sondern „die Steuerpolitik so zu gestalten, dass Geringverdiener – unabhängig davon, ob sie angestellt oder selbstständig sind – entlastet werden“. Selbstständigen-Referent Gunter Haake: „ver.di ist gegenüber ihren selbstständigen Mitgliedern – die nun überwiegend erstmals zur Gewerbesteuer veranlagt werden – in der Verantwortung, die Gewerbesteuer für Freie nicht undifferenziert zu begrüßen.
Aber: eine gerechte Steuer wäre angesichts der Lage der Kommunen akzeptabel, auch wenn niemand gerne mehr zahlt. Indiskutabel ist die geplante Form. Da werden Kleinstunternehmen mit der Solounternehmerin Daimler-Chrysler formal gleichgestellt, faktisch jedoch einseitig belastet. Es sei hinzugefügt: Dass Land- und Forstwirte von der Gewerbesteuerpflicht ausgenommen bleiben sollen, zeigt, wie schädlich gute Lobby-Arbeit zugunsten von Partikularinteressen für die Gesellschaft sein kann. Selbstständige, die sich nicht nur als gemolkene Steuerbürger sondern auch als Gemeindebewohner verstehen, sollten nicht für die eigene Bevorzugung, sondern für gerechte Lösungen kämpfen.“